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Ausgabe:

Januar/1997

Spalte:

31 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Bergholz, Thomas

Titel/Untertitel:

Der Aufbau des lukanischen Doppelwerkes. Untersuchungen zum formalliterarischen Charakter von Lukas-Evangelium und Apostelgeschichte.

Verlag:

Frankfurt/M.-Berlin-Bern-New York-Paris-Wien: Lang 1995. 156 S. 8° = Europäische Hochschulschriften, Reihe XXIII: Theologie, 545. Kart. DM 44,­. ISBN 3-631-49209-X.

Rezensent:

Hans Klein

Die von der Evangelischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommene Arbeit ist von einer selten gewordenen Straffheit und Kürze. Sie widmet sich dem Thema in äußerster Konzentration auf das Formale und kommt zu einem klaren Ergebnis: Das lukanische Doppelwerk ist eine Einheit und als solche schon im Prolog Lk 1,1-4 konzipiert. Es hat einen von Lk selbst stammenden durch verschiedenartige Signale erkennbaren Aufbau, wobei die beiden Bücher parallel strukturiert sind.

In einem ersten Teil (9-59) referiert der Vf. über den Stand der Forschung und widmet sich dabei zunächst der Frage nach dem Zweck des Doppelwerkes. Dabei geht er in kluger Auswahl die wichtigsten Ansätze von F. Ch. Baur bis in die Gegenwart durch, um festzustellen, daß die neuere Exegese genau dort angekommen ist, wo die tendenzkritische begann, bei der "Annahme einer innerkirchlichen Apologetik" (23). Es folgt ein Durchgang der neueren Literatur zur Frage nach Stil und Sprache sowie der Gattung des Doppelwerkes, wobei der Vf. feststellt, daß Lk eine eigene "gehobene" Sprache verwendet und das Doppelwerk nicht einer einzigen Gattung zugeordnet werden kann. Lk gebrauche zwar "die erprobten Mittel hellenistischer Historiographie", bediene sich aber auch des Musters der "geschulten Literatur" (31), er schreibe vor allem nicht prosaische, sondern "Heilsgeschichte" (32). Im Durchgang der Literatur betreffend die Gliederung widmet er sich eingehend dem Prolog Lk 1,1-4 (35-41), für die gesamte Apg der Stelle Apg 1,8 (46-48), für das Wirken des Paulus Apg 9,15 f. (48-51). Dabei bezieht er auch die geographischen Angaben als Gliederungssignale (41) in die Darstellung ein. Es ergibt sich ihm ein paralleler Aufbau von Evangelium: Lk 1-2 Vorgeschichte, Lk 3-9,50 Wirksamkeit Jesu in Galiläa, Lk 9,51-19,44 Wirksamkeit Jesu auf der Reise, Lk 19,45-24,53 Jesus am Ziel in Jerusalem (42 f.) und Apostelgeschichte: Apg 1-2,41 Einleitung, Apg 2,41-8,1a: Wirksamkeit in Jerusalem, Apg 8,1b-12,25: Wirksamkeit im Umland, Apg 13-28 Ausbreitung über die Erde (55), den er im Gespräch mit der Literatur diskutiert (56-59).

In einem zweiten Teil (61-122) zeigt der Vf. eine Reihe von Parallelen innerhalb des lk Doppelwerkes auf, indem er die beiden Proömien Lk 1,1-4 und Apg 1,1-3 (62 f.), die Vorgeschichten in Lk 1-2 und Apg 1-2 (64-72), sowie die Summarien, Wachstums- und Wandernotizen in beiden Werken vergleicht (72-80). Ebenso weist er darauf hin, daß die Taten Jesu im Evangelium in den Taten der Apostel in der Apg ihre Entsprechung haben (80-89) und daß die Passionsgeschichte in der Beschreibung des Leidens des Stephanus und des Paulus nachklingt (88-100). Es lassen sich weiterhin die Reiseberichte (100-102), die Reden (104-107), die Bedeutung Jerusalems (108-111) und die Sicht der Juden und ihrer Oberen zu den Heiden (102-104) zusammensehen. Eine Analyse des Abschlusses des Evangeliums (Lk 24,52 f.) und der Apostelgeschichte (Apg 28,30 f.) beschließt den Durchgang des Doppelwerkes mit dem Ziel, auch hierin eine Parallelität aufzuweisen (111-118). Als Mitte des lukanischen Werkes erkennt der Vf. die Sünderannahme Lk 15 und die gesetzesfreie Heidenmission Apg 15 (118-122).

In einem kurzen dritten Hauptabschnitt (123-139) geht der Vf. auf die literaturwissenschaftliche und kunsttheoretische Analyse von Jurij Lotman ein und zeigt damit auf, daß formkritische Beobachtungen durchaus den Inhalt mit im Blick haben, jede Form sich den entsprechenden Inhalt sucht und von ihm her zu verstehen ist und umgekehrt. Das ermöglicht ihm, die Apg im Sinne Lotmans als nach hinten offene Chronik zu verstehen (130). Es sei der Plan des Lukas gewesen, ein Doppelwerk zu schaffen, daß vom Aufbau her sehr ähnlich strukturiert sei.

Der Vf. hat damit einen eindrücklichen Versuch gemacht, Evangelium und Apostelgeschichte aufeinander bezogen zu sehen und als ein einziges zweigliedriges Werk zu lesen. Er ist damit in eine Forschungslücke vorgestoßen, weil die Zusammenschau dieser beiden Werke Mühe macht, was auch damit begründet werden kann, daß es sich um große Werke handelt, die selten von einem Ausleger kommentiert werden. Allerdings wirkt der Versuch, die so verschiedenartigen Werke gleich zu gliedern, etwas künstlich. Bei der Berücksichtigung aller inhaltlichen Parallelen wäre der Vf. konsequenter gewesen, wenn er nicht Apg 8-12, sondern Apg 13-28 mit Lk 9,51-19,44 parallelisiert hätte. Denn in diesen beiden Teilen dominiert tatsächlich die Reise. Es kommt hinzu, daß Lk 19,45-24,53 aufbaumäßig keine Parallele in der Apg hat und nicht haben kann, wenn die Geschichte Jesu durch die Geschichte seiner Jünger fortgesetzt wird, wie der Vf. meint. Denn er will gerade nicht ein vergleichbares Ende der Jünger wie das Jesu berichten, wie er das Welt-ende nach Lk 21 nicht nochmals thematisieren kann. Auch vom Umfang her würde Apg 13-28 eher Lk 9,51-19,44 entsprechen. Wenn somit die Apg dem Evangelium parallel gelesen wird, muß der letzte Teil des Evangeliums in so gesehenem Verständnis des Lk ohne Parallele bleiben. Und das auch, weil der Vf. richtig feststellt, daß eine Chronik, wie es die Apg ist, grund-sätzlich am Ende offen bleiben muß. Das Evangelium ist das in geringerem Ausmaß.

Der Leser des Buches, der beobachtet, daß den Reisen und Reisenotizen viel Raum eingeräumt wird, fragt sich, ob die Absicht des Lk nicht geschlossener dargestellt werden kann, wenn man das Werk als Darstellung des "Weges des Heils" und nicht als "Heilsgeschichte" (vgl. 32) versteht.

An Fehlern sind mir aufgefallen: "gleichwohl" S. 25, Z. 3 statt "obgleich" oder "obwohl", ExWNT statt EWNT S. 151, Z. 5 v. u. sowie einige computerbedingte Worttrennungen mit Bindestrich innerhalb der Zeilen (z. B. Anm. 513).