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Ausgabe:

Mai/2010

Spalte:

630-633

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Roddey, Thomas

Titel/Untertitel:

Das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen. Die Erklärung »Nostra aetate« des Zweiten Vatikanischen Konzils und ihre Rezeption durch das kirchliche Lehramt.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2005. 265 S. gr.8° = Paderborner Theologische Studien, 45. Kart. EUR 38,00. ISBN 978-3-506-71381-0.

Rezensent:

Eckhard Zemmrich

Zu einer Zeit, in der mit der Auseinandersetzung um die Haltung des Vatikans zur Piusbruderschaft ein innerkirchliches Ringen um Verständnis und Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils deutlich erkennbar ist, greift man mit besonderem Interesse zu dieser römisch-katholischen Paderborner Dissertation, welche die Erhellung des sich wandelnden Auslegungs- und Bedeutungshorizontes eines religionstheologischen Impulspapiers über 40 Jahre hinweg zu leisten verspricht. Der Titel des Buches enthält allerdings bereits eine doppelte Einschränkung: Mit »Kirche« ist hier umstandslos die römisch-katholische Kirche gemeint, und behandelt wird lediglich die kirchenlehramtliche Rezeption von »Nostra Aetate« (NA).
In drei Schritten nimmt R. die dennoch weitgespannte Aufgabe in Angriff: Ein erster, einführender Teil thematisiert die Aussagen des Zweiten Vatikanums zu nichtchristlichen Religionen, während der zweite, umfangreiche Hauptteil die lehramtliche Rezeption von NA nachzeichnet. Ein dritter, vergleichsweise knapp gehaltener Teil wird schließlich als »Theologische Auswertung des Rezeptionsvorgangs« vorgestellt.
Methodisch schlüssig beginnt der erste Teil mit Erwägungen zu einer speziellen Konzilshermeneutik, um die Spannungen zwischen den in den konziliaren Konsenstexten vereinigten theologischen Positionen von »Konservativen« und »Progressiven« angemessen, und das heißt »im Geist des Konzils« doch eine Einheit bildend, auslegen zu können. Zwei Beiträge zur entsprechenden Fachdiskussion werden vorgestellt (H. J. Pottmeyer und W. Kasper) und mit der Suche nach einem hermeneutischen Schlüssel zur Beantwortung der Frage nach Heilsmöglichkeiten für Nichtchris­ten vertieft. Die hierfür namhaft zu machenden ekklesiologischen, christologischen und pneumatologischen Perspektiven in den verschiedenen Konzilstexten dienen R. später der systematischen Zuordnung zu den drei gängigen religionstheologischen Modellen des Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus. In den maßgeblichen Konzilstexten vereint, widersprächen diese einander nicht, sondern machten »die Überzeugung der Konzilsväter von der Heilsmöglichkeit der Nichtchristen glaubwürdiger, da sie von mehreren Standpunkten aus begründet werden« könne (28).
Informative Einführungen in die Entstehungsgeschichte von NA sowie zu Sprache und lehramtlichem Status der Konzilsdokumente rahmen sodann eine dem Textverlauf folgende erläuternde Inhaltsangabe von NA ein.
Unter den theologischen Aussagen des Konzils als besonders fruchtbar für die Rezeptionsentwicklung wird neben der angenommenen »Hinordnung« der Nichtchristen zum Volk Gottes in der Kirchenkonstitution »Lumen Gentium« der christologisch-pneumatologische Ansatz der Pastoralkonstitution »Gaudium et spes« herausgehoben, nach dem die Teilhabe von Nichtchristen am Heil über den Heiligen Geist als »Verbindung« mit der erlösenden Hingabe Christi am Kreuz, dem »Paschamysterium« zu verstehen ist: »Damit ist Heil, wo auch immer es erfahren wird, stets Partizipation am österlichen Geheimnis von Kreuz und Auferstehung.« (61) Wenn Heil so auch für Nichtchristen als möglich erachtet wird, stellt sich die Frage, »warum die Kirche ihrer missionarischen Be­auftragung weiterhin nachgehen muss«. Diese werde »vom Konzil nicht theologisch befriedigend beantwortet« (68).
Der sich der Rezeption von NA widmende zweite Teil beginnt nicht, wie nach dem Aufbau des ersten Teils eigentlich zu erwarten, mit Erwägungen zu einem geeigneten Rezeptionsverständnis; solche Überlegungen finden sich vielmehr am Schluss des Buches, im dritten Teil. Hier wird zunächst ein als »vorläufig« bezeichneter Rezeptionsbegriff eingeführt, der im Anschluss an Rüdiger Althaus sehr allgemein als »›kommunikatives Geschehen‹ in der Kirche« (76) formuliert ist, ebenso allgemein wie die Aufgabenstellung für den zweiten Teil: Der lehramtliche Rezeptionsprozess soll »beschrieben werden durch die Darlegung nachkonziliarer lehramtlicher Äußerungen« (77). Dafür werden für das Thema relevante lehramtliche Verlautbarungen, päpstliche – zum Teil kaum bekannte – Reden sowie Zeugnisse von interreligiösen Begegnungen herangezogen.
Der erste behandelte Text ist die Antrittsenzyklika Pauls VI. »Ecclesiam Suam« (ES) – 1964 vor der Fertigstellung von NA veröffentlicht und damit selbst zum Rezeptionsgegenstand dieses sowie anderer noch in Erarbeitung befindlicher Konzilstexte ge­worden. Der dort eingeführte Begriff zur Bezeichnung der angestrebten Kommunikationsform mit den Nichtchristen lautet »colloquium«; er wird in der deutschen Fassung mit »Dialog« übersetzt, so wie später auch in NA. In anderen Konzilstexten wird dagegen auch der Begriff »dialogus« verwendet, so etwa in der Pastoralkonstitution. R. macht auf die unterschiedliche lateinische Begrifflichkeit bei gleicher deutscher Übersetzung aufmerksam. Mit Verweis auf die Bedeutungsverwandtschaft beider Begriffe und die »zunehmende Bedeutung und Popularität des im internationalen Sprachgebrauch verwendeten Wortes Dialog« (83) lässt er jedoch diesen Un­terschied auf sich beruhen. Eine eingehendere Untersuchung wäre hier wünschenswert gewesen, ebenso wie eine Erhellung des Hintergrundes für die theologisch qualifizierte Verwendung des Dialogbegriffs, den z. B. Peter Neuner – in einer von R. selbst verwendeten Publikation – in der Ökumenischen Bewegung verortet. Mitunter kommt es auch zu theologisch relevanten Unstimmigkeiten in der Textwiedergabe, etwa wenn R. bei der Vorstellung des Modells der konzentrischen Kreise hier in ES beim dritten Kreis vom besonderen Gruß des Papstes an »die am Konzil teilnehmenden Vertreter der getrennten Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften« spricht (88, Hervorhebung von mir). Diese Differenzierung, die, in »Dominus Iesus« verwendet, im Jahr 2000 starken Widerspruch protestantischer Kirchen provozierte, findet sich im besprochenen Text gar nicht, hier ist lediglich von »Ecclesiae seiunctae«, von »abgesonderten Kirchen« die Rede.
Die stets sorgfältigen Quellenangaben erlauben jedoch in jedem Fall eine Überprüfung der getroffenen Bewertungen, ja, schwerer zugängliche Texte sind in den Fußnoten sogar ausführlich zitiert und stellen so eine Fülle authentischer Aussagen bereit. In ge­schick­ter Anordnung der verschiedenen Quellen identifiziert R. einen Rezeptionsprozess, der mit Theologie und Dialogpraxis Johannes Pauls II. seinen bisherigen Höhepunkt finde: Wurde in ES der »Heilsdialog« als zeitgemäßes Mittel zur wirksameren Verkündigung der christlichen Botschaft angesehen, gehe es seit NA beim interreligiösen Dialog um die Förderung der Einheit und Liebe unter den Menschen, die unter dem Pontifikat Johannes Pauls II. eine Zuspitzung auf das Ringen um ein friedliches Miteinander angesichts zahlreicher bewaffneter Konflikte erfahre. Diese Fokussierung gehe mit einer Bemühung um klarere Zuordnung von Mission und Dialog einher, um synkretistischer und pluralistischer Vereinnahmung zu begegnen. Dazu werde der christologisch-pneumatologische Ansatz weitergeführt, demgemäß der übergeordnete Sendungsauftrag der Kirche seine Verwirklichung in Dialog und Verkündigung findet. Wobei Letztere von dem be­scheidenen Wissen um die Liebe Gottes zur ganzen Schöpfung, um seinen universalen Heilswillen und die nicht zu beschränkende Gegenwart des Heiligen Geistes geprägt sei.
Durch die Aufnahme von Betrachtungen zum Sekretariat für Nichtchristen und seiner Wandlung zum Päpstlichen Rat für in­terreligiösen Dialog findet auch die institutionelle Rezeption des II. Vatikanum gebührende Beachtung; ebenso fließt das authentische Dialogverhalten Johannes Pauls II. in die Betrachtung ein – u. a. bei den beiden Gebetstreffen von Assisi 1986 und 2002. Insgesamt sieht R. einen »kreativen und dynamischen Rezeptionsprozess« (246) innerhalb des kirchlichen Lehramtes – mit geringen, aber beachtenswerten Einschränkungen: So wird dem »Katechismus der katholischen Kirche« (1992) eine verengende Konzilsrezeption be­scheinigt, während die stellenweise »äußerst be­fremdend[e] ... Re­deweise« in Dominus Iesus (2000) und irritierende Aussagen in Die Schwelle der Hoffnung überschreiten (1994) mit der notwen­digen Abgrenzung gegenüber pluralistischen Religionstheologien erklärt werden.
Der dritte Teil des Buches enthält neben einer Zusammenfassung des bisher Dargelegten die knappe Vorstellung dreier theologischer Rezeptionsmodelle (A. Grillmeier, H. J. Pottmeyer, W. Beinert) im Dienst einer ebenfalls sehr knapp gehaltenen abschließenden theo­logischen Bewertung des Rezeptionsvorgangs. Dabei wird festgestellt, dass »das Lehramt der katholischen Kirche den Öffnungsprozess des Zweiten Vatikanums gegenüber den nichtchristlichen Religionen nachhaltig« (242) und lebendig fortführt, wie in »einer sich spezifizierenden religionstheologischen Argumentation«, »einer fortschreitenden Öffnungsbewegung der Kirche ge­genüber anderen Religionen« sowie »einer zunehmenden geistlichen Be­deutung des interreligiösen Dialogs« (245) nachweisbar. Die Aufgabe der Kirchenglieder sieht R. darin, sich vom Lehramt zur Fortsetzung des interreligiösen Dialogs auf allen Ebenen der Kirche ermutigen zu lassen.
Darf die vielleicht größte Stärke dieser Arbeit in der durchdachten Darstellung und übersichtlichen Aufbereitung einer großen Stofffülle gesehen werden, so macht sich demgegenüber zunehmend problematisch bemerkbar, dass die Fokussierung auf die kirchenlehramtliche Rezeption von NA gleichgesetzt erscheint mit einem nahezu konsequenten Verzicht auf Einbettung in und Abgleich mit einem weiteren theologischen Kontext. Dies gilt nicht nur für sensible Punkte des ökumenischen Gesprächs, wie oben beispielhaft erwähnt, sondern ebenso für den interreligiösen Dialog selbst: Wenn in ihm die Stimme des Anderen wirklich zu hören sein soll, so liegt die Frage nahe, ob zu NA und dem besprochenen Rezeptionsprozess nicht auch Reaktionen und Reflexionen aus den anderen Religionen selbst deutlicher zu Wort hätten kommen sollen.