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Ausgabe:

Mai/2010

Spalte:

586-588

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Peterson, Erik

Titel/Untertitel:

Theologie und Theologen. 2 Bde. Bd. 1: Texte; Bd. 2: Briefwechsel m. Karl Barth u. a., Reflexionen und Erinnerungen. Hrsg. v. B. Nichtweiß.

Verlag:

Würzburg: Echter 2009. CLII, 1280 S. gr.8° = Ausgewählte Schriften, 9/1 u. 9/2. Geb. EUR 135,00. ISBN 978-3-429-03164-0.

Rezensent:

Eduard Lohse

Die Reihe der Ausgewählten Schriften von Erik Peterson, um deren Herausgabe sich Barbara Nichtweiß in hohem Maße verdient ge­macht hat und macht, ist um einen besonders inhaltsreichen Doppelband bereichert worden. Dieser enthält eine Fülle von Vorlesungsfragmenten, autobiographischen Notizen, Entwürfen, Briefen und Tagebucheintragungen, die hier erstmalig in sorgfältig bearbeiteter Edition vorgelegt werden. Sie kreisen um das Thema »Was ist Theologie?« und bieten tiefe Einblicke in die denkerische Arbeit eines bedeutenden Theologen, der nach langem inneren Ringen von der evangelischen zur katholischen Kirche kon­vertierte. Vor sich selbst, aber auch vor einem größeren Kreis von Freunden hat er immer wieder Rechenschaft darüber abgelegt, aus welchen Gründen er diesen Weg habe gehen müssen. Der Leser aber kann an der Biographie eines Gelehrten wichtige Auseinandersetzungen in der ersten Hälfte des vergangenen Jh.s verfolgen und dadurch ein farbiges Bild neuerer Theologiegeschichte gewinnen.
Was ist Theologie? Diese Frage, die sein Denken und Forschen unablässig leitete, hatte P. in einer kleinen Schrift, die er 1925 veröffentlichte, mit bohrendem Ernst gestellt und zu beantworten gesucht. Mit dieser Schrift, die im ersten Band der Ausgewählten Schriften erneut vorgelegt wurde, wird ein kritisches Ge­spräch mit der dialektischen Theologie geführt. Im hier anzuzeigenden Doppelband wird nun eine reiche Fülle von Texten dargeboten, die um dieses zentrale Problem aller Theologie kreisen. In vielen kurzen Notizen, Miszellen und Vorlesungsfragmenten sucht P. eine schlüssige Antwort zu finden. In seiner streitbaren Schrift hatte er gesagt: »Die Theologie ist die in Formen konkreter Argumentation sich vollziehende Fortsetzung dessen, dass sich die Logos-Offen­barung ins Dogma hinein ausgeprägt hat.« (9/1, XXVIII) Diese These wird von P. sowohl im Gespräch mit seinen Studenten als auch in seinen vielen Entwürfen immer wieder bedacht und variiert.
Besonders aufschlussreich ist zu dieser Frage die – hier erstmalig veröffentlichte – Vorlesung, die P. im Jahr 1923/24 in Göttingen über Thomas von Aquin gehalten hat. An dieser Vorlesung nahm auch der erst kurz zuvor nach Göttingen berufene Karl Barth teil. Den Ausführungen P.s ist deutlich zu entnehmen, dass seine Ge­danken immer wieder durch das kritische Gespräch mit Karl Barth ihre Gestaltung erfahren haben. Von Thomas von Aquin ist zu lernen, dass die Theologie die Wissenschaft ist »von den für unser Heil notwendigen Wahrheiten, aber nicht alle Wahrheiten sind für unser Heil notwendig« (9/1, 70).
Sein Verständnis von Dogma und Theologie brachte P. in zu­nehmendem Maß in Widerspruch zur evangelischen Kirche. Von der protestantischen Theologie der Neuzeit meinte er feststellen zu müssen, es sei »fraglich, ob es überhaupt noch eine lebendige protestantische Kirche gibt, doch selbst das zugegeben – so weit reicht ihre Kraft nicht mehr, dass sie als Kirche dogmenbildend zu sein vermöchte.« (9/1, 53) In diesem und in manchen ähnlich gehaltenen Sätzen hebt P. als für rechte Kirche schlechthin be­stimmend hervor, dass sie fähig sein und bleiben müsse, verbindlich über Lehre zu urteilen. Denn »die Theologie muss ihren eigentlichen Charakter, ihr eigentliches Wesen, in demselben Ma­ße verlieren, als die Kirche die Kraft zur Dogmenbildung eingebüßt hat. Denn ... es kann auf die Dauer kein theologisches Erkennen geben, wenn ihm nicht das Erkennen der Kirche parallel geht.« (9/1, 50 f.)
Doch wie ist der Begriff des Dogmas genau zu fassen? P. antwortet mit der These: »Im strengen theologischen Sinne ist das Dogma eine von Gott offenbarte Wahrheit, die durch das kirchliche Lehramt ausdrücklich für alle als Gegenstand pflichtmäßigen Glaubens verkündigt worden ist.« (9/1, 191) Evangelische Theologie und Kirche – so urteilt der Kirchenhistoriker P. – haben in der ersten Zeit durchaus noch Lehrentscheidungen treffen können. Doch habe die evangelische Kirche im Lauf der Folgezeit diese Kraft mehr und mehr verloren und am Ende gänzlich eingebüßt.
In seinen kirchengeschichtlichen Vorlesungen hat P. dieses kritische Urteil immer wieder anhand der geschichtlichen Entwick­lung zu prüfen und zu erhärten gesucht. In diesen kritischen Ge­dankengängen hat er nur selten den Studenten einschlägige Literatur angegeben, die zu berücksichtigen sei. Für seinen Vortrag aber hat sich P. stets gründlich vorbereitet. Doch hat er nicht selten kürzere und auch längere Abschnitte aus gelehrten Studien anderer in seinen Text aufgenommen – zumeist aber, ohne diese Zitate in seinem Manuskript genauer zu bezeichnen. Die Herausgeberin ist in bewundernswerter Sorgfalt und Gründlichkeit den vielen Spuren nachgegangen, die sich auf Literatur beziehen, die P. für seine Ausführungen benutzt und ausgewertet hat. Der Leser erhält auf diese Weise wertvolle Hinweise, um P. recht zu verstehen und seinen Ort in der aktuellen Geistes- und Theologiegeschichte genauer bestimmen zu können. Diese förderlichen Beiträge, die so klar P.s Texte erläutern und kommentieren, verdienen hohe Anerkennung.
Im stattlichen zweiten Teilband werden persönliche Notizen P.s aus Briefen, Tagebüchern und mancherlei Entwürfen in trefflich geordneter Gestalt dargeboten, wobei ebenfalls wichtige Hinweise auf zeitgenössische Gesprächspartner gegeben werden. Mit besonderer Aufmerksamkeit wird man dabei den ausführlichen Briefwechsel studieren, den P. durch lange Jahre mit Karl Barth geführt hat. Standen sie sich hinsichtlich der zentralen Frage nach Wesen und Auftrag aller Theologie nahe, so gingen doch die Antworten, die sie in kritischer Auseinandersetzung mit dem Brief- und Gesprächspartner gaben, zunehmend auseinander. Gleichwohl hielten sie auch in der Zeit nach der Konversion von P. am brieflichen Gedankenaustausch fest. Karl Barth wusste seinen Kollegen aus gemeinsamer Göttinger Zeit hoch zu schätzen und konnte ihm das Kompliment machen, »dass ich keinem von den Kollegen, die mir seit meiner Übersiedlung nach Deutschland begegnet sind, so viel verdanke wie Ihnen – bei allen Übersetzungen, die ich dabei vornehmen und bei allem Widerstand, den ich Ihnen dabei mündlich und auch äußerlich leisten musste« (9/1, XXXI; 9/2, 284 f.: Brief an P. 15.10.1929).
Karl Barth dürfte P. treffend charakterisiert haben, wenn er sagte, er habe offensichtlich im Katholizismus das gefunden, was er als Pietist gesucht hatte (9/2, 487). Diesem Urteil entspricht P.s selbstkritische Feststellung: »Psychologisch gesehen, haben der Pietismus und Kierkegaard vielleicht den entscheidenden Anstoß zur Rückkehr zum katholischen Glauben gegeben.« (9/2, XXXV) Dabei trägt P.s Theologie weithin fragmentarische Züge, wie später Hans Urs von Balthasar in einem an P. gerichteten Brief (14.12.1954) schrieb: »So und so bleibt alles fragmentarisch, aber wir haben eine Liebe zu unsern Fragmenten, unser Geist ist so recht auf diese Größenordnung zugeschnitten.« (9/2, 394)
Den Theologen P. hat Kardinal Lehmann in einem Ge­leitwort, das er diesem Doppelband vorangestellt hat, hinsichtlich des großen Einflusses gewürdigt, den er »auf die evangelische und katholische Theologie ausgeübt« hat (9/1, XI). Der Herausgeberin aber gebührt dankbarer Respekt dafür, dass sie eine große Zahl von Fragmenten, die P. hinterlassen hat, zu einem ein­drucks­vollen Gesamtbild zusammengefügt hat.