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Ausgabe:

Mai/2010

Spalte:

570-572

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Lächele, Rainer [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Pietistische Öffentlichkeit und religiöse Kommunikation. Die »Sammlung Auserlesener Materien zum Bau des Reichs Gottes« (1730–1761). Ein Repertorium.

Verlag:

Epfendorf: bibliotheca academica 2004. 531 S. gr.8°. Lw. EUR 78,00. ISBN 978-3-928471-47-3.

Rezensent:

Ute Gause

Mit diesem Band erhält man ein vorzügliches Hilfsmittel: Dieses Repertorium einer pietistischen Zeitschrift, die Ausdruck der religiös-kirchlichen Kommunikation des 18. Jh.s ist, erschließt zum einen den Zugang zu einer bedeutenden Erbauungszeitschrift und ermöglicht zum anderen zugleich Rückschlüsse auf den Rezipientenkreis und die ihn interessierenden Themen. Es handelt sich bislang um die erste religiöse Zeitschrift des 18. Jh.s, die durch ein Repertorium erschlossen wird. 1170 Artikel auf fast 14000 Seiten wurden erfasst.
Mit Briefen, Nachrichten, erbaulichen Biographien, aber auch Rezensionen und Anzeigen informierte die Zeitschrift einen breiten, religiös interessierten Leserkreis. Ihre Schwerpunkte berück­sichtigten dabei nicht so sehr die die wissenschaftliche Theologie der Zeit bewegenden Themen, sondern hier finden u. a. Apokalypseauslegungen, besonders durch Johann Albrecht Bengel, aber auch von Paul Anton Berücksichtigung, wie auch »ascetische Be­trachtungen«. Gegenstand der Rezensionen waren häufiger Schriften über christliche Kindererziehung. Erstaunlich ist auch die ökumenische und internationale Weite, die diese pietistische Zeitschrift zeigt: Religiöse Nachrichten aus aller Welt, u. a. aus Russland, England, Nordamerika, Indien wurden verbreitet. Ob Methodisten in England oder die Mission in Indien – das Interesse am weltweiten Wirken für das Reich Gottes war ausgeprägt und findet in den Berichten über Erweckungen in aller Welt und die erfolgreiche Verbreitung des Wortes Gottes seinen Ausdruck.
Der erste Herausgeber mit den bezeichnenden Vornamen Im­manuel Traugott und dem Nachnamen Jerichovius, ein Pädagoge und Theologe, nennt als Absicht der Zeitschrift, dass ihre Beiträge lehrreich sein und sich durch lebendige Erfahrung auszeichnen sollen. Wechselnde Verleger und Herausgeber setzten je eigene Akzente in der Konzeption der Zeitschrift. So wurde mit dem Herausgeber Johann Adam Steinmetz, der Abt im Kloster Berge bei Magdeburg sowie Konsistorialrat und Generalsuperintendent im Herzogtum Magdeburg war, mehr Wert auf den Abdruck von er­baulichen Abhandlungen und Biographien gelegt, während Briefe und Nachrichten in den Hintergrund rückten. Dominierend als Textgattung blieb jedoch insgesamt gesehen die Rezension, gefolgt von Nachrichten und Briefen. Doch schon danach standen erbauliche Betrachtungen und Biographien an vierter und fünfter Stelle der Häufigkeit des Vorkommens (vgl. 16).
In den Rezensionen ging es weniger um wissenschaftliche Analyse als vielmehr um ausführliche Darstellung der meist erbaulichen Inhalte. Neben Bibelausgaben, Predigt- und – zum Teil sogar katholischen – Andachtsbüchern wurden Beschreibungen exemplarischer Frommer breit berücksichtigt, so beispielsweise die bekannte »württembergische Tabea«, Tabea Sturm. Auch pädagogische Literatur interessierte; hier wirkte der Impetus von Halle und Herrnhut. Die Hauptgruppe der Verfasser stellten Pfarrer dar, nicht, wie man vermuten könnte, ›Laien‹; jedoch wurden Verfasser und Adressaten meist anonymisiert. Bei den Biographien dominieren Darstellungen aus dem Adel und der städtischen Oberschicht, immerhin werden fast zu einem Drittel auch Frauen berücksichtigt – das lässt sicher Rückschlüsse auf die Leser(innen)schaft zu. In den Biographien spielen Schilderungen seligen und getrosten Sterbens eine bedeutende Rolle. Die meist unbekannten Protagonisten und Protagonistinnen können nach Bekehrung und echter Reue auf die Gnade Gottes hoffen – selbst eine Kindsmörderin stellt keine Ausnahme dar, heißt es doch über sie: »Die Wunder der Gnade Gottes an einer zwey und zwanzig jährigen Weibes-Person, welche wegen verübten Kinder-Mords zu Murten, ... hingerichtet worden, ...« (84). Exempel begnadigter Sünder, also durchaus auch anderer Mörder (vgl. 121), sollen offensichtlich zur Reflexion über den eigenen Gnadenstand anleiten. Im Vertrauen auf Gott stirbt noch die Mutter kleiner Kinder mit den Worten: »Und da wir weder Mutter noch Vater hatten: da versorgete unser lieber HErr GOtt gleichwol.« (87)
Durch das Repertorium kann nicht nur pietistische Korrespondenz weniger bekannter Personen des 18. Jh.s nachvollzogen werden. Es bietet außerdem Anhaltspunkte, welche pietistischen Biographien für die protestantische Hagiographie des 19. und 20. Jh.s übernommen und welche verworfen wurden. Damit könnte und müsste (?) eventuell auch August Langens wegweisender Wortschatz des deutschen Pietismus, der pietistische Zeitschriften nicht berücksichtigt hat, modifiziert werden (vgl. 25). Indem der Herausgeber diese Forschungslücke schließt, werden sich langfristig hoffentlich die Forschungen zum Pietismus des 18. Jh.s zugunsten einer weniger starken Konzentration auf die sog. Hauptgestalten verändern. Neben den Regesten nach Textgattungen bietet das Repertorium ein chronologisches Inhaltsverzeichnis und Register der Orte und Personen.
Was fällt beim Durchblättern besonders ins Auge? Beim Personenregister überrascht zunächst doch die Fülle bekannter Namen, die häufiger vorkommen: Natürlich behauptet Johann Arndt hier einen der guten Plätze, genau wie Johann Valentin Andreae oder auch Johann Amos Comenius – somit zentrale Vorläufergestalten des Pietismus. Kritische oder des Spiritualismus verdächtige Randsiedler wie Jakob Böhme, Valentin Weigel oder Paracelsus fehlen – auch Zinzendorf ist anscheinend persona non grata. Dagegen ist der Hallesche Pietismus mit Anton, Francke und Breithaupt breit vertreten, auch Spener behauptet einen Platz.
Eine kleine kritische Anmerkung sei zum Schluss gestattet: Martin Luther wird im Personenregister biographisch eingeführt mit den Worten »gelobte während eines Gewitters Mönch zu werden« (482), und seine Vita wird nur bis 1537 (Schmalkaldischer Bund) dargestellt. Das halte ich für eine unzureichende Biographie für die Nicht-Theologen, an die sich dieses Buch auch richtet. Reformator hätte als Charakterisierung mindestens dazugehört.
Das schmälert jedoch nicht den zentralen Eindruck: Rainer Lächele hat ein wirklich gelungenes Hilfsmittel geschaffen, von dem man nur hoffen kann, dass reger Gebrauch von ihm gemacht wird und die brachliegende Erforschung von Erbauungsliteratur nach der Blütezeit des Pietismus neue Impulse erhält.