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Ausgabe:

Mai/2010

Spalte:

626-627

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Titel/Untertitel:

Die Apostolizität der Kirche. Studiendokument der Lutherisch/Römisch-katholischen Kommission für die Einheit.

Verlag:

Pa­derborn: Bonifatius; Frankfurt a. M.: Lembeck 2009. 218 S. 8°. Kart. EUR 24,90. ISBN 978-3-89710-421-1 (Bonifatius); 978-3-87476-574-9 (Lembeck).

Rezensent:

Günther Gaßmann

Der offizielle theologische Dialog zwischen dem Lutherischen Weltbund (LWB) und der Römisch-katholischen Kirche (vertreten durch das Sekretariat, seit 1988 den Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen) begann bereits im August 1965. Er nimmt im Blick auf die Intensität seiner Studien und die Bedeutung seiner Ergebnisse im Spektrum der katholischen bilateralen Gespräche mit verschiedenen weltweiten Gemeinschaften eine besondere Stellung ein, die der Geschichte und dem Gewicht der lutherisch-katholischen Trennungsgeschichte seit der Reformation durchaus entspricht. Zu den bedeutsamen Ergebnissen dieses Dialogs gehören u. a. die Berichte über Das Evangelium und die Kirche (1972), Das Herrenmahl (1978), Das geistliche Amt in der Kirche (1981) und Kirche und Rechtfertigung (1993). Umgeben ist dieser Dialog auf Weltebene von lutherisch-katholischen Dialogen in Australien, Deutschland, den USA und anderen Ländern.
Nun liegt das abschließende Studiendokument der vierten Phase des Dialogs auf Weltebene unter dem Titel Die Apostolizität der Kirche vor, das leider erst drei Jahre nach der ebenfalls offiziellen englischen Ausgabe (The Apostolicity of the Church, Minneapolis: Lutheran University Press 2006) erschienen ist. Das Dokument behandelt in seinem Teil I eingehend die neutestamentlichen Grundlagen der Apostolizität der Kirche, und auch die folgenden drei Teile beginnen immer mit einer »Biblischen Orientierung«. Daran schließen sich jeweils theologiegeschichtliche Überblicke zur Alten Kirche und zum Mittelalter an. Danach werden getrennt die Auffassungen und Entwicklungen im lutherischen und katholischen Glaubens- und Kirchenverständnis beschrieben und jene unter ihnen herausgestellt, die Übereinstimmung und wechselseitige Anerkennung ermöglichen. In den abschließenden Abschnitten »Ergebnisse« werden Übereinstimmungen, verbleibende Unter­schiede und Überlegungen zu deren möglicher Akzeptanz vorgelegt. In diesem systematischen Rahmen behandelt Teil II »Das apostolische Evangelium und die Apostolizität der Kirche«, Teil III »Apostolische Sukzession und ordinationsgebundenes Amt« und schließlich Teil IV »Kirchliche Lehre, die in der Wahrheit bleibt«.
Die Übereinstimmungen betreffen u. a. die Bekräftigung der »zentralen Wahrheiten des lutherisch-katholischen Konsenses über die Rechtfertigung«, auf den im Dokument wiederholt verwiesen wird; die grundlegende Bedeutung des Evangeliums als Quelle der Apostolizität der Kirche; die immer wieder hervorgehobene Bedeutung des Heiligen Geistes für Glauben und Kirche; die Präsenz und Wirksamkeit Christi durch das verkündigte Evangelium und die Sakramente; die wechselseitige Anerkennung der Apostolizität in den beiden Traditionen; das von Gott gestiftete ordinationsgebundene Amt, das auf lokaler und regionaler Ebene ausgeübt wird; das hohe Maß an Gemeinschaft im Glauben als Kern der apostolischen Sukzession; die einen differenzierenden Konsensus erlaubende Unterscheidung zwischen den elementaren Aufgaben des Amtes und seinen historischen Gestalten wie z. B. der bischöflichen Sukzession; die Verantwortung der Kirche, zu allen Zeiten Gottes Wort der rettenden Wahrheit in kontinuierlicher Sukzession zu bewahren und zu verkündigen; die Anerkennung der Heiligen Schrift als Quelle, Richtschnur und Kriterium aller Verkündigung und Lehre. »Themen versöhnter Verschiedenheit« betreffen die Grenzen des Kanons; Schrift und Tradition und die Notwendigkeit des Dienstes der Lehre, der Lehraufsicht und der überörtlichen Lehrverantwortung durch mehrere »Bezeugungsinstanzen« (einschließlich des Magisteriums), durch welche die Kirche in der Wahrheit erhalten wird.
Der lange Zeitraum der vierten Phase des lutherisch-katholischen Dialogs von 1995 bis 2006 deutet auf die Schwierigkeit des Themas und mehr noch auf die sehr detaillierte Arbeit der Kommission hin. Trotz mancher nicht notwendiger Wiederholungen und theologiegeschichtlicher Exkurse hat die wesentlich größere Länge des Dokuments im Vergleich zu früheren Berichten den Vorzug, dass auf die Komplexität biblischer und historischer Entwick­lungen, die Ergebnisse der neueren Forschung und unterschiedliche Interpretationen argumentativ verwiesen wird. Von daher kann unterschieden werden zwischen grundlegenden geoffenbarten Glaubenswahrheiten und deren geschichtlichen, sich verändernden Ausdrucksformen. Entsprechend werden Wandlungen und Weiterentwicklungen solcher Ausdrucksformen in beiden Kirchen aufgezeigt, die ermöglichen, angesichts grundlegender Übereinstimmungen trotz bleibender unterschiedlicher Ausdrucksformen und Gestalten von einem »differenzierenden Konsensus« und einer »Einheit in versöhnter Verschiedenheit« zu sprechen.
Das an Material und Überlegungen reiche Studiendokument ist also eine Art Werkstattbericht und nicht nur – wie in früheren Be­richten – eine Auflistung von begründeten Ergebnissen. Es verdient eine gründliche Prüfung durch die beteiligten Kirchen und alle am Fortgang des ökumenischen Dialogs Interessierten.