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Ausgabe:

Januar/1997

Spalte:

35 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Fleddermann, Harry T.

Titel/Untertitel:

Mark and Q. A Study of the Overlap Texts.

Verlag:

Leuven: University Press 1995. XI, 307 S. gr.8° = Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium, 122. Kart. BEF 1800.­. ISBN 90-6186-710-X.

Rezensent:

Wolfgang Schenk

Wenn meine letzte thematisch einschlägige Besprechung (ThLZ 117 [1992] 842 f.) aus methodologischen Gründen eher negativ ausfallen mußte, ist es geradezu eine Freude, das jetzt vorliegende Werk anzeigen zu können. In sachlicher wie methodischer Hinsicht gilt: Wir haben hier das Standardwerk vor uns, das die künftige Diskussion der Relation Q-Mk bestimmen wird. Bisherige Schein- oder Null-Argumente wie der geringe Umfang des gemeinsamen Materials oder deren große Differenzen (die schon aus methodischen Gründen als unbillige Forderungen nichts besagen können) sollten endgültig der Vergangenheit angehören (viele urteilen hier immer noch so unbedacht, als hätten sie sich vergleichsweise nie auch nur eine Kolosser-Synopse mit paulinischen Rezeptionen veranschaulicht; diese Analogie wiegt um so schwerer als auch bei Mk Paulus-Rezeptionen zu beobachten sind, also gerade diese ersten beiden nachapostolischen Schriften starke Analogien aufweisen ­ vgl. Schenk, BETL 100/2 [1992] 877-904). Hier werden nun umsichtig und mit großer Sachkunde erstmals vollständig die 29 Texteinheiten (25-208), die als ’Überlappungen’ gelten dürfen, behandelt.

Mit Recht werden die sogenannten ’Minor Agreements’ nicht mit diesen ’Dubletten’ verquickt, sondern methodisch ausgegrenzt: 10f.17 f.; vgl. dazu auch meine grundsätzliche, texttheoretische Kritik an dieser Kategorie in: G. Strecker [Hrsg.]: Minor Agreements, Göttingen [1993] 93-118: ’John and Jesus’ (Mk 1,2.7-8), ’Beelzebul and the Unforgivable Sin’ (Mk 3,22-27.28-30), ’The Parable Discourse’ (Mk 4,21.22.24cd.25.30-32), ’Mission and Signs’ (Mk 6,7-13; 8,11-13), ’Caesarea Philippi’ (Mk 8,34b.35.38), ’The Discipleship Discourse’ (Mk 9,37.40.42; 14,21; 9,50a), ’Toward the Passion’ (Mk 10,10 f.31; 11,22 f.24; 12,38 f.), ’The Eschatological Discourse’ (Mk 13,11.12.21.31.35); entgegen bisherigen Entscheidungen anderer werden dabei also auch Mk 9,40.42; 14,21; 10,31; 13,31 begründet einbezogen.

Jede Texteinheit wird in einem klaren Dreischritt behandelt: Q-Rekonstruktion, Vergleich dieser mit Mk, Prioritätsprüfung und Abhängigkeitsargumente (18-21). Dabei werden auch die jeweils einschlägigen Parallelen bei Paulus, Johannes und dem EvThomas (21 f. 217 f.) in die Diskussion einbezogen. Die oft vernachlässigte Hierarchie der Kriterien und auch der textsemiotisch relevanten Merkmale ist dabei überzeugend zur Darstellung gebracht. Was von den bisher vorliegenden fünf Einzelstudien 1981-89 des Vf.s (13 n. 46) her zu erwarten war, wird hier bestätigt und vollendet: Die mk Fassung ist in allen Fällen gegenüber der von Q sekundär (209 f.; die Einschränkung in ’Schenk 1979’ signalisierte mehr meine anfängliche Vorsicht auf diesem Terrain; sie ist im Verlauf meiner Weiterarbeit dank der Belehrung durch die in diese Richtung arbeitenden Kollegen überwunden worden); in einigen Fällen konnte klar belegt werden (z.B. Mk 1,2; 8,11-13.34b), daß Mk die Q-Redaktion voraussetzt (211-213); schließlich erklärt die (alles andere als ’konservative’) Mk-Redaktion hinreichend die Abweichungen von Mk gegenüber Q (213 f.; meine 1995 abgeschlossene Arbeit "Das biographische Ich-Idiom ’Menschensohn’ in den frühen Jesusbiographien: Der Ausdruck, seine Codes und seine Rezeptionen in ihren Kontexten", die zur Herausgabe in den FRLANT angenommen ist, wird den Weg in die gleiche Richtung weiter gehen).

Auch wer nach der Lektüre noch nicht voll von der Position überzeugt sein sollte, wie das in der angeschlossenen, umfänglichen Beurteilung von F. Neirynck (263-307) zum Ausdruck kommt, wird seinen Rat beherzigen: "But also for those who remain unconvinced by Fleddermann’s book, reading and studying it can be beneficial" (265; als eine gewisse Bestätigung Fledermanns mag gelten, daß eine Konvergenz der Ergebnisse mit der leider unter den DDR-Bedingungen unabgeschlossen gebliebenen Dissertation meines damaligen Assistenten, R. Voitzsch, zum gleichen Thema 1974 ff vorliegt, deren erster Teil als Arbeit zum 2. Theologischen Examen selbst von einem erklärten Q-Skeptiker wie T. Holtz anerkennend beurteilt wurde).

Die Konsequenzen dieser Studie sind weittragend: Das synoptische ’Zwei-Quellen-Modell’ (es ist wissenschaftslogisch "beschreibungsadäquater" von einem ’Modell’ als zu hemdsärmlich von einer ’Theorie’ zu reden) wird nicht in Frage gestellt, sondern durch diese Erweiterung eher bestätigt und verstärkt (214 f; statt nicht "beschreibungsadäquat" von einer "triple tradition" zu reden, sollte man ­ den speziellen Geltungsbereich einschränkend ­ präziser sagen: das ’Zwei-Quellen-Modell’ ist nur literaturkomparatistisch "erklärungsadäquat" für den begrenzten Geltungsbereich der Frage nach der Relation der Bücher Mk, Mt und Lk zueinander, also immer nur funktional als einer "Quelle wofür" ­ nicht aber einer unrelationalen "Quelle überhaupt" ­, wie ja die leicht irreführende Metapher ’Quelle’ in diesem Zusammenhang ursprünglich unter dem übergeordneten Aspekt der Frage, was "Quelle für historische Jesus-Sprüche" sein könnte, eingeführt wurde; sobald dann dieses Modell für den literaturgeschichtlichen begrenzten Geltungsbereich ’Mk/Mt/Lk’ als "erklärungsadäquat" anerkannt ist und als neue Entität die Größe ’Q’ als Erklärungsfaktor eingeführt hat, erhebt sich überhaupt erst als neue Frage die nach dem Verhältnis von Q und Mk; dafür kann das ’Zwei-Quellen-Modell’ gar nicht zuständig sein, da es zu den methodologischen Voraussetzungen gehört, auf dessen Basis sich nun erst die neue Frage überhaupt erst erhebt).

Q ist tatsächlich das ’erste Evangelium’ im Stil einer philosophischen ’Lehrer-Biographie’ (214 f.; vgl. dazu nun auch grundlegend wegweisend: F. G. Downing, A Genre for Q and a Sozio-cultural Context for Q: Comparing Sets of Similarities with Sets of Differences, JSNT 55 [1994] 3-26); das macht den erweiternden Weg des Mk zur Schaffung einer ’Lehrer/ Schüler-Biographie’ verständlich.

Da hier bei zwei frühen schriftliche Zeugnissen eine Interdependenz nachzuweisen ist, wird der Bereich einer angenommenen ’mündlichen Tradition’ noch weiter abgebaut (20 gegen Kelber). Ebenso wächst die Skepsis gegen ein evolutionistisches und gattungsdeduktiv vorgehendes Konzept von mehreren früheren Q-Stadien (215 f.; die dabei vorausgesetzten Alternativen ’Weisheit’ oder ’Prophetie’ erweisen sich als wissenschaftslogisch ohnehin "inkohärente Abstraktionen" als falsche Alternativen, und der Streit darüber ­ wie er etwa von J. M. Robinson und M. Sato in EvTh 53 [1993] 367-389.389-404 geführt wurde ­ als gegenstandsloser ’Streit um des Kaisers Bart’). Hinsichtlich einer textarchäologischen Suche nach Jesus-Sprüchen wird das immer noch wiederholte Argument einer ’mehrfachen Bezeugung’ an seinem entscheidenden Brückenkopf abgebaut (3.218). Die ikonisch geniale Vignette auf dem Umschlag dieses Bandes verdient ob ihrer ästhetischen Eindrücklichkeit für den Sachverhalt ’Mk/Q-Overlap’ ein besonderes Lob: "Mark knew and used Q" (214); "Mark knew redactional Q" (208).