Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/1997

Spalte:

28–31

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Wright, Christopher J. H.

Titel/Untertitel:

Walking in the Ways of the Lord. The Ethical Authority of the Old Testament.

Verlag:

Leicester: Apollos 1995. 319 S. 8°. Kart. £ 15.99. ISBN 0-85111-444-X.

Rezensent:

Eckart Otto

Der Autor ist durch eine Reihe von Arbeiten zur Ethik des Alten Testaments bereits hervorgetreten; insbesondere ist die Monographie "Living as the People of God" (1983, in Nordamerika unter dem Titel "An Eye for an Eye" erschienen) zu nennen. Mit dem hier anzuzeigenden Buch legt er nun eine Sammlung von Aufsätzen und Schriften vor, die seitdem erschienen sind und den 1983 vorgelegten Entwurf einer atl. Ethik umkreisen und stellenweise vertiefen wollen. Der Ansatz der Ethik ist konsequent theonom aus einer Dreiecksbeziehung zwischen Gott, Menschheit und Welt konstruiert, der entsprechend in heilsgeschichtlicher Differenzierung von Schöpfung, Fall, Erlösung und neuer Schöpfung das biblische Material anordnet. Eine solche Strukturierung lasse die Ethik kanonisch, umfassend, gemeinschaftsorientiert, bundesorientiert und vor allem aktuell ("contemporary") sein. Das hermeneutische Problem eines garstigen Grabens der Geschichte stelle sich der Ethik nicht, da wir in einer organischen Geisteskontinuität mit dem Gottesvolk beider Testamente stehen, die alle kulturhistorische Differenz unwichtig erscheinen läßt: "Our story is part of their story" (25). Damit ist der Horizont abgesteckt, um die Autorität der Schrift dem moralischen Relativismus der Moderne entgegenzusetzen. Schöpfung und Gottes Handeln in der Geschichte, das Israel zu einem ethischen Paradigma werden läßt, begründen ethische Werte, die die Geister der Moderne scheiden lassen. Wird die moderne Welt mit Schlagworten aus der Fibel der Kulturkritik wie Relativismus, Utiliarismus, Individualismus etc. vornehmlich in dunklen Farben ge-malt, so wird dem um so strahlender Israel als ethisches Paradigma entgegengehalten. Mit dem Begriff des Paradigmas wird zu-sammengefaßt, was Intention Gottes war, als er Israel schuf und ihm Gesetze und Institutionen gab (58).

Dieser Ansatz wird anschließend in einem Überblick über Schriftverständnis und Ethik in der Theologiegeschichte von der Urkirche bis zur Gegenwart mit abweichenden Aussagen konfrontiert. Historisch-kritisch orientierten Ansätzen atl. Ethik von J. Barton, J. Rogerson, R. R. Wilson, R. E. Clements, W. Brueggemann, B. C. Birch und L. L. Rasmussen (1) wird bescheinigt, daß sie den Realitätsbezug der Ethik unterstreichen und helfen, klarer zu sehen, wonach wir als ethisch relevant zu suchen haben ­ in den Worten des Autors: "The historical and sociological depth of recent study enables us to understand much more clearly, what it is we are seeking to make (sic!) relevant" (88). Doch all diese Entwürfe kranken, nach Meinung des Vf.s, daran, daß sie den biblischen Text nicht als Gottes Wort verstehen. Der Autor reiht sich selbst vielmehr in die Reihe evangelikaler (der Begriff wird vom Vf. benutzt) Versuche einer Ethik, wie der u. a. von W. C. Kaiser(2), ein. Während sich bei Kaiser das evangelikale Konzept mit einer konservativen amerikanischen Mittelstandsethik verbindet(3), will C. J. H. Wright sie mit progressiven Inhalten auf den Gebieten von Politik und Ökonomie verbinden. Der Vf. sucht dazu einen Weg zwischen einem Dispensionalismus, der das atl. Gesetz insgesamt zugunsten des Gnadenhandeln Gottes für überwunden hält(4), und einem Theonomismus, der alle atl. Gesetze für alle Zeiten und Gesellschaften für verbindlich erklärt, sofern sie nicht ausdrücklich durch das Neue Testament aufgehoben sind(5). An der letzteren Position wird kritisiert, daß sie einen Umbau nur der modernen Gesellschaft will, der sich am atl. Gesetz orientiert und diesem wieder als Staatsgesetz Geltung verschaffen will, die marktwirtschaftliche Ökonomie aber als eigengesetzlich da-von ausnehmen will. Für den Vf. ist das Gesetz Israels gegeben, um es zu einem Paradigma für die Völker zu formen, das über die Zeit- und Raumbeschränkung hinweg Bedeutung für die Völker hat. Die theologischen Motive in der Formierung des israelitischen Gesellschafts- und Rechtssystems sind zu erheben. Die Bedeutung des je einzelnen atl. Gesetzes auch heute ist aus seiner Stellung zu diesen theologischen Grundmotiven zu erheben.

Im Gegensatz zum Rekonstruktionalismus der theonomischen Position geht es dem Vf. nicht um einen Umbau der modernen Gesellschaft im Rechtsbereich durch Inkraftsetzung des biblischen Straf- und Zivilrechts, sondern um einen alle Lebensfelder der Gesellschaft einschließlich der Ökonomie umfassenden Umbau gemäß der theologischen Leitlinien des Paradigmas Israel. Ohne die theologischen Voraussetzungen zu teilen, nimmt der Vf. von N. K. Gottwald(6) die Beschreibung egalitärer Gesellschaft und Ökonomie Israels, die sich vom "kanaanäischen" Umfeld abheben, auf, um nach der theologischen Bedeutung als Paradigma, das der Erlösung der Welt dienen soll, zu fragen. Sie liegt in der Darstellung von Schöpfungswerten wie der Gleichheit der Menschen als Ebenbild Gottes. Israels Ökonomie kann also unter der Überschrift "Creation Values in Redeemed Economics" dargestellt werden. Der Gleichheitsgrundsatz regele den Zugang zu Grund und Boden als Produktivvermögen (Num 26,52-56; Jos 13-19), der Erwerb von wirtschaftlichen Gütern werde strikt kontrolliert und der Kritik unterworfen (10. Gebot). Die gerechte Verteilung der Güter sei ein wesentliches Anligen des AT. Auch der ökologisch unvernünftigen Ausbeutung der Natur werde widersprochen (Hab 2,17). Daß die Welt gerade auch ökonomisch nicht gemäß der Schöpfungswerte funktioniert, sei Folge des Sündenfalls.

Man kann das Engagement des Vf.s für den ökonomischen Ausgleich und die Menschenrechte nicht hoch genug schätzen. Diese Form progressiv-evangelikaler Theologie hat ihren Ort in der Ausbildung von Missionstheologen am "All Nations Christian College" in Ware (Hertfordshire/England), dessen Principal der Vf. ist. Man wird aber auch fragen müssen, ob eine Theologie, die die Probleme der Moderne nur in einer heilsgeschichtlichen Perspektive zur Kenntnis nimmt, einen christlichen Beitrag zur Lösung der Sozialen Frage und zur Durchsetzung der Menschenrechte zu leisten vermag. Wenn die Verarmungsprozesse national und international auf den Sündenfall zurückgeführt werden, so wird weder die politische Diskussion noch die Volkswirtschaftslehre umsetzungsfähige Impulse erhalten können. Wenn sich der vom Vf. als evangelikal bezeichnete Zugang zur Bibel mit politisch progressiven Konsequenzen verbindet, so macht die Arbeit des Vf.s darauf aufmerksam, daß evangelikale theologische Positionen nicht notwendig mit konservativen Optionen einhergehen müssen. Darin liegt ein unbestreitbarer Wert des hier anzuzeigenden Buches. Es macht aber auch darauf aufmerksam, daß die politische Option sich nicht notwendig aus der theologischen Position ergibt, sondern daß sie sich mit sehr unterschiedlichen Konsequenzen verbinden läßt. Dann aber widerlegt sich die vorausgesetzte Grundannahme, daß die Bibel eindeutig sei, wenn man sie nur als Wort des lebendigen Gottes höre. Der Vf. müßte sich auf eine neuzeitliche Hermeneutik historischer Differenzierung schon einlassen, wenn er "Israel" als Gesellschaftsparadigma beschreiben will. Der Rekurs auf die ins Zentrum gerückte Arbeit von N. K. Gottwald, der ein Israel zwischen 1250 und 1050 v. Chr. beschreiben will, kann nicht als Ersatz dienen. Und wäre nicht auch für den Theologen der Dritten Welt eine Theologie gefordert, die sich den Herausforderungen der Moderne, der unversöhnten Strittigkeit der Werte auch dann, wenn sie, wie es für den vorgelegten Entwurf nicht gilt, reflexiv geworden sind, der Historisierung der Probleme von Natur und Kultur, individueller Freiheit und kollektivem Zwang, nicht nur indirekt stellt, indem sie heilsgeschichtlich zugunsten eines biblizistischen Sozialschwärmertums für irrelevant erklärt werden, sondern sie offen annimmt und damit die Moderne zu bestehen hilft, aus der keine Postmoderne entkommen läßt?

Fussnoten:

(1) Cf. dazu jetzt auch D. A. Knight [Hrsg.], Ethics and Politics in the Hebrew Bible, Semeia 66, 1994 (ersch. 1995) mit Beiträgen von J. Barton, B. C. Birch, E. W. Davies, R. R. Wilson, F. Crüsemann, F. S. Frick, D. A. Knight, N. P. Lemche, H. Schulte, P. J. Haas, E. Otto, P. J. Paris.
(2) Cf. Toward Old Testament Ethics, Grand Rapids 1983.
(3) Cf. E. Otto, Forschungsgeschichte der Entwürfe einer Ethik im Alten Testament, VF 36, 1991, (3-37) 30 f.
(4) Cf. N. L. Geisler, Dispensionalism and Ethics, Transformations 6/1, 1989, 7-14.
(5) Cf. R. J. Rushdoony, Institutes of Biblical Law, Phillipsburg 1973; G. Bahnsen, By this Standard: The Authority of Gods Law Today, Tyler 1985.
(6)The Tribes of Yahweh: A Sociology of the Religion of Liberated Israel 1250-1050 BCE, Marynhall 1979.