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Ausgabe:

Juni/2010

Spalte:

668-669

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Bosworth, David A.

Titel/Untertitel:

The Story within a Story in Biblical Hebrew Narrative.

Verlag:

Washington: The Catholic Biblical Association of America 2008. VIII, 200 S. gr.8° = The Catholic Biblical Quarterly Monograph Series, 45. Kart. US$ 12,50. ISBN 987-0-915170-44-9.

Rezensent:

Barbara Schmitz

Die unter der Leitung von Michael O’Connor durchgeführte Dissertation von David A. Bosworth geht der Frage nach, ob es in den hebräischen Schriften des Alten Testaments mise-en-abyme-Er­zählungen gibt. B. identifiziert Gen 38, 1Sam 25 und 1Kön 13 als solche und hält diese drei für die einzigen biblischen mise-en-abyme-Erzählungen. ­– B.s Studie gliedert sich in fünf Kapitel: In einer Einleitung (1–36) erläutert er den literaturtheoretischen Hintergrund einer als mise-en-abyme bezeichneten Erzählstruktur, in den folgenden drei Ka­piteln wendet er die im ersten Kapitel erläuterte Kriteriologie auf Gen 38 (37–69), 1Sam 25 (70–117) und 1Kön 13 (118–157) an, um mit einem Fazit (158–165) sowie Bibliographie und Stellenregister zu schließen.
Als mise-en-abyme definiert B. Erzählungen, »in which a part reduplicates the whole« (1). Diese knappe Beschreibung erläutert B., indem er sich zwei literaturtheoretischen Arbeiten anschließt. Dies ist zum einen Lucien Dällenbach (Le récit spéculaire: essai sur la mis-en-abyme, Paris: Seuil 1977; engl.: The Mirror in the Text, Chicago: University of Chicago Press 1989), zum anderen Moshe Ron (The restricted Abyss: Nine Problems in the Theory of the Mise en Abyme, Poetics Today 8 [1987], 417–438). Leider begrenzt B. die theo­retische Diskussion auf diese beiden Studien, ohne der literaturwissenschaftlichen Diskussion über mise-en-abyme vor und nach Dällenbach und Ron Raum zu geben.
Ausführlich stellt B. die Theorie von Dällenbach dar und folgt diesem darin, dass er drei unterschiedliche Typen, drei verschiedene Einarbeitungen sowie drei unterschiedliche Platzierungen von mise-en-abyme annimmt: Es gebe einfache mise-en-abyme-Er­zäh­lungen (Beispiel: Shakespeares Hamlet, in dem sich die Handlung des Hamlet in dem integrierten Stück »The Murder of Gonzago« spiegelt), sich wiederholende mise-en-abyme (Beispiel: André Gides, Les faux-monnayeurs) sowie paradoxe mise-en-abyme (Beispiel: Miguel de Cervantes Saavedva, Don Quixote). Sodann können mise-en-abyme als Ganzes, in verschiedenen Abschnitten oder periodisch wiederkehrend in den größeren Erzählkontext eingearbeitet sein. Diese können schließlich prospektiv am Anfang, retrospektiv am Ende oder »retro-prospective« in der Mitte der Gesamterzählung platziert sein. Diese drei Kriterien bilden letztlich das theoretische Grundgerüst, das B. auf die von ihm als mise-en-abyme-Erzäh­lungen identifizierten Geschichten appliziert: Gen 38 und 1Sam 25 sind einfache, als Ganze am Anfang bzw. in der Mitte des größeren Erzählkontextes der Josephs- (Gen 37–50) bzw. der Da­vids-Ge­schichte (1Sam 13–2 Sam 5) eingeschobene mise-en-aby­me-Er­zählungen, 1Kön 13 mit seiner Fortsetzung in 2Kön 23,15–20 ist in zwei Ab­schnitten in die Geschichte des Königtums in Israel und Juda (1Kön 11–2Kön 23) eingewoben.
Weitere theoretische Differenzierungen nimmt B. durch die Stu­die von Moshe Ron vor, der die Theorie von Dällenbach durch neun Aspekte erweitert (totality, reflection, explicitness, isolability, orientation, extent, distribution, general function, motivation). Diese spielen allerdings in den folgenden Analysen gegenüber der Kriteriologie von Dällenbach eine eher untergeordnete Rolle. B. erläutert im Weiteren die vorgestellte Theorie an Beispielen aus der modernen wie antiken Literatur (Agatha Christie, Ten Little Indians; William Shakespeare, Hamlet; Homer, Die Geschichte von Meleager aus der Ilias 9.524–605; Apuleius, Der goldene Esel).
Die Analysen der biblischen Erzählungen nehmen den Stand der Forschung auf und konzentrieren sich in erster Linie auf die Einbettung der Erzählungen in ihren Kontext. Dabei zeigt B. viele intertextuelle Bezüge sowie Wiederaufnahmen von Motiven und Lexemen auf. Sodann konzentriert er seine Überlegungen zur Kontexteinbettung jeder Erzählung auf wenige thematische Aspekte. 1Kön 13 beispielsweise spiegele den gesamten Erzählkontext von 1Kön 11–2Kön 23 unter den Aspekten »mutual hostility«, »friend­ship«, »role-reversal«, »resumption of hostility« sowie »southern partner saves northern one«. Damit bietet B. ein sehr klares Bild – sowohl von 1Kön 13 als auch von 1Kön 11–2Kön 23. Ob damit aber die so komplexen und divergierenden Erzählungen zutreffend erfasst sind? B. hält 1Kön 13 explizit für eine Erzählung, die den politischen Rahmen reflektiere, nicht jedoch den prophetischen (128). So richtig und wichtig der politische Kontext in 1Kön 13 ist, so deutlich ist in 1Kön 13 wie in 1Kön 11–2Kön 23 aber auch das prophetische Element, schließlich findet sich in 1Kön 11–2Kön 23 nicht nur der umfangreiche Elija-Elischa-Zyklus, sondern 1Kön 13 ist gerade eine Erzählung, in der die zentralen Figuren ein Gottesmann und ein Prophet sind und in der das Thema von wahrer Prophetie problematisiert wird!
Zudem stellt sich die Frage, wie man mise-en-abyme-Er­zäh­lungen von anderen, in einen größeren Erzählkontext eingebetteten Erzählungen unterscheiden kann. Nach Dällenbach müssen hierfür fünf Textmerkmale vorliegen (auffallende Wiederholungen von Schlüsselworten, die eine Analogie zwischen der Erzählung und dem Gesamtkontext nahelegen, Namensanalogien zwischen Figuren bei­der Erzählungen, identische Titel der Erzählungen, Wiederholung der Erzählkonstruktion bzw. von Figuren, klare Wiederaufnahmen von Motiven und zentralen Textelementen; vgl. 9–11). Gen 38 und 1Sam 25 erfüllen nur drei, 1Kön 13 nur zwei dieser Kriterien, und – wie B. selbst zugibt – gerade die beiden zentralsten nicht (Analogie zwischen Erzählung und Kontext sowie Ähnlichkeit im Titel, vgl. 165). Vor diesem Hintergrund stellt sich dann jedoch die Frage nach dem Surplus, den man gewinnt, wenn man Erzählungen explizit als mise-en-abyme-Geschichten identifiziert. Dies ist keine Anfrage an das Konzept von mise-en-abyme, auch nicht in Bezug auf biblische Texte, sondern eher die Frage nach dem exegetischen Mehrwert, der sich nicht aus der Erfüllung von erzähltheoretischen Kriterien, sondern aus einer tieferen oder unerwarteten Einsicht in die biblischen Geschichten ergibt. Des Weiteren stellt sich die Frage nach der hermeneutischen Ebene, auf der B. seine Identifizierung von Gen 38, 1Sam 25 und 1Kön 13 als mise-en-abyme-Erzählungen ansiedelt: Versteht er diese intentional verfasserorientiert oder doch eher als Versuch, mit dem modernen literaturwissenschaftlichen Konzept des mise-en-abyme ein Phänomen in antiken Texten zu beschreiben, mit dem deren Spezifika in besonderer Weise herausgearbeitet werden können? – Die Studie ist in jedem Fall interessant. Viele exegetische Detailbeobachtungen eröffnen einen eigenen Blick auf Gen 38, 1Sam 25 und 1Kön 13 und verbinden diese durchaus weiterführend mit der Diskussion um »in den Abgrund gesetzte« Erzählungen.