Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/2010

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Graf, Friedrich Wilhelm

Titel/Untertitel:

Missbrauchte Götter. Zum Menschenbilderstreit in der Moderne.

Verlag:

München: Beck 2009. 208 S. m. Abb. 8°. Kart. EUR 18,90. ISBN 978-3-406-58478-7.

Rezensent:

Peter Antes

Das hier zu besprechende Buch geht auf drei Vorlesungen zurück, die Graf auf Einladung des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen 2008 im Foyer der Aalto-Oper gehalten hat (vgl. 17). Er tat dies »als protestantischer Theologe und versteht sich trotz intensiv gelebter ästhetischer Vielfaltsfreude durchaus nicht als ›Vielgötterer‹« (10 f.). Es interessiert ihn in dieser hochgelehrten Studie die »Glaubensanalyse, ein besseres Verständnis der religionskulturellen Entwicklungen in der Moderne seit 1800 und speziell der wenig übersichtlichen religiösen Lage der Gegenwart. Skizziert werden die moderne Inflation von allen möglichen Spezialgöttern, die Debatten ums richtige ›Menschenbild‹ und der schnelle Verschleiß von ›Menschenwürde‹-Semantik« (13). All dies geschieht in den vier folgenden Kapiteln: Gottesbilder, Ebenbilder, Menschenbilder und Gottesgnadenwürde.
Gottesbilder gibt es viele – auch und vor allem in der mono-­­theistischen Tradition des Christentums. Da ist vom »Kirchengott« die Rede, für Martin Luther »ein Klerikalgötze, den die Kirche des teuflischen Antichristen auf dem Bischofsstuhl zu Rom sich selbst erfunden hat« (20), gefolgt von anderen Gotteswörtern wie Stiefgott, Wahngott oder Traumgott, dann wird von den Göttern aus der Mythologie und der Götterdämmerung gesprochen, bis hinein in die diversen Bilder der theologischen Ausdrucksweisen, die alle nur das Eine zeigen: Die Gottesbilder sind Projektionen der Wünsche der Menschen. »Doch der eine Gott geht in den vielen Bildern nicht auf, die die Menschen sich von ihm machen.« (81)
Die Ebenbilder vertiefen den Aspekt der Gottebenbildlichkeit und seiner unterschiedlichen Auslegungen hinsichtlich des Gottesbildes, die Menschenbilder thematisieren diesen Gedanken mit Blick auf das Menschenbild. Sie bleiben jedoch nicht auf die theologischen Menschenbilder begrenzt. Auch das nationalsozialistische und das sozialistische Menschenbild sowie das der modernen Hirnforschung werden in die Betrachtung einbezogen. Als Fazit wird festgestellt: »Menschenbilder werden zu Götzen, wo man ihnen eine Sakralaura und Wertemacht zuspricht. Menschenbilder sind gefährlich, weil sie selbst Ebenbild sein wollen. Sie sind es aber nicht, Gott sei Dank: dem unsichtbaren Geistgott, der jedes unserer Bilder transzendiert.« (176)
Das zweifellos engagierteste Kapitel des Buches ist das letzte über die Gottesgnadenwürde. Es zeigt zunächst, wie lange es so­wohl im Katholizismus als auch im Protestantismus gedauert hat, bis sich die Rede von der Würde des Menschen theologisch in den üblichen Nachschlagewerken der Theologie sowie bei den Theologen selbst durchgesetzt hat. Als Beleg für diesen langen Weg sei hier nur Karl Barth erwähnt, der 1938 in Band 1/2 seiner Kirchlichen Dogmatik »die Rede von einer eigenen Würde des Menschen als theologisch illegitim« abgelehnt (183) hat. Politischer Anpassungsdruck von außen und eine immer wieder neue Diskussion von innen haben schließlich dem Gedanken der Würde des Menschen zum Durchbruch innerhalb der großen Kirchen in Deutschland verholfen, so dass G. mit Recht schreibt: »Die beiden großen Kirchen im Lande haben ›die Menschenwürde‹ weitgehend erst entdeckt, als sie im Rechtssystem der Bundesrepublik bereits zur ›Grundnorm‹ avanciert war.« (199) In anderen Bereichen besteht eine deutliche Dichotomie zwischen Theorie und Praxis. In der Theo­rie treten die Kirchen für eine klare Trennung zwischen Politik und Religion ein und fordern ein Solches auch von den Muslimen (vgl. 197). »De facto aber lässt sich im politischen Alltag viel Klerikalmacht beobachten« (195), wie das Beispiel der Verhinderung der Ernennung von Horst Dreier zum Bundesverfassungsrichter durch die Kirchen trotz des weltanschaulich-neutralen Staates 2008 zeigt. – Die Beispiele zeigen, dass es sich lohnt, G.s Buch zu lesen und seine Einzelbeispiele ebenso zu diskutieren wie sein Grundanliegen, das in Anlehnung an das biblische Bilderverbot lautet:
»Niemand geht in den Bildern auf, die er von sich selbst gemacht hat. Jeder (und jede) ist viel mehr und anderes als er (oder sie) an oder von sich selbst wahrzunehmen vermag. Mit dem Bilderverbot schützt Gott vor unserer Be­mächtigung. Und die Unantastbarkeit unserer Würde haben wir nicht selbst erarbeitet, sondern sie ist vom unantastbaren Gott selbst garantiert. Hüten wir uns also vor unserem Selbstbildzwang. Er spiegelt nur jenen amor sui, der im theologischen Diskurs einst als Inbegriff menschlicher Sünde erkannt worden war. Jetzt wird er in manchen religiösen Menschenbilddiskursen als große Leistung ›des Christentums‹, ›der Kirche‹ gefeiert. Aber die Würde des Menschen liegt gerade darin, dass allein Gott selbst ein angemessenes Bild jedes Einzelnen seiner vornehmsten Geschöpfe zu erzeugen vermag.« (202)