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Ausgabe:

Mai/2010

Spalte:

628-630

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Cramer, Maria (†), u. Martin Krause [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Das Koptische Antiphonar (M 575 und P 11967). Hrsg. u. übers. v. M. Cramer (†) u. M. Krause.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2008. 338 S. m. 1 Abb. gr.8° = Jerusalemer Theologisches Forum, 12. Kart. EUR 51,00. ISBN 978-3-402-11018-8.

Rezensent:

Jutta Henner

Der emeritierte Münsteraner Koptologe Martin Krause legt mit diesem Band in der Reihe »Jerusalemer Theologisches Forum« die Edition einer überaus bemerkenswerten und zugleich umfangreichen koptischen Handschrift vor, auf deren Publikation alle, die sich mit der Erforschung der Geschichte der Liturgie der koptischen Kirche beschäftigen, schon lange gewartet haben. Krause gelingt es dabei aber nicht nur, in bewährter gründlicher und sachkundiger Manier diese Handschrift und ihre Bedeutung zu verorten, sondern auch Perspektiven künftiger Forschungen aufzuzeigen.
In seinem Vorwort (9–11) gibt Krause Rechenschaft über die mehrere Jahrzehnte sich hinziehende Vorgeschichte zum Entstehen dieser Publikation. Maria Cramer (1898–1978), die sich als Privatgelehrte bereits seit den 50er Jahren ausführlich mit dieser Handschrift befasst hatte, hat Ende der 70er Jahre nach eingehenden Diskussionen mit Martin Krause ihm ihre Arbeiten zur Weiterführung übergeben. Krause hatte sich seither zwar in kleineren Publikationen mit Teilaspekten der Handschrift befasst, legt aber jetzt erstmals die gesamte Handschrift mit entsprechenden einführenden Kapiteln vor. Der koptische Text sowie seine deutsche Übersetzung der umfangreichen Handschrift bilden dabei den Hauptteil des vorliegenden Bandes (55–335).
In der Tat handelt es sich bei der 1910 in Hamuli (Ägypten) gefundenen und vollständig erhaltenen Handschrift, die 78 Folios, also 156 Seiten, umfasst, um ein Unikat. Die im oberägyptischen sahidischen Dialekt abgefasste Handschrift wird – mit Ausnahme von vier Seiten, die heute in der Berliner Papyrussammlung zu finden sind – in der New Yorker Pierpont Morgan Library aufbewahrt. Für literarische und liturgische Handschriften ist es selten, dass wie im vorliegenden Fall die Abfassung genau auf die Zeit zwischen Ende August 892 und Ende August 893 datiert werden kann, dank eines entsprechenden Hinweises auf die Schenkung am Ende der Handschrift.
Die Handschrift ist jedoch vor allem aufgrund des Inhaltes außergewöhnlich, wie denn auch der Titel der Edition »Das koptische Antiphonar« anzeigt. Ein »Antiphonar« als li­turgisches Buch ist in dieser Form in der koptischen Kirche heute unbekannt; auch handelt es sich um das bisher einzig bekannte Exemplar seiner Art aus der Geschichte der koptischen Kirche. Insgesamt sind 406 verschiedene sog. »Antiphonen« für 43 Feste und Anlässe im Lauf des Kirchenjahres überliefert, beginnend mit den »Antiphonen des Täufers Apa Johannes« und endend mit »Über Bischöfe, die zu uns kommen werden«. So sind neben Antiphonen zu größeren und kleinen Festen im Kirchenjahr Antiphonen auf Heilige aus dem Neuen Testament, auf Märtyrer, Mönche, Kirchenführer und Theologen, Kirchenkonzile sowie auf ägyptische und außerägyptische Heilige im Antiphonar enthalten. Dabei finden sich zahlenmäßig die meisten Antiphonen rund um die Feier der Geburt Christi ge­folgt von den Antiphonen zum Osterfest (»Über die Auferstehung unseres Erlösers und sein Kreuz«). Doch auch abseits der Statistik sind die verschiedenen Anlässe bedeutungsvoll: Die meisten Antiphonen für einen Heiligen finden sich für den Patriarchen Severus (von Antiochia). Spezifische Ägypten-Bezüge finden sich im lokalen Fest »der Weihung der heiligen Kirche von Kalamon«, aber auch bei den Antiphonen »Über die Reise unseres Erlösers nach Ägypten«.
Verdienstvoll ist, dass Krause den Inhalt und die Bedeutung der Handschrift ebenso wie die Forschungsgeschichte sorgfältig be­schreibt. Krause geht auch der Frage nach, wo denn der »Sitz im Leben« des Antiphonars gewesen sein könnte und wie sein Verhältnis zu den – bekannten und bis heute in Verwendung befindlichen – anderen liturgischen Büchern, nämlich dem Difnar und dem Synaxar, zu definieren sei. Dem Kolophon zufolge wendet sich die Handschrift an »Kleriker oder Mönche, die das Antiphonar lesen, darüber meditieren und davon belehrt werden sollen« (36). Krause sieht im Antiphonar den Vorläufer des späteren »Difnar«.
Man könnte anmerken, dass vielleicht im Rahmen der Edition des koptischen Textes ein kritischer Apparat hätte hinzugefügt werden können. Freilich, man würde sich angesichts der bild- und symbolreichen Sprache des Textes des Antiphonars einen Index aller biblischen Zitate und Anspielungen wünschen; die entsprechenden Fußnoten im deutschen Text greifen ja leider nur einen Teil davon auf. Warum gibt es nur einen Index der griechischen (Lehn-)Wörter? Aber – das sei alles nur am Rande bemerkt.
Wesentlich ist, dass der Text des Antiphonars jetzt mit einer guten deutschen Übersetzung vorliegt und er so – weit über den engen Kreis der Koptologen hinaus – auch in der liturgiewissenschaftlichen und kirchengeschichtlichen Forschung die verdiente Rezeption finden mag.
Krause selbst gibt mit seinen Hinweisen auf »künftige Aufgaben« (36 ff.) schon mehr als genug Anregungen. Da das Antiphonar biblische Bezüge, nicht nur in der Sprache, aufweist, aber auch Bezug nimmt auf kirchengeschichtliche Ereignisse Ägyptens und von seinem Inhalt her verwoben ist mit anderen liturgischen Texten, aber auch mit Homilien zu den entsprechenden Festen und Anlässen, lässt sich nur erahnen, wie vielfältig die weitergehenden Forschungen sein können. Krause regt auch die Rekonstruktion des monastischen liturgischen Lebens im Ägypten in der zweiten Hälfte des 1. Jt.s an. Das wird alles andere als einfach sein. Vielleicht ist es am sinnvollsten, einzelne Feste herauszugreifen und alle hierfür vorliegenden Quellen systematisch auszuwerten. Krause stellt jedenfalls als erste Vorarbeit für jeden im Antiphonar genannten Anlass erste weiterführende Literatur zusammen (43–54).
Es ist mehr als eine freundliche Geste, dass sich am Ende des Bandes ein kurzer Lebenslauf von Maria Cramer sowie ihre – verhältnismäßig umfangreiche – Bibliographie finden und so einer Pionierin auf dem Gebiet der Ägyptologie, vor allem der Koptologie, und hier insbesondere der liturgischen Texte, ein würdevolles Denkmal gesetzt wird. Von Maria Cramer einst auf der Orientalistentagung in Erlangen 1977 vorgelegt und im darauf folgenden Jahr von ihr als Privatdruck veröffentlicht, wird auch ihr autobiographischer Vortrag »Wie man dazu kommen kann, sich in der Koptologie anzusiedeln!« hier noch einmal abgedruckt (364–371).
Vielleicht kann gerade die Veröffentlichung in der nicht spezifisch koptologisch oder liturgiewissenschaftlich ausgelegten Reihe »Jerusalemer Theologisches Forum« dazu beitragen, dass Nachwuchswissenschaftler sich angeregt und herausgefordert wissen, die angezeigten weiteren Forschungen anzugehen. Und sie mögen dann einmal ihren eigenen Beitrag dazu liefern, »wie man dazu kommen kann, sich in der Koptologie anzusiedeln«.