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Ausgabe:

Juni/2010

Spalte:

672-673

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Ebach, Jürgen

Titel/Untertitel:

Josef und Josef. Literarische und hermeneutische Reflexionen zu Verbindungen zwischen Genesis 37–50 und Matthäus 1–2.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2009. 165 S. gr.8° = Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament, 187. Kart. EUR 29,00. ISBN 978-3-17-021036-3.

Rezensent:

Rüdiger Lux

Die Kommentierung biblischer Bücher führt immer wieder auf verschlungene Lektürepfade, die erkennen lassen, wie vielseitig das Potential von Texten ist, neue Texte freizusetzen. Erst auf der Folie des »Alten« wird »Neues« sichtbar. Nicht selten erfüllt dabei die Einbettung von Texten in Subtexte eine doppelte Funktion: Durchbrechung von Konvention und zugleich Heimholung des Kontingenten ins Kontinuierliche. Jürgen Ebach hat sich in zahlreichen Veröffentlichungen und zuletzt in seinem bemerkenswerten Kommentar zur Josefsgeschichte (Genesis 37–50, HThKAT, Freiburg-Basel-Wien 2007), der sensibel der Eigenbewegung der Texte folgt, als Meister im Aufspüren solcher Lektürepfade erwiesen.
Das vorliegende Buch, das als ein Nebenprodukt aus der Arbeit an diesem Kommentar hervorgegangen ist, unternimmt in zwölf Kapiteln den Versuch eines Nachweises, dass der Autor von Mt 1–2 »seinen« Josef in eine bewusste Konfiguration zu dem Josef in Gen 37–50 gebracht hat. Die Relektüre der Texte durch E. vollzieht sich – mehrfach die »Text-Textil-Metapher« aufgreifend – im »Entde­cken« von direkten und indirekten »Verknüpfungen«, die ein ge­samtbiblisches »Gewebe« ergeben. E. versteht seine Studie daher als » biblische Lektüre«, die drei literarisch-hermeneutischen Kriterien folgt: 1. Mt 1–2 lässt deutlich erkennen, »wie sehr die Texte und Motive [des Neuen Testaments] aus der hebräischen Bibel leben« (7). 2. Aufgenommene Zitate oder sachliche Anspielungen auf Prätexte weisen nicht nur auf diese selbst hin, sondern spielen darüber hinaus auch ihre weiteren Kontexte ein. 3. »Die Vielfalt der Lektüre- und Interpretationsmöglichkeiten wird der Intention … dieses Textes gerechter als die Reduktion auf nur eine Sichtweise« (8).
Unter Anwendung dieser drei Kriterien geht E. einer Reihe von Auffälligkeiten in Mt 1–2 nach, die nur auf dem Hintergrund des Subtextes von Gen 37–50, aber auch anderer alttestamentlicher Texte, verständlich werden oder wenigstens von ihnen her angeregt worden sein dürften. Ausgangspunkt seiner Beobachtungen bildet die die genealogische Grundstruktur von Mt 1,1–17 durchbrechende Aufnahme von vier alttestamentlichen Frauengestalten (Tamar, Rahab, Rut und »die des Uria« [Batseba]), die Matthäus »seinem« Josef sowie der fünften Frau in der Genealogie, Maria, »ins Stammbuch geschrieben« hat (28 ff.). Im Folgenden geht E. in dif­fizilen Beobachtungen der Geschichte dieser Frauen in der Hebräischen Bibel nach (38–68) und kann überzeugend nachweisen, dass Matthäus mit ihren Namen auch deren Geschichten in die Herkunftsgeschichte Jesu eingeschrieben hat. Mit den vier Vorläuferinnen Marias verbinden sich wie bei ihr selbst »irreguläre« Ge­burts- bzw. Frauengeschichten, die die verborgenen Hintergründe der Geburt Jesu ἐκ πνεύματος ἁγίου auf überraschende Weise in einem neuen Licht erscheinen lassen.
Weitere Bezüge zwischen Gen 37–50, anderen alttestamentlichen Texten und Mt 1–2 werden anhand des Traummotivs (69–95), des Ägypten- und Exodusmotivs (96–99), der Rolle Rahels (100–110), der Magier (111–122), der Adoptionsproblematik (123–129) sowie der Be­zeichnung Jesu als Ναζωραῖος und seiner Verortung in Nazareth (130–135) offengelegt und in ihrer Bedeutung für die Herkunftsgeschichte Jesu erschlossen. Dabei finden sich viele wichtige Hinweise, wie z. B. die Problematisierung der in der Exegese üblichen Rede von den neutestamentlichen »Erfüllungszitaten« (86 ff.).
Den subtilen Textbeobachtungen und Textvergleichen werden immer wieder Referenztexte der frühjüdischen und frühchristlichen Literatur sowie der rabbinischen Traditionsliteratur an die Seite gestellt, die uns auf ihre Weise Einblicke in die Strenge und zugleich das Spielerische der Auslegung der Hebräischen Bibel durch antike Autoren geben. Dazu kommen en passant nicht selten Hinweise auf die literarische Rezeptionsgeschichte der Moderne, die – ein Markenzeichen vieler Auslegungen von E. – den biblischen Texten nicht vorschnell das Wort abschneiden, sondern sie aus überraschend neuen Perspektiven ins Licht setzen.
Summa summarum: Es handelt sich um eine lesenswerte Studie, die den im Vorwort erhobenen Anspruch einer »biblischen Lektüre« alt- und neutestamentlicher Texte in überzeugender Weise einlöst. Mit großem Spürsinn und in ausdauernder Textnähe wird dem Leser gezeigt, wie in Gestalt einer literarischen Konfiguration aus dem Josef in Gen 37–50 ein neuer »Josef aus Juda« in Mt 1–2 hervorgegangen ist. Dass die Lektüre nebenbei auch zum Lesevergnügen wird, sei ausdrücklich vermerkt.