Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/2010

Spalte:

621-623

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Pranieß, Martin

Titel/Untertitel:

Das Godly Play-Konzept. Die Rezeption der Montessori-Pädagogik durch Jerome W. Berryman.

Verlag:

Göttingen: V & R unipress 2008. 393 S. m. 7 Abb. gr.8° = Arbeiten zur Religionspädagogik, 35. Geb. EUR 49,90. ISBN 978-3-89971-445-6.

Rezensent:

Martin Steinhäuser

Diese Dissertation, verteidigt 2007 an der Wiener Evangelisch-Theologischen Fakultät, verfolgt das Ziel, die Montessori-Pädagogik als Religionspädagogik wahrzunehmen, kritisch zu reflektieren und eine ihrer spezifischen neueren Weiterentwicklungen – das Godly Play-Konzept von Jerome Berryman – darzustellen (121.352).
Eine systematisch begründete Leitfrage oder -these, die das Verhältnis beider Protagonisten zueinander problemorientiert ordnen würde, fehlt allerdings in den einleitenden Abschnitten (17–29). Entsprechend schwer fällt es, im »Ertrag der Untersuchung« (Kapitel 13, 331–373: »Berryman nachgedacht«, ähnlich schon in Kapitel 7: »Montessori nachgedacht«) zu unterscheiden zwischen wissenschaftlich begründeten Ergebnissen, die den Titel des Werkes analytisch und systematisch bilanzieren würden, und persönlichen Meinungskundgaben des Vf.s. Als Ergebnis kann aber doch notiert werden: Der Vf. arbeitet die Rolle der »Fantasiearbeit« (Imagination) im Zusammenhang des Spielens und des Erzählens, denen Berryman zentrale Bedeutung jenseits konfessioneller Engführungen beimisst, als Fortschritt gegenüber Montessori heraus, und zwar unter konstruktivistischer Prämisse (350). Ansonsten holt der Vf. im Ertrags-Kapitel einen Blick auf das im übrigen Werk fast völlig übersprungene, für das religionspädagogische Verständnis Berrymans aber wichtige (und in seinem Begriff von »Erfahrung« problematische) Werk Sofia Cavalettis nach (333 ff.). Abschließend (369ff.) stellt er einige Überlegungen zum Einsatz von Godly Play an den verschiedenen Lernorten an, wobei dem Rezensenten hinsichtlich des schulischen Religionsunterrichts als schwierig erscheint, dass der Vf. hier nur pragmatisch argumentiert. Seine verstreuten schulpädagogischen Sätze (»Ein wichtiges Ziel des ev. RU ... ist es, mündige ... Kirchenmitglieder heranzu bilden.« [335] »Glaubensvermittlung ist ... heute vielmehr Überzeugungsarbeit engagierter Christen ...« [336]) spiegeln nicht den Diskussionsstand der gegenwärtigen Religionspädagogik.
Auch in der sonstigen Arbeit, liest man sie im Kontext der sonstigen Forschungslage zu ihren beiden zentralen Untersuchungsbereichen, wechseln Licht und Schatten. Der erste Hauptteil (130 S.) bietet eine – aufgrund der allseits bekannten Quellenprobleme bei Montessori sowie ihres nicht systematisch konzisen religionspädagogischen Gedankengutes – breit angelegte Rekonstruktion ihrer pädagogischen Grundanliegen und religionspädagogischen Vorstellungen. Dies erfolgt weitgehend aus ihren eigenen Schriften. Es gelingt dem Vf. insbesondere, die unterschiedlichen Ebenen religionspädagogischer Aspekte bei Montessori zu differenzieren: die philosophisch-metaphysische Verschmelzung des Natur- und Gottesbegriffs, die oszillierende kulturelle Beheimatung in der römisch-ka­tholische Liturgie, die mystische Überhöhung des Kindes im Vergleich mit dem leidenden Christus sowie den pädagogisch-kompromisslosen Primat auf das Recht der Kinder auf einen eigenen Zugang zu seinem Glauben (107 ff.) – wobei der Vf. den letztgenannten Aspekt zu Recht kritisch gegen Montessoris eigene religionspädagogische Engführungen stellt. Diese Quellenreferate sind nützlich und ordnend, auch angesichts der disparaten Diskussion der Sekundärliteratur. Dieser hätte man freilich ein eigenes Überblickskapitel gewünscht. So finden z. B. die von H. K. Berg seit Längerem vertretene Unterscheidung einer »impliziten und expliziten« Religionspädagogik bei Montessori (mit Varianten auch bei H. Ludwig) und die dem widersprechende These einer gottesdienstintegrativen Religionspädagogik nach Montessori (R. Koerrenz) keine Erwähnung. Gelegentlich bezieht der Vf. auch kritisch Position gegenüber Montessori (z. B. 88, mit Bezug auf P. Fauser: »Die Engführung des ›positiven‹ Begriffs der Vorstellungskraft und die prinzipielle Abwertung des kreativ-assoziativen Freiheitsbegriffs sind m. E. zwei der größten theoretischen Fehler Montessoris.«)
Die Darstellung des Konzeptes »Godly Play« im zweiten Hauptteil der Arbeit (170 S.) kann viel stringenter als zu Montessori erfolgen, weil die Quellenlage bei Berryman klar begrenzt ist und eine englischsprachige Diskussion der Sekundärliteratur weithin fehlt. Zur sachgerechten Einordnung dieses Teils der Arbeit ist zu beachten: 1. Der Vf. stützt seine Darstellung ausschließlich auf Originalausgaben Berrymans. 2. Er fertigte seine Dissertation parallel zur beginnenden wissenschaftlich-krititischen Diskussion über Godly Play im deutschsprachigen Raum an, ohne selbst an dieser teilzuhaben, da die Arbeit kurz vor Erscheinen des entsprechenden (fünften) Bandes der deutschen Buchreihe abgeschlossen wurde. 3. Der Vf. analysiert keine Erzählskripte oder Materialien und schildert auch die Godly Play-Praxis nur indirekt (207–234).
Gewiss kann man einwenden, dass diese drei Aspekte die Reichweite der Untersuchung eingrenzen, mancherlei Missverständnisse befördern (etwa zum Verhältnis von »Vermittlungs«- und »Aneignungsanliegen« in Berrymans Religionsdidaktik, 265) und auch epistemologisch Berrymans Ansatz bei der Praxis mit Kindern entgegenstehen. (In der kritischen Reflexion zu Montessoris Theorie hatte der Vf. selbst festgehalten: »Viel überzeugender ist die ... Praxis bzw. der Besuch ... einer M.-Schule. Die Praxis zeigt dem Interessierten den Sinn und ›Erfolg‹ der M.-Pädagogik.« [165], ähnlich zu Godly Play: 174.) Andererseits ist seine Arbeit doch als konzeptionelle Literaturstudie zu würdigen, wobei ein besonderer Wert darin liegt, dass seine beiden Hauptquellen (»Godly Play«, 1991/95) und »Teaching Godly Play« (1995) noch nicht oder nur in Auszügen auf Deutsch publiziert sind.
In weithin referierender Darstellung klopft der Vf. die einschlägigen spieltheoretischen, theologischen und religionsdidaktischen Hintergründe bei Berryman ab. Er legt auch theoretische Probleme offen, etwa zur Wirkweise religiösen Spracherwerbs: »B. wechselt ohne Differenzierung sprunghaft von der bildlich gedeuteten Phylogenese der Menschen in die individuelle Ontogenese (und umgekehrt). Unsere Vorsprachlichkeit als Kinder unterscheidet uns aber grundsätzlich von der vorsprachlichen menschlichen Kultur« (327) – damit zeigt er eine zentrale epistemologische Schwachstelle auf, die er auch schon zu Montessori notiert hatte – vielleicht ein systematisches Grundproblem jedes mystagogischen Bildungskonzeptes. An anderen Stellen wiederum übergeht der Vf. eine Reihe von naheliegenden kritischen Fragen: Etwa zur »vorbereiteten Umgebung« im Zusam­menhang des Godly Play-Raumkonzeptes (197 ff.) – warum gerade diese Anordnung der Materialien; was könnte man vermissen? Bei der Einteilung der Geschichten in Genres (222) – warum gerade diese drei (die »Stille« eingerechnet: vier) Genres? Auch fundamentale theologische Fragen wären zu stellen: Der Vf. rekonstruiert den für den »kreativen Prozess« in Berrymans Konzept so überaus wichtigen Zusammenhang von religiöser Bildung und Imagination und verweist bei dieser Gelegenheit auf die zentrale Rolle der Schöpfungstheologie bei Berryman, ohne aber den (bei Berrymans unaufgeklärten) Zusammenhang zur Christologie zu problematisieren – obwohl diese doch in Berrymans Ausführungen zur Inkarnation (which »focuses the fullest expression of the ambiguity of the imagination«, 310) höchst prominent wird.
So darf man vielleicht bilanzieren: Die Stärke dieser Arbeit be­steht darin, Grundzüge des pädagogischen Entwurfs Montessoris hinsichtlich ihrer religionspädagogischen Aspekte und des Konzeptes Godly Play aus Quellentexten zugänglich zu machen und damit der aktuellen religionspädagogischen und kindertheologischen Diskussion, ohne diese selbst aufzunehmen, reichlich Material zur Verfügung zu stellen.