Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/2010

Spalte:

623-625

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Reuter, Ingo

Titel/Untertitel:

Religionspädagogik und populäre Bilderwelten. Grundlagen – Analysen – Konkretionen.

Verlag:

Jena: IKS Garamond (Edition Treskeia) 2008. 374 S. m. Abb. 8° = Populäre Kultur und Theologie, 4. Kart. EUR 34,80. ISBN 978-3-938203-74-3.

Rezensent:

Marcell Saß

Ingo Reuter, Schulpfarrer an einem Gymnasium in Mönchengladbach, stellt sich der religionspädagogischen Herausforderung einer »bilderdominierten Welt der Postmoderne« (7). Mit seiner von der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Paderborn angenommenen Habilitationsschrift will er »einen Beitrag zu einer kulturtheologischen Wende in der Praktischen Theologie« (10) leis­ten. Vereinigt werden so seine vielfältigen Veröffentlichungen der letzten Jahre zu einem »bildtheoretisch-religionspädagogischen Argumentationsgang« (9). Manche Wiederholungen der Argumentation in den drei Teilen resultieren vermutlich aus dieser Kompilation von Einzelpublikationen sowie einer »zirkulär« verstandenen Beziehung von Theorie und Praxis.
Der erste Teil (»Grundlagen«) beschreibt, »was Religionspädagogik in einer Welt der Bilderwelten grundsätzlich zur Weltbild-Bildung des Subjektes beitragen will, was sie unter Kultur versteht und wie sie damit hermeneutisch und religionspädagogisch umgeht« (13). Programmatische Grundlage der Ausführungen ist einerseits W. Gräbs kulturhermeneutische Akzentuierung der Praktischen Theologie (109), wobei Schleiermacher eher knapp (»Religion als Anschauung und Gefühl des Unendlichen«, 134 f.) als Kronzeuge der Argumentation angeführt wird. Andererseits wird die Verhältnisbestimmung von Praktischer Theologie und Ästhetik (A. Grözinger, J. Kunstmann) bzw. »populärer Kultur« (H. M. Gutmann) rezipiert.
Aspekte des »pictural« (W. J. T. Mitchell) bzw. »iconic turn« (G. Boehm) werden präsentiert und mit der Rede von »Bilderwelten« die vielfältigen Konnotationen des Bildbegriffs aufgenommen. Die »Ontologie des Bildes« analysiert R. sodann im Verhältnis von »Bild, Abgebildetem und Rezipienten« (21 f.). H. Beltings »Konstruktion der Bildwissenschaft als Anthropologie« folgend, die die Bildproduktion als »anthropologisches Grundkonstitutivum« begreift (23), wird die Bedeutung des Rezipienten mit Nachdruck betont (24). Der Gang der Argumentation überzeugt durch die Zusam­menschau von Reflexionsperspektiven, weniger durch die methodenbewusste, trennscharfe Durchdringung im Einzelnen, etwa in empirischer und rezeptionsästhetischer Perspektive. Theologisch eröffnet das alttestamentliche Bilderverbot die Möglichkeit, die »ikonische Differenz« zwischen Abgebildetem und Bild zu wahren und dem Betrachter eine »Selbstpositionierung zwischen beidem« zu ermöglichen (56).
Religionsunterricht im Sinne einer »christlichen Kulturhermeneutik als Weltbild-Bildung des Subjekts« erweitert nun phänomenologische Vorgehensweisen (61 f.) um eine »an der eigenen Darstellungsfähigkeit und -tätigkeit orientierte Religionspädagogik« (62). Der Schüler ist »Mitte und Ziel des Religionsunterrichts« – entgegen einer zunehmenden »Marktorientierung des Bildungssystems«. Religionsunterricht thematisiere »Grundlagen des Menschseins« und leiste einen »Beitrag zur allgemeinen Bildung« (65 f.) durch die grundlegende Einsicht in die »Selbstbildung des Subjektes« (80), wobei auch kritische Einsichten zum Subjektbegriff (M. Foucault, J. Baudrillard) erwähnt werden. Ob dabei die Foucaultsche Destruierung des Subjektbegriffs in ihrer epistemologischen Begründung zutreffend erfasst wurde, sei dahingestellt.
Die konstatierte Fragmentarizität der Vorstellung vom »Subjekt« (79) und die Forderung einer Eröffnung »subjektangemessener Bildungsräume« (83) ermöglichen es, »Lernen im Religionsunterricht« nun zwischen »Wahrnehmung und Ausdruck« zu lokalisieren. Statt um Texthermeneutik gehe es um die Erfahrbarkeit »gelebter Religion« (89) und um die »religiöse Inszenierung im Religionsunterricht« als »Probehandeln« (90). Der zugrunde liegende Kulturbegriff wird synchron (Aufmerksamkeit gegenüber »kulturellen Zeugnissen der Gegenwart«) und diachron (Möglichkeit zur »Konfrontation mit dem Anderen«) beschrieben (100). Religionsunterricht erscheint als hermeneutischer Prozess, wobei Hermeneutik nicht nur verstehende Zugänge, sondern ebenso auch das »erprobende, konstruktive Handeln des Subjekts« (101) einschließe. »Strukturanalogien zwischen christlicher Botschaft und Botschaften populärer Kultur« können so erarbeitet werden (119). Die »Sprachfähigkeit des Glaubens und eine fachspezifischen Hermeneutik« werde gefördert (123).
Religion schließlich wird einerseits als Bestandteil von Kultur, anderseits als spezielles Subsystem der allgemeinen Kultur verstanden (125). Und der (populäre) Film bilde »existentielle Betroffenheit« ab (133), sei emotional rezipierbar, gleichsam in einer »religionsanalogen Haltung«, korrigiere die dialektisch-theologisch forcierte »worthaft-schriftliche Prägung des Religiösen« und folge einer »mythischen Erzählstruktur« (140). Religionspädagogisch notwendig sei es, »Rezeptionssituationen« bereitzustellen, sich »betreffen und betroffen machen zu lassen«, »Erleben in Verstehen« zu transformieren und zugleich kritisch überprüfbar zu machen (141 f.).
Während der grundlegende Teil vor allem wegen seiner inhaltlichen Weite instruktiv zu lesen ist, weniger aufgrund der intensiven Klärung einzelner Begriffe, überzeugt der zweite Teil (»Analysen«) durch die zur Kenntnis genommene Vielfalt populärer Kultur­phänomene als »Interface zwischen der Lebenswelt junger Menschen und der christlichen Tradition« (184). Die Arbeitsweise einer christlichen Kulturhermeneutik erscheint so anschaulich und praktisch. Die Filme (Terminator 2, Matrix, Alien I–IV, Total Recall, The Truman Show, Mel Gibsons Passion Christi, Lost in Translation u. a.) werden auf anregende Weise als Paradigma für eine »kulturhermeneutische Vermittlung« zwischen der Lebenswelt und der »religiösen, insb. christlichen Tradition« sowie als Artikulationshilfe für existentielle Themen angeführt, ein hohes »ethisches Reflexionspotential« inkludierend (181 f.). Die »Wahrnehmung der Lebenskultur junger Menschen« (187) mit dem Ziel, deren (religiöse) Kritikfähigkeit zu befördern (189), ist bei aller Vielfalt im Einzelnen als verbindendes Element der Darstellung stets präsent. Dabei begegnen zahlreiche (auch theologisch) interessante Einzelbeobachtungen.
Im dritten Teil (»Konkretionen«) werden die Grundlagen und Analysen nach (erneuter) Betonung der Bedeutung von »Wahrnehmung« und »Subjekt-Bildung« in »hermeneutische Kriterien« zur Beurteilung »medienreligiöser Phänomene« in medienethischer Absicht (285) überführt. Ausgehend von der eigenen Unterrichts­praxis wertet R. am Beispiel von J. R. R. Tolkiens »Herr der Ringe« den religionshermeneutisch relevanten »ewigen Kampf zwischen Gut und Böse, die Opfer- und Sündenthematik« unterrichtspraktisch aus (303). Und der Fotozyklus von S. Bramly und B. Rheims (»INRI«) dient der Veranschaulichung religiöser Ästhetik, die die potentielle Anschlussfähigkeit einer »Hochglanzästhetik« an die »Vermittlung des Evangeliums« plausibel skizziert. Hervorzuheben ist zudem, dass dies ohne ein Einstimmen in die verfallstheoretisch akzentuierte Klage über die Adaption religiöser Symbolwelten im Bereich der Werbung geschieht. Dass Fotohermeneutik nun keinesfalls rein deskriptiv bleiben muss, sondern (religions-)produktiv ist, zeigt das Fotoprojekt einer 12. Jahrgangsstufe zur Inszenierung der »Jesus-Story« (322).
Insgesamt liegt ein lesenswerter Versuch vor, den Religionsunterricht kulturhermeneutisch zu konturieren und als wichtigen Beitrag zur Schule auszuweisen. Doch sowohl konzeptionell als auch praktisch werden Fragen evoziert, z. B. hinsichtlich der Tragfähigkeit des zugrunde liegenden Kulturbegriffs angesichts einer funktional ausdifferenzierten Gesellschaft. Ebenso wäre die Erklärungskraft überkommener Vorstellung des Subjektes genauer zu klären. Beides kulminiert in der Notwendigkeit, die bisweilen etwas vage anmutende religionstheoretische Grundierung in einen Dialog mit kommunikationstheoretischen Einsichten zu überführen. Auf diese Weise könnte den informationstechnisch bedingten Transformationsprozessen der letzten Jahre sowohl bildhermeneutisch als auch religionspädagogisch Rechnung getragen werden. Und dem Eindruck, dass der christliche Religionsun­terricht als Kulturhermeneutik eher im Bereich der gymnasialen Oberstufe praktikabel scheint und weniger auf die spezifischen Bedürfnisse unterrichtlicher Praxis an Haupt- und Realschulen aus­gerichtet ist, müsste durch vertiefende, nach Schul­form differenzierende Überlegungen begegnet werden – ein religionsdidaktisch beachtliches Forschungsdesiderat.