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Ausgabe:

Mai/2010

Spalte:

589-590

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Anelli, Alberto

Titel/Untertitel:

Heidegger und die Theologie. Prolegomena zur zukünftigen theologischen Nutzung des Denkens Martin Heideggers.

Verlag:

Würzburg: Ergon 2008. 428 S. gr.8° = Studien zur Phänomenologie und Praktischen Philosophie, 9. Kart. EUR 55,00. ISBN 978-3-89913-661-6.

Rezensent:

Markus Höfner

Die Studie, aus einer im Wintersemester 2007/2008 am Husserl-Archiv in Freiburg abgeschlossenen Promotion hervorgegangen, bearbeitet das anspruchsvolle Thema »Heidegger und die Theologie« mit einem denkbar anspruchsvollen Analyseprogramm: Der Vf. unternimmt es, den Denkweg Heideggers wie die Denkbewegung der Theologie auf ein systematisches Grundproblem hin durchsichtig zu machen. Nur auf dieser »radikalste[n] Ebene« (31) nämlich lassen sich aus Sicht des Vf.s die Bedingungen der Möglichkeit erkennen, von denen das Verhältnis zwischen Heidegger und der Theologie abhängt und die es daher zugleich erlauben, die Bestimmungen dieses Verhältnisses in der Heidegger-Forschung auf ihre Adäquatheit zu prüfen. Und das systematische Grundproblem des Denkens Heideggers wie der Theologie liegt nach Überzeugung des Vf.s in der Bestimmung der Relation von »Subjekt« und »Grund«.
Durchgeführt wird dieser Interpretationsansatz in drei Schritten: In einem ersten, umfangreichen Hauptteil (33–206) sucht der Vf. in detaillierten Analysen zu zeigen, dass sich Heideggers Denkweg in der Tat als Ringen um eine Verhältnisbestimmung von Subjekt und Grund beschreiben lässt: Während sich die Fundamentaltheologie von Sein und Zeit auf die Neufassung des menschlichen Subjekts als »Dasein« konzentriert und den Grund in der ontologischen Daseinsstruktur erkennt, die dem menschlichen Leben in seiner »Geworfenheit« vorgegeben ist, vollzieht Heidegger mit der »Kehre« eine Akzentverschiebung, indem er die Andersheit des Grundes gegenüber dem menschlichen Daseins betont, ohne dabei jedoch die notwendige Bezogenheit zwischen Grund und Subjekt und damit die Endlichkeit des Grundes aufzugeben. Und im späten Ereignisdenken Heideggers kommt es schließlich aus Sicht des Vf.s zu einer nochmaligen Akzentverschiebung, weil nun die Bezogenheit von Grund und Subjekt von der gegliederten Einheit des (zeitlichen) Ereignisses her gedacht werden soll.
Diese am Verhältnis von Grund und Subjekt profilierte Kontinuitätslinie kann der Vf. in seinen kenntnisreichen Ausführungen durchaus plausibel machen, obwohl man fragen muss, ob damit in der Tat das Grundproblem im vielschichtigen Denken Heideggers benannt ist, zu­mal der Terminus des »Grundes« – anders als der vom Vf. nicht beachtete neukantianische Begriff des »Ursprungs« – für Heidegger erst Ende der 1920er Jahre zentral wird. Vor allem jedoch droht der Vf. durch seine Kontinuitätsthese die innere Problematik von Sein und Zeit und das durchaus dramatische Scheitern dieses Projekts zu unterschätzen, was durch seine nur kursorische Analyse der Vorlesungen vor »Sein und Zeit« mitbedingt sein dürfte.
Ein zweiter Hauptteil (207–288) ist der Denkbewegung christlicher Theologie gewidmet. In Parallele zu dem zuvor Ausgeführten geht es dem Vf. dabei um den Nachweis, dass auch die christ­liche Theologie sich im Kern als Auseinandersetzung mit der problematischen Relation von Subjekt und Grund beschreiben lässt. Auch in dieser Hinsicht bietet der Vf. gründliche Analysen und viele treffende Beobachtungen auf, die von der reformatorischen Theologie bis in die Gegenwart reichen und Theologien protestantischer wie römisch-katholischer Provenienz in den Blick nehmen. Dabei unterscheidet der Vf. – in etwas gesuchter Analogie zum Denkweg Heideggers – zwischen einem »Weg der Univozität«, der den göttlichen Grund im Ausgang vom geschöpflichen Subjekt zu denken sucht (z. B. Rahner), und einem »Weg der Äquivozität«, der umgekehrt vom göttlichen Grund zum geschöpflichen Subjekt fortschreitet (z. B. Barth, von Balthasar), um schließlich Denkbemühungen zu identifizieren, die das Verhältnis von Gott und Mensch von ihrer ursprünglichen Einheit her denken wollen (z. B. Jüngel). Die Darstellungen und Zuordnungen einzelner Positionen provozieren Rückfragen im Detail, vor allem aber kann die Strategie des Vf.s, die Denkbewegung(en) christlicher Theologie auf das eine systematische Grundproblem »Subjekt und Grund« zuzuspitzen, in ihrer Erschließungskraft nicht wirklich über­zeugen.
In einem dritten Hauptteil (289–337) schließlich widmet sich der Vf. dem Verhältnis zwischen Heidegger und der Theologie. Er konstatiert dabei eine Ambiguität in Heideggers eigener Verhältnisbestimmung zwischen Philosophie und Theologie, die zwi­schen­ dem Postulat einer »neutralen« Philosophie und der Annahme eines Antagonismus zwischen philosophischem und theo­logischem Denken schwankt – eine Ambiguität, die aus Sicht des Vf.s zu einem Scheitern der »positiven«, philologisch-historischen Forschung führen muss und zu einem »entschlossenen Sprung« (318) auf die Ebene des systematischen Grundproblems nötigt.
Was sich auf dieser Ebene als Ergebnis festhalten lässt, umreißt der Vf. in seinem Schlussteil (339–383) und stellt dabei zunächst fest, dass Philosophie und Theologie zwar je partikulare und bleibend unterschiedene Denkweisen darstellen, jedoch durch das Grundproblem von »Andersheit und Untrennbarkeit im Verhältnis von Grund und Subjekt« (344) verbunden sind. Von diesem Er­gebnis ausgehend entwirft der Vf. sodann – in Auseinandersetzung mit Fink, Levinas, Marion u. a. – »Grundzüge einer phänomeneutischen Theorie«, die an das späte Ereignisdenken Heideggers an­schließen und die Endlichkeit des (absoluten) Grundes herausstellen.
Die Studie stellt in der Fülle des verarbeiteten Materials und im Mut zur systematischen Zuspitzung eine beachtliche Leistung dar und zielt dabei – glücklicherweise – nicht auf die im Untertitel seltsamerweise avisierte »theologische Nutzung des Denkens Martin Heideggers«. Der Versuch des Vf.s allerdings, das Verhältnis zwischen Heidegger und der Theologie auf der »radikalsten Ebene« des gemeinsamen Problems von »Subjekt und Grund« einer prinzipiellen Klärung zuzuführen, kann nicht überzeugen – zumal völlig unklar bleibt, inwiefern der »göttliche Grund« der Theologie und der »Grund« Heideggers in der Sache dasselbe sind. Der systematische Anspruch des Vf.s ist zwar grundsätzlich zu begrüßen, obwohl er sich allzu oft in Überbietungsfiguren äußert. Zur weiteren Aufklärung des vielschichtigen Themas »Heidegger und die Theologie« jedoch wäre weniger wohl mehr gewesen.