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Ausgabe:

Mai/2010

Spalte:

610-612

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Merz, Rainer, Schindler, Ulrich, u. Heinz Schmidt [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Dienst und Profession. Diakoninnen und Diakone zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

Verlag:

Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2008. 255 S. 8° = Veröffentlichungen des Diakoniewissenschaftlichen Instituts, 34. Kart. EUR 18,00. ISBN 978-3-8253-5431-2.

Rezensent:

Johanna Kutzke

Dieses Buch aus der Reihe der Veröffentlichungen des Diakoniewissenschaftlichen Instituts an der Universität Heidelberg um­fasst Vorträge einer Tagung zum Thema Professionalisierung des Diakonenberufs des Verbandes Evangelischer Diakonen- und Diakoninnengemeinschaften in Deutschland e. V. (VEDD) 2005 in Rummelsberg, ergänzt durch Fachbeiträge zum Thema. Der Titel »Dienst und Profession« weist auf die Widersprüche im beruflichen Selbstverständnis des Diakons/der Diakonin hin. Professionelles Handeln und im christlichen Glauben gegründetes Dienen stehen in einem Spannungsverhältnis. Darüber hinaus impliziert »Dienst« neben »Gutes tun« auch Überforderung, Unterordnung und Verzicht.
Im ersten Teil »Grundlegungen« bestimmen die Autorinnen und Autoren die Aufgaben und das »Proprium« der Diakonie so­wohl auf dem Hintergrund neutestamentlicher Exegese unter Einbeziehung des jüdischen Kontextes als auch in Bezug auf die Grundfunktionen der Kirche, das Amtsverständnis und die Ar­beitsfelder. Thomas Zippert definiert in seinem Beitrag »Das Diakonenamt in einer Kirche wachsender Ungleichheit« diakonisches Handeln als »Re-Integration, als Ausgleich von Ungleichheit ... mit dem Ziel, Evangeliumskommunikation (neu) zu ermöglichen« (68). Er verweist auf die Doppelqualifikation der Diakoninnen und Diakone durch ihre diakonisch-theologische Ausbildung in Verbindung mit einem staatlich anerkannten Sozialberuf und auf die Kompetenzmatrix aus dem VEDD-Impuls-Papier »Bildungswege im Diakonat«.
Die Entwick­lung neuer Studien- und Ausbildungsgänge für Diakoninnen und Diakone sollen nach Zippert auch »Mo­mente persönlich-professioneller Begleitung und reichlich reflektierten Praxiskontakt« (69) um­fassen. Die Bildung einer be­ruflichen diakonischen Identität er­fordert einen Entwicklungs- und Reflexionsprozess bezüglich des eigenen beruflichen Handelns und des eigenen Glaubens während und nach der Ausbildung. Hier stehen m. E. neben den Ausbildungsstätten auch die diakonischen Gemeinschaften in der Verantwortung. Annette Noller schildert in »Diakonat und Pfarramt – biblische und professionstheoretische Überlegungen« in ausführlicher Weise den diakoniewissenschaftlichen Diskurs um die schon in den vorherigen Beiträgen interpretierten Begriffe diakonein, diakonia, diakonos. Dies ist auch für die Leserinnen und Leser verständlich, die sich mit dieser wissenschaftlichen Kontroverse bisher nicht auseinandergesetzt haben. Sowohl das traditionell sozial-karitative Verständnis von diakonein als auch das nach Collins und in der Weiterführung bei Benedict im Sinne von »vermitteln, dazwischentreten« stehen im diakoniewissenschaftlichen Diskurs und vor allem in den neutestamentlichen Quellen nebeneinander. Noller eröffnet im Fol­­genden einen neuen Zugang zur Verhältnisbestimmung von Diakonat und Pfarramt. Die Unterschiede bestehen nicht in den Tätigkeitsfeldern, sondern in verschiedenen methodologischen He­rangehensweisen in der Arbeit. Während Diakoninnen und Diakone von der sozialen Lebenswelt mit dem Bemühen um Integration des Einzelnen in die Gemeinschaft ausgehen, begegnen Pastorinnen und Pastoren dem Einzelnen mit Blick auf den individuell-biographischen Lebenszyklus. Ob diese Unterscheidung zutrifft, müsste in der Praxis mit Blick auf die Personalpolitik in Kirche und Diakonie untersucht werden.
Der zweite Teil befasst sich mit der »Professionalisierung«. Der Beruf der Diakonisse und des Diakons entwickelte sich zeitgleich mit der Entstehung der modernen sozialen Berufe aus der Notwendigkeit des gesellschaftlichen Umgangs mit den sozialen Folgen der Industrialisierung. Rainer Merz beschreibt in seinem Beitrag »Paradoxien professionellen diakonischen Handelns« die Paradigmenwechsel innerhalb des diakonischen Handelns von der Erneuerung des Diakonats durch Wichern im 19. Jh. mit der Handlungsorientierung aus dem Glaubensverständnis, das seit den 1960er Jahren durch eine Orientierung an der Fachlichkeit abgelöst wurde, bis zu den heutigen Herausforderungen, die sich durch Ökonomisierung, Individualisierung und Pluralisierung ergeben. Merz benennt das »unscharfe Verständnis von Diakonie«: »Trotz oder aufgrund der kaum mehr zu überschauenden Literatur herrscht keine Übereinstimmung – weder über die Verortung der Diakonie noch über deren zentrale Aufgaben; weder über die spezifischen Arbeitsbereiche noch über deren kennzeichnende Arbeitsformen. Dies bedeutet, dass die konkrete Ausgestaltung des Mandats für Diakoninnen und Diakone in der kirchlichen und diakonischen Sozialen Arbeit letztlich den eigenen subjektiven Entscheidungen überlassen wird mit der Folge, dass die Diakoninnen und Diakone... aufgrund der uneinheitlichen Verständnisse unter Legitimationsdruck geraten und sich dabei nicht von dem Vorwurf befreien können, letztlich subjektive, also nicht allgemeine berufliche Wertsetzungen vorzunehmen« (127 f.). An dieser Stelle wäre es m. E. interessant zu forschen, ob nicht diese Unschärfe und das nicht mit eindeutigen Kriterien bestimmbare diakonische Handeln gerade so ihre Wirksamkeit und Glaubwürdigkeit bei den Menschen und in der Gesellschaft entfalten können.
Martin Horstmann erinnert in seinem Beitrag »Professionalisierungsstrategien des Diakonenberufs« an ähnliche Diskurse in der Sozialen Arbeit, die als »bescheidene Profession« (Schütze) oder »Semi-Profession« bezeichnet wird. Er erläutert Merz’ Konzept des »diakonischen Kongruierens« als Kernaktivität von Diakoninnen und Diakonen, die drei Handlungslogiken (Sozialwissenschaften, Recht und Theologie, die klassischen Professionen) in ihrer beruflichen Praxis zusammenbringen. Horstmann sieht Diakoninnen und Diakone als Fachleute für die Verbindung von »Theologie« und »Sozialem« und weist u. a. auf die Notwendigkeit von Religionspsychologie in der Ausbildung von Diakoninnen und Diakonen hin (148). Wie diese Überlegungen in der diakonischen und sozialarbeiterischen Praxis umgesetzt werden können, konkretisiert Hans-Jürgen Benedict in seinem Beitrag »Klagen, Hoffen, Zagen, Danken – die religiöse Dimension in der professionellen Begegnung«. Benedict vertritt einen religionssensiblen Ansatz in der professionellen Beziehung, der für den religiösen Subtext der Lebens- und Leidensgeschichten der Menschen offen ist und ihnen so begegnen kann: nicht zusätzlich zur fachlichen Kompetenz, sondern grundsätzlich mit der Fähigkeit, den anderen mit den »Augen Gottes« zu sehen. Benedict verweist auf die sog. präsentische Herangehensweise des niederländischen Theologen Andries Baart (leider noch nicht in deutscher Sprache veröffentlicht).
Im dritten Teil »Ausbildung« führt Ulrike Suhr dies fort mit einem Seminarbeispiel zur Einbeziehung der Theologie im Studium der Sozialen Arbeit. Sie erhält die Funktion einer Wahrnehmungs-, Deutungs- und Orientierungshilfe für die Praxisreflexion.
Im vierten und letzten Teil »Praxis« wird die Bedeutung des Be­rufsbildes Diakon/Diakonin für die Arbeit in Kirchengemeinden und diakonischen Einrichtungen gewürdigt.
Das Buch gibt einen guten Überblick über die Professionalisierung des Diakonenberufs, die Zukunft des Diakonats in der Kirche, die Herausforderungen an die Aus-, Fort- und Weiterbildung und Anregungen für die diakonische Praxis. Die aktuellen Entwick­lungsprozesse der diakonischen Gemeinschaften hätten in diesem Zusammenhang einen eigenen Beitrag verdient. Sowohl für diakoniewissenschaftlich Interessierte als auch für in der diakonischen Praxis Engagierte enthält dieser Band fundierte Grundlagen und vertiefte Erkenntnisse zum Thema.