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Ausgabe:

Juni/2010

Spalte:

662-664

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Cuffari, Anton

Titel/Untertitel:

Judenfeindschaft in Antike und Altem Testament. Terminologische, historische und theologische Untersuchungen.

Verlag:

Hamburg: Philo 2007. 371 S. 8° = Bonner Biblische Beiträge, 153. Kart. EUR 22,00. ISBN 978-3-86572-573-8.

Rezensent:

René Bloch

Anton Cuffari hat ein Buch vorgelegt, das in den Hauptthesen überzeugt, einen weiten Horizont einnimmt, aber doch auch eine Reihe von Mängeln aufweist. Der Untersuchung liegt eine Dissertation an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Passau zugrunde. Einigermaßen irritierend – und durch die nachfolgende Argumentation kaum gerechtfertigt – ist der Titel des Buches, der nicht nur die Judenfeindschaft in der Antike, sondern auch im Alten Testament als Thema ankündigt. Zwar gehören nach dem Kanonverständnis C.s die Makkabäer-Bücher, die wichtigste Quelle zur Frage der Judenfeindschaft zur Zeit der Seleukiden, zum Alten Testament, dennoch ist der Titel aufgrund des für das Alte Testament beschränkten Quellenmaterials – neben den Makkabäer-Büchern werden von C. die Bücher Ester, Daniel und Judith thematisiert – zumindest ungewöhnlich. Hinzu kommt, dass es sich beim Alten Testament um kein von der »Antike« losgelöstes Corpus handelt.
Das Buch setzt mit einer recht souveränen Diskussion der in der Forschung gängigen Begriffe »Antisemitismus«, »Antijudaismus«, »Judeophobie«, »Judenhass« und »Judenfeindschaft« ein (21–55). C. wägt hier sehr umsichtig ab und entscheidet sich schließlich – sicher vertretbarerweise – für den Terminus »Judenfeindschaft«. Dass »Antisemitismus« ein Begriff des späten 19. Jh.s ist, ist wohl bekannt. Dennoch darf man sich durchaus auch jenen Forschern anschließen, die diesen Begriff als Sammelbezeichnung für judenfeindliches Denken und Agieren in der Antike zumindest nicht ausschließen. Eine Festlegung ist wohl auch nicht notwendig; vorzuziehen ist jedenfalls ein Begriff, der sich inhaltlich nicht allzu sehr festzulegen versucht (wie im Falle des Begriffs »Antijuda­ismus«, der sich zu sehr auf [scheinbar] rein religiöse Absichten konzentriert). C. definiert »Judenfeindschaft« schließlich »als eine sich von Seiten von Nichtjuden vor allem und bewusst gegen einzelne Juden, (größere) Gruppen von Juden oder die Gesamtheit aller Juden oder gegen die jüdische Religion richtende Feindschaft, die in Form von Einstellungen, Haltungen oder Handlungen ihren Ausdruck findet und die über andere Formen von Feindschaft hinausgeht« (54). C.s Kapitel spricht die Ausstrahlungen des Holocausts auf den modernen wissenschaftlichen Diskurs über die antike Judenfeindschaft nicht wirklich an. Dass dieser Diskurs von der Kenntnis über die Geschehnisse während des Zweiten Weltkriegs geprägt ist (auf ganz unterschiedliche Art und Weise), steht aber außer Zweifel.
Das zweite Kapitel der Arbeit, »Antike Judenfeindschaft in nichtbiblischen Quellen«, katalogisiert zuerst anhand der einschlägigen Motive (Sabbat, Speisegesetze etc.) viel Textmaterial, das am Schluss der Arbeit in einer Tabelle nochmals deutlicher zusam­mengestellt wird. Der Katalog judenfeindlicher Einstellungen geht über den weniger ausführlichen von K. L. Noethlichs, Das Judentum und der römische Staat (1996, 44–69) hinaus. Das Thema ist freilich nicht derart unbearbeitet, wie C. behauptet (59). Noethlichs’ Buch fehlt überdies in C.s Bibliographie, und ebenso vermisst man – dies ist gravierender – eine Rezeption von E. S. Gruens um­strittenen, aber wichtigen Werken (Heritage and Hellenism [1998] und Diaspora [2002]). Auch auf die in eine andere Richtung argumentierenden Arbeiten von E. Baltrusch wird nicht verwiesen.
C. kommt richtigerweise zum Schluss, dass es in der Antike »kein einheitliches Bild von Juden und Judentum« (107) gab. Bezüglich judenfeindlicher Handlungen schließt C., dass »Judenfeindschaft kein Charakteristikum der Antike« (163) gewesen sei – zu­mindest kein prinzipielles, könnte man vielleicht hinzufügen (ähnlich auch C. selbst: 180). Die Ursprünge der Judenfeindschaft macht C. (wie zuvor insbesondere P. Schäfer, Judeophobia, 1998) in Ägypten fest (173 f.). C. schließt sich aber gleichzeitig auch jenen an, die den Makkabäer-Aufstand und die Expansionspolitik der Hasmonäer im 2. Jh. v. Chr. als Ferment einer stärkeren Judenfeindschaft verstehen. Ob sich aber eine solche Entwicklungslinie der antiken Judenfeindschaft nachzeichnen lässt, darf bezweifelt werden.
Die Judenfeindschaft unter Antiochus IV. Epiphanes steht dann im Zentrum des dritten Teils (»Judenfeindschaft im Alten Testament«): C. legt hier eine sehr detaillierte Untersuchung von 1Makk 41–64 vor (218–308) und schließt: »Mit Sicherheit hat 1Makk 1,41 ff. historische Ereignisse vor Augen, die sich unter Antiochos IV. Epiphanes abgespielt haben und im Zuge derer die Ausübung der jü­-dischen Religion für gläubige Jüdinnen und Juden unmöglich gemacht und eine unbestimmte Anzahl von Gläubigen wegen der Ausübung ihres Glaubens mit dem Tode bestraft wurde. Auf diese Ereignisse nimmt 1Makk 1,41 ff. Bezug und deutet sie von der Schrift, von der Tora her, und zwar so, dass das Geschehene nicht nur erinnert wird, sondern für gegenwärtige und zukünftige Generationen bleibende Deutung und Gültigkeit erlangt!« (308) C. geht also auch den Antworten des Judentums auf judenfeindliche Handlungen nach (schon 204–211: Hier hätte sich der Einbezug von S. Weitzmans keckem Buch Surviving Sacrilege. Cultural persistence in Jewish antiquity, 2005, gelohnt!).
Die letzten Seiten des Buches setzen sich ausführlicher mit der »Manifestation der Erfahrung(en) der Judenfeindschaft in der Erinnerungskultur des Judentums« auseinander (309–336). C. ordnet dieser »Erinnerungskultur« (aufbauend auf den Arbeiten von Jan und Aleida Assmann) wohl zu viel Gewicht zu; vor allem zeichnet er keine Chronologie einer solchen Kultur nach, sondern schlägt den Bogen schnell einmal pauschal von der Antike »bis heute«. Gerade die Makkabäer wurden von den Rabbinen ja dann marginalisiert, und anstelle der Auseinandersetzung zwischen Seleukiden und Juden trat das Ölwunder im Tempel ins Zentrum.
Das Buch endet mit den schon angesprochenen tabellarischen Übersichten über judenfeindliche und judenfreundliche Einstellungen und Handlungen in der Antike und einer Bibliographie. Diese anregende Dissertation wird manchen als Quellenorientierung dienen, und ein Stellenindex wäre auch deswegen wünschenswert gewesen.