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Ausgabe:

Juni/2010

Spalte:

655-657

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Esposito, John L., Fasching, Darrell J., and Todd Lewis

Titel/Untertitel:

Religion & Globalization. World Religions in Historical Perspective.

Verlag:

New York-Oxford: Oxford University Press 2008. X, 609 S. m. Ktn. gr.8°. Kart. £ 40,00. ISBN 978-0-19-517695-7.

Rezensent:

Ulrich Dehn

Mit Esposito, Fasching und Lewis haben hier drei namhafte amerikanische Religionswissenschaftler den Versuch unternommen, unter den Bedingungen der Einsicht in die faktische und gefühlte Globalisierung, Pluralität und Internationalisierung von Gesellschaften, Kulturen und Religionen die Geschichte der großen religiösen Traditionen neu zu schreiben. Diese Arbeit folgt unter neuer Konzeption dem früheren Buch World Religions Today von 2002 und versucht, der Rolle der Religionen in ihrem Einfluss auf soziale und politische Ereignisse Rechnung zu tragen. Ihre konzeptionelle Einleitung kann auch als ein Weiterdenken früher Arbeiten von Peter L. Berger und des gleichnamigen Buchs von Peter Beyer (1994) gelesen werden und führt folgende Koordinaten für eine Neubesinnung auf die Religionsgeschichte an: die Rolle der Medien in der Schaffung einer kognitiven Internationalität, die zur Präsenz des Denkens zugleich an allen Orten und zur Interdependenz der Religionen führt, der Verlust eines (normativen) »Zentrums« und der »großen Erzählung« ( great narrative), also das, was die wichtigsten Merkmale der Postmoderne ausmacht, schließlich das Wiedererstehen und -erstarken des Religiösen. Weltreligionen sind in enger Verbindung zur Macht und insofern mit der Herausbildung von Großreichen entstanden. Jede große Kultur entwi­ckelte ihre eigenen Mythen, Geschichten, in denen sie lebte: In China stand die Harmonie im Vordergrund, in Indien die Befreiung, im Mittleren Osten die Geschichte. In diesen Geschichten leben die Menschen (»storydwellers«), sie sind darin geborgen und finden ihre Identität. Der Ort, an dem die Mythen ihren Platz haben, ist die sacred reality, die sich aus der Riten begehenden Gemeinschaft bildet. Dies ist der Religionsbegriff, mit dem die Autoren eine Balance halten zwischen minimalistischen Religionsbegriffen der »Sinnsuche« und einem alten substanzialistischen Denken der Bezogenheit auf Gott/das Heilige à la Rudolf Otto oder Friedrich Heiler, in lockerer Anlehnung an Martin Riesebrodt (der allerdings nicht zitiert wird). Die Autoren möchten in Orientierung an den hier dargelegten Erkenntnissen ihre Neuschreibung der Religionsgeschichte auf die Herausforderungen der Moderne (Prämoderne, Moderne, Postmoderne) anwortend ordnen und in diesem Sinne eine integrierte soziale und politische Geschichte der Religionen schreiben. Darüber, ob »Moderne« und »Postmoderne« als ge­schichtliche Epochen und nicht eher als Diskursbegriffe betrachtet werden sollten, kann gestritten werden, aber es geht den Autoren auch hauptsächlich um die mit den Begriffen verbundenen Sachkonnotationen.
Den Weltreligionsüberblicken ist gemeinsam, dass sie jeweils mit Schlaglichtern in gegenwärtige Kontexte hinein beginnen. So ist es zu Beginn des Christentumsabschnittes ein Blick in eine charismatische Gemeinde im mittleren Westen der USA, in eine dörfliche Gemeinde in Afrika, die starken Gebrauch von ihren Stammesgesängen macht, und eine kleine Quäkergemeinde in England, die im stillen Gebet zusammensitzt. Das ist die »un­glaubliche Vielfalt« (incredible diversity, 38), die sich im Judentum in der Gleichzeitigkeit von ultra-orthodoxen Juden in Jerusalem und einer New Yorker Reformgemeinde mit einem von einer Rabbinerin geleiteten Synagogengottesdienst äußern kann (109). Nicht viel anders ist es mit dem Islam: Auch wenn an allen Orten der Welt, wo Muslime leben und beten, sie fünf Mal am Tag zum Gebet gerufen werden, sind an einigen Orten Frauen in modischer Kleidung zu sehen und als Ingenieurinnen, Architektinnen, Hochschullehrerinnen tätig, an anderen Orten mit geschlechtertrennenden Gesellschaften sind keine gebildeten Frauen in der Arbeitswelt wahrzunehmen (187): Jede Religion zeigt ihre vielen Gesichter, die auf je unterschiedliche Weise zustande kamen und unterschiedlich kodiert werden. Erst nach einem Introitus, der die Religion im heutigen Kontext skizziert, werden kurze Grundlageninformationen geboten, die wiederum insbesondere die gesellschaftliche Einbindung in den Fokus bringen. Einzelne Stränge religiöser Traditionen werden nicht in ihrer gesamten ge­schichtlichen Entwicklung in einem einzigen Ab­schnitt nachgezeichnet, sondern jeweils als Bestandteile der Epochenabschnitte, so die Sikhs seit ihrer Genese an der Wende vom 15. zum 16. Jh. in drei Phasen über das Hinduismus-Kapitel verteilt. Im Gefolge der Kontext- und Sozialorientierung kommt beim Bud­dhismus schon zu Beginn der »Engagierte Buddhismus« in seinen namhaften Vertretern Thich Nhat Hanh und Sulak Sivaraksa zu Wort, bevor die Gründungsgeschichte (Biographie des Buddha, Ele­-mente der Lehre) wiedergegeben wird. Die Ausbreitung des Bud­dhismus wird politisch verortet mit dem Scheitern des Alexanderzugs am Indus und der entsprechenden Ausbreitung des Maurya-Reichs und seines letzten Kaisers Ashoka verknüpft. Wie auch die anderen endet dieses Kapitel mit Schlaglichtern auf aktuelle Ereignisse aus den letzten ca. 30 Jahren. Ein wichtiger Aspekt, der in keinem Kapitel fehlt, ist der aktuelle Blick auf Riten und Feste, also das, was in der Einleitung mit dem Begriff der »sacred reality« verknüpft wurde.
Die ostasiatischen Systeme des Daoismus und des Konfuzianismus werden an der chinesischen Geschichte entlang erläutert, außerdem jedoch wird auf koreanischen Buddhismus, auf japanischen Shinto, den Kult der Sonnengöttin und andere Aspekte der (vermeintlichen) Zivilreligiosität in Ostasien eingegangen. Der Ausklang des Kapitels mit kurzen Blicken auf religiöse Phänomene der letzten Jahrzehnte wie die neuen religiösen Bewegungen in Japan überschneidet sich bereits ein wenig mit dem letzten kurzen Kapitel zum unzweifelhaften Resultat der religiösen Globalisierung: neue Religiosität und New Age Religiosität. Hier kommt allerdings nicht nur das klassisch »Esoterische« zu Wort, sondern auch (noch einmal) Aum Shinrikyo, die Rezeption der Geschichte von Barlaam und Josaphat (Tolstoy), Gandhi und Martin Luther King.
Die integrative Sicht, die hier noch einmal zusammenbindet, was sonst in unterschiedlichen Zusammenhängen genannt werden würde, veranschaulicht einmal mehr den Anspruch der Autoren, Religion als einen untrennbaren Bestandteil eines internationalisierenden Prozesses von Denken und Kommunikation zu begreifen, der soziale, politische und volkstümliche Dynamiken einbegreift und spiegelt. Jedes Kapitel endet mit Fragen, die weniger als Lernkontrollfragen zu verstehen sind denn als Erörterungs- und Problemfragen auf dem Hintergrund eines angebotenen Diskursaufrisses. Glossare, Schlüsselbegrifflisten und kurze Lite­-raturlisten zum Weiterlesen machen dieses Buch als Lehrbuch be­nutzbar: Jeder Abschnitt für sich ist als eine kompakte und zu­gleich prägnant dem ursprünglichen Konzept folgende Gesamtdarstellung einer religiösen Tradition zu lesen. Traditionelle Ele­mente der Darstellung werden aufgelockert durch unerwartete Einsichten, aktuelle Informationen und analytische Erkenntnisse aus der neueren Literatur. Zugleich hinterlässt das Buch – durchaus im positiven Sinne gemeint – den Eindruck eines Aperitifs: Nach der konzeptionell relativ anspruchsvollen Einleitung kann ein 600-seitiges Buch natürlich nicht die vollgültige Ausführung dessen bieten, was mit der Verknüpfung von Religion und Globalisierung angekündigt wird. Eher wirkt es wie die Ankündigung eines umfassenderen Projektes, das die vorhandenen religionsgeschichtlichen Werke noch einmal gründlich auf den Kopf stellen möchte – jedenfalls macht dies höchst empfehlenswerte Buch Lust auf ein solches Unternehmen.