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Ausgabe:

Januar/1997

Spalte:

32–34

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Chow, Simon

Titel/Untertitel:

The Sign of Jonah Reconsidered. A Study of Its Meaning in the Gospel Traditions.

Verlag:

Stockholm: Almqvist & Wiksell International 1995. 244 S. gr.8° = Coniectanea Biblica. New Testament Series, 27. Kart. SEK 182.­. ISBN 91-22-01695-3.

Rezensent:

Marco Frenschkowski

Nach einer Auszählung von G. Snyder (im hier angezeigten Werk referiert 207) ist der Jona-Zyklus das schlechterdings am häufigsten belegte Bildmotiv der christlichen Kunst der vorkonstantinischen Epoche. Dabei ist zwar in Rechnung zu stellen, daß sich Auferstehungssymbolismen auf Sarkophagen und in der Katakombenmalerei (unseren wichtigsten Zeugnissen) besonders nahelegen mochten, doch spricht die Häufung auch mit dieser Einschränkung als kunstgeschichtliches Indiz ganz eindeutig für die immense Rolle, die das Jonabuch in der Imagination der frühen Christen spielte. Ein zentraler ntl. Bezug auf Jona ist das "Jona-Zeichen", wie es im Rahmen eines längeren recht sicher rekonstruierbaren Q-Komplexes aus Mt 12,38-42 und Lk 11, 29-32 (vgl. 11, 16) bekannt ist. Aber was genau meint "Zeichen des Jona"?

Das Hauptproblem ist die Konkurrenz zwischen Mt 12, 40 und Lk 11,30. Simon Chow (Lutheran Theological Seminary, Hong Kong) bietet zu dieser Zielfrage seiner Monographie einen knappen Forschungsüberblick, der auch Kuriosa berücksichtigt (11-19), eine Rückfrage nach dem Jonabild der antiken jüdischen Überlieferungen ( 25-44), sorgfältige Exegesen der betreffenden Matthäus- und Lukaspassagen (je im größeren Kontext, 45-93 und 95-145), weiter eine Rekonstruktion des gemeinsamen griechischen Q-Textes (147-174) und schließlich einen Ausblick auf die Entwicklungen des Jonastoffes und seiner Symbolik in der Alten Kirche und in der frühchristlichen Kunst (175-210).

Ch.s Gang durch altjüdische Bezüge auf den Jonastoff (Hauptstellen: 3. Makk. 6, 8; v. prophet. 10; Joseph., ant. IX, 205-14; Ps.-Philon, de Jona [nur armenisch erhalten]; Frg.-Targum und Neofiti I zu Dtn. 30, 12 f.; mTa’an. 2, 4) führt zu einer Reihe interessanter Ergebnisse: Ein wichtiger Schwerpunkt der Deutungen liegt auf der wunderbaren Rettung Jonas, die als direktes Eingreifen Gottes verstanden wird. Nach v. prophet. 10, 6 ist Jona ein Zeichen für die Zerstörung Jerusalems (ein "Zeichen" ist auch die Rettung Jonas, etwa PRE 10). Mehrfach wird der Prophet mit dem von Elijah von den Toten erweckten Knaben identifiziert (v. prophet. 10, 6; Gen. R. 98, 11; Midr. Ps 26, 7; PRE 33), wodurch die Nähe zum Thema "Rettung aus dem Totenreich" verstärkt wird. Für Josephus ist Jona aus-schließlich Unheilsprophet (ähnlich v. prophet.) ­ von einer nachfolgenden Umkehr der Niniviten ist nicht die Rede.

Matthäus hat das Jona-Zeichen typologisch im Sinne von Tod und Auferstehung Jesu verstanden (88), Lukas dagegen sieht darin die Predigt der Kirche selbst, deren Inhalt der auferstandene Jesus ist ( 118. 142). Lk 11,30 wird im Konsens mit der Forschung als gegenüber Mt 12, 40 primär angesehen. Für Q zieht Chow eine Linie zu jenen altjüdischen Jona-Interpretationen, die Jona ganz als Ankündiger des Unheils profilieren. Im großen und ganzen ist seine Rekonstruktion des Q-Textes und -Kontextes plausibel (148-150). Über Details kann man natürlich anders denken. Z. B. hält Ch. in Abweichung von der Mehrheit der Ausleger in Lk 11,20 par. Mt 12,28 "Geist" gegenüber "Finger" für ur-sprünglich (129-132), was mir angesichts der redaktionsgeschichtlichen Parallele Lk 6,20b par. Mt 5,3 wenig plausibel scheint. Die Reihenfolge der Stücke des anzunehmenden Q-Kontextes wird wie folgt bestimmt: Q 11,1 f. 17-23.16. 29-31.24-26, d. h. der Matthäusordnung wird die Priorität eingeräumt. Auch dafür sind die Argumente (aber in beide Richtungen) nicht zwingend. In Bezug auf die Frage, was das Jona-Zeichen bedeutet haben könnte,werden alle drei Möglichkeiten diskutiert: Jona als Bußprediger, als Typos der Auferstehung und als prophetischer Ankünder des Unterganges (161-167). Die erste und zweite Möglichkeit versucht Ch. zu widerlegen. Dabei gewinnt seine Argumentation allerdings an zumindest einer Stelle die Struktur eines Zirkels: Weil Q nicht von der Auferstehung Jesu spricht, kann diese auch Q 11,29 nicht gemeint sein, und weil Q 11,29 nicht auf Ostern zielt, bleibt es bei der beliebten Gesamtsicht von Q als einem Dokument ohne Osterkerygma... (In Wahrheit stößt sich diese Gesamtsicht von Q als Urkunde einer später als defizitär empfundenen Christologie doch wohl mit seiner Verwendung als autoritativer Texte bei Mt und Lk, vielleicht auch Jak und 1Petr). Das Jona-Zeichen in Q "is most likely to refer to JesusŒ coming as the judge of ’this generation’ in the parousia" (165). Einige altjüdische Zeugnisse gehen übrigens davon aus, daß die Jonaprophetie schließlich doch eingetroffen sei (Tob 14,4.8. [vielleicht sekundärer Einschub]; PRE 43; impliziert auch Joseph., ant. IX, 214). Damit wird ­ trotz meiner methodischen Bedenken ­ die Intention von Q getroffen sein, zumal der Gesamttenor der Aussage als eines Gerichtswortes nur so gewahrt ist.

Die Kirchenväter schreiben einheitlich die Deutung des Matthäusevangeliums fort (192) und werten Jona weiter zum Typos der Menschheit als ganzer auf (193). Ähnlich die christliche Grabkunst der vornizäischen Zeit (nur diese wird untersucht). Seltsamerweise geht Ch. nur ganz beiläufig auf die markinische Fassung der Zeichenforderung ein (Mk 8,11 f.), die zu der Doppelüberlieferung Mt 16,1.2a.4 führt (16,2b-3 sind textkritisch sekundär). Das heißt aber auch, daß er nicht über Q zurückfragt. Ist Q über die Markustradition hinaus erweitert (kein Zeichen ­ nur das Zeichen des Jona)? Im Sinne von Ch.s plausibler Interpretation stehen beide Fassungen sachlich im Rahmen der jesuanischen Gerichtspredigt so dicht beieinander, daß man tatsächlich mit zwei gleichermaßen alten Überlieferungsstücken rechnen muß. Zu erwägen ist auch, ob eine Chiffre wie das Jona-Zeichen nicht auf jeder Überlieferungsstufe einen "Symbolüberschuß" besitzt, der immer neue christologische Erkenntnisse freisetzen konnte (Ch. rechnet eher linear mit klar definierten Bedeutungen).

Interessant wären weiter zwei sich doch unmittelbar aus dem Text ergebende Fragen gewesen, die der Autor leider nicht thematisiert: was bedeutet die Verweigerung des Zeichens grundsätzlich, und warum fordern die Gegner Jesu ein Zeichen vom Himmel? Für diese zweite Frage reicht es nämlich als Erklärung gewiß nicht aus, das Himmelszeichen bezöge sich auf "something spectacular" (112). Interessant ist schon die Beobachtung, daß von einer Überlegenheit der himmlischen über die irdischen Zeichen auch in ganz anderen religiösen Zusammenhängen im Umfeld des frühen Christentums die Rede ist: Ovid, fasti I, 447 f. (Omina der Vogelwelt sind verläßlicher als solche der Erde, weil die Vögel näher bei den Göttern leben); ein Gesetz des Clodius aus dem Jahr 58 v. Chr. erklärt grundsätzlich die Überlegenheit der Zeichen "aus dem Himmel" (wörtlich wie in Q) über die aus irdischen Wahrsagemedien erhobenen (Dio Cass. XXXVIII, 13, 3).

Im Judentum erinnere ich noch an Sifre Dtn. 83, 3, wo es um die Legitimität von Propheten nach Dtn. 13 geht. Sowohl Zeichen auf der Erde als auch am Himmel unterliegen nach diesem Zeugnis dem zentralen Kriterium der Jahwe-Orientierung und Bundestreue. Mit solchen Affinitäten ist aber noch keine ausreichende Erklärung gegeben. Man wird gerade für die Logienquelle nicht fehlgehen, einen Zusammenhang mit der voranstehenden Beelzebul-Perikope zu vermuten. Irdische Zeichen sind ambivalent; sie können sich auch dem Fürsten der Finsternis verdanken.

Im Himmel aber haben die bösen Geister keine Macht: Ein Himmelszeichen allein könnte Jesus aus der Doppeldeutigkeit seiner irdischen Zeichen (Heilungen und Exorzismen) entheben (vgl. Off 12,1). Das Johannesevangelium hat dann klar erkannt, daß eine Disambiguierung der Taten Jesu auch nicht über ein Himmelszeichen möglich ist (Joh 12,2 f.). In Bezug auf die Verweigerung eines Zeichens als solche (sowohl die markinische als auch die Q-Fassung reden von einer Verweigerung!) ist auf den großen Motivkomplex eines endzeitlichen Offenbarungsschwundes bzw. eines Erlöschens der Prophetie hinzuweisen, der vielfach in das apokalyptisches Paradigma einer zeitweise abbrechenden Kommunikation zwischen himmlischer und irdischer Welt im Zuge eines Gerichtsgeschehens integriert wurde. Die Frage nach einem legitimierenden Zeichen ist für einen Propheten im Rahmen des antiken Judentums nicht illegitim (vgl. 62 A. 31): Um so mehr muß Jesu Antwort befremden und also im Kontext frühchristlicher (und jesuanischer?) Eschatologie erklärt werden. Und wenn das Wort vom Jona-Zeichen Teil der jesuanischen Gerichtspredigt ist, teilt es dann mit z. B. Mk 12,1-12 den Charakter einer "paradoxen Intervention" (Klaus Berger)?

Solche größeren theologie- und religionsgeschichtlichen Zu-sammenhänge kommen in der vorliegenden Monographie etwas zu kurz. Im Rahmen ihres engeren Fragehorizontes aber darf die sorgfältige und nüchterne Untersuchung Ch.s nur nachhaltig empfohlen werden (nur das Literaturverzeichnis ist offenbar ein wenig rasch zusammengestellt und enthält diverse auf der Hand liegende Fehler).