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Ausgabe:

Januar/1997

Spalte:

27 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Umbach, Rolf

Titel/Untertitel:

Vom Flug der Fische. Die Bibel kabbalistisch gelesen.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Christliche Verlagsanstalt 1995. 304 S. = bkg-spezial, 3. Kart. DM 36,­. ISBN 3-7673-7504-4.

Rezensent:

Karl-Martin Beyse

Den "Elf Zugängen zur Bibel", die das Votum des Theologischen Ausschusses der Arnoldshainer Konferenz (Das Buch Gottes. Elf Zugänge zur Bibel. Neukirchen 1992) formulierte, fügt der Autor einen weiteren hinzu. Er hat sich diesen mühsam erarbeitet, wie er in dem einleitenden Kapitel "Vom Flug der Fische" beschreibt: Die "tausendfache Verknüpfung dieser Welt mit der anderen, aus der sie hervorging" ist ihm im Theologiestudium nicht begegnet; die Theologie meinte zwar, "auf die Tür hinzuweisen, die sie dem Irrationalen stets offengehalten hat. Warum aber nur kommt es dann nicht herein?" (13 f.). Auf der Suche nach einem anderen Zugang zu den Worten und Welten der Offenbarung stieß er auf das heilige Buch der Kabbala, den Sohar (alle einschlägigen Ausgaben sind im Literaturverzeichnis genannt; gemeint ist die Ausgabe von Ernst Müller, Düsseldorf 1982). Diesen hat er dann in Gemeindekreisen und Bibelseminaren behandelt; das Ergebnis formuliert er so: "Der Sohar wirft auf eine ungewohnte und auch verwirrende Weise Licht auf die aus früher Jugend vertrauten Gestalten und Begebenheiten des Alten Testaments... Es wird durchlässig für die Dimension, der es entstammt, und das was zunächst nur dem Kopf ein-leuchtete, teilt sich anschließend dem Gefühl als Wärme mit" (16 f.). Das Empfinden, durch dieses so geartete Verstehen des Bibelworts mit den himmlischen Gegebenheiten verbunden zu sein, vergleicht er mit dem Versuch von Fischen, sich im Flug aus dem Wasser in die himmlischen Höhen zu erheben ­ so erklärt sich der Titel dieses bemerkenswerten Buches. Mit ihm will der Autor weder eine "akademische Einführung" geben oder "eine andere Art biblischer Lebenshilfe" darbieten (17). Eigentlich möchte er nur mit dieser weithin unbekannten Art jüdischen Umgangs mit der Schrift bekannt machen: "Man lernte die Schrift mit jüdischen Augen zu lesen... Das mystische Vermächtnis des Judentums aber blieb trotz der erwähnten wissenschaftlichen Aufbereitung und Bereitschaft, sich vom Judentum anregen zu lassen, weitgehend unbeachtet" (9).

An ausgewählten Themen des 5 Bände umfassenden Sohar wird der mystisch-kabbalistische Umgang mit der überlieferten Schrift des Alten Testaments vorgeführt, wobei Bezüge zur griechischen Geisteswelt, zu christlichen Denkweisen oder Er-kenntnissen der Tiefenpsychologie C. G. Jungs hergestellt werden (z. B. in dem Kapitel "Haye Sarah ­ das Leben Sarahs", 175-188). Neben der den Sohar prägenden Vorstellung von den zehn als "Sephirot" bezeichneten göttlichen Wirkmächten (eine schematische Zeichnung liegt dem Buch zum ständigen Ge-brauch als Einlageblatt bei) steht der kabbalistische Umgang mit den hebräischen Buchstaben.

Als Beispiel: Im Kapitel "Elohim" (34-44) wird dieses Wort als Zusammenschluß der in Jes 40,26 vorkommenden Worte MI und ELEH () und (’ellaeh) erklärt (35-38); die bei der Umnennung Abrams in Abraham (Gen 17,5) und Sarais in Sarah (Gen 17,15) eingeführten H (h) entstammen dem Tetragramm JHWH (jhwh) (163.175 f.).

Den Kapiteln über die Schöpfung (43-129) folgen solche über die bekannten Gestalten der Genesis: Kain und Abel und das Opfer (130-142); Noah, der Mann der Erde (143-155); Abraham (156-174); Haye Sarah ­ das Leben Sarahs (175-188); Isaak (189-196); Jakob und Esau (197-222); Juda (223-230). Diese Ausführungen assoziieren diesen Gestalten für uns neue, ungewohnte Eigenschaften und Deutungen, für die aber stets ein Bezug in der Schrift gefunden wird.

So wird z. B. aus der hebr. Buchstabenfolge BHBRAM in Gen 2,4a "Dies sind die Geschlechter der Himmel und der Erde, da sie geschaffen wurden (behibbare’am), die im Namen ABRAHAM (’abraham) enthalten sind, gefolgert, daß die Welt um Abrahams willen erschaffen worden sei (156 f.). Mit den Abschnitten Joseph und die Träume (231-243); Mose (244-251) sowie Das Zelt der Begegnung (252-266) und Gebote und Gebete (267-294) werden dann vom Autor Themen verknüpft, "die wir zu uns selbst in Beziehung setzen können" (231).

Anmerkungen (295-294) und ein Register der Bibelstellen, der Zitate aus dem Sohar, von Namen und Sachen beschließen den Band (299-304).

Das Anliegen des Autors ist verständlich und begründet, die Lektüre sehr anspruchsvoll; der Ertrag besteht m. E. weniger darin, einen weiteren "Zugang zur Bibel" zu gewinnen als einzutauchen in den mystisch-kabbalistischen Umgang mit den Schriften der hebräischen Bibel ­ nimmt er doch neben bekannteren Auslegungen durch Schalom Ben-Chorin (Die Tafeln des Bundes. Das Zehnwort vom Sinai. Tübingen 1979) und Jacob J. Petuchowski (Die Stimme vom Sinai. Ein rabbinisches Lesebuch zu den Zehn Geboten. Freiburg/Br. 1981) oder dem jüngst erschienenen Büchlein von Jonathan Magonet, Wie ein Rabbiner seine Bibel liest (Gütersloh 1994) einen bedeutenden Platz in der jüdischen Glaubens- und Gedankenwelt ein. Welchen hohen Wert die Kabbalisten des Sohar solchem Nachdenken über die Schrift beigemessen haben, zeigen die folgenden Worte des Rabbi Simon: "Wenn ein Mensch in einsamer Stille die Thora um Mitternacht studiert, zur Stunde, da der Nordwind sich erhebt und die Hinde die Welt regieren möchte, wird er mit ihr in die oberen Bereiche emporgeführt, um vor dem König zu erscheinen" (291).