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Ausgabe:

Mai/2010

Spalte:

565-567

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Strohm, Christoph

Titel/Untertitel:

Calvinismus und Recht. Weltanschaulich-konfessionelle Aspekte im Werk reformierter Juristen in der Frühen Neuzeit.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2008. XVII, 568 S. gr.8° = Spätmittelalter, Humanismus, Reformation, 42. Lw. EUR 99,00. ISBN 978-3-16-149581-6.

Rezensent:

Heinrich de Wall

Der Band fasst, pünktlich zum Calvin-Jahr 2009, den Ertrag langjähriger Forschungen des Vf.s zum Einfluss des Calvinismus auf das Rechtsverständnis der frühen Neuzeit zusammen. Schon die vorher publizierten Ergebnisse in Form von Aufsätzen und Be­richtsbänden mehrerer Tagungen zeigen den außerordentlichen Ertrag, den dieses Forschungsprojekt für das Verständnis der Rechts- und Staatslehre der frühen Neuzeit gebracht hat. Die vorliegende Zusammenfassung und Systematisierung der früheren Ergebnisse bietet einen erheblichen Mehrwert. Wegen der Verbindung der Geschichte der Theologie und des Rechts ist die Themenstellung ausgesprochen anspruchsvoll. Der Vf. verkörpert den Idealfall der Interdisziplinarität in der Verbindung der Meisterschaft in beiden Disziplinen in einer Person.
Die im Band behandelte Beziehung zwischen Calvinismus und Recht ist aus mehreren Gründen von besonderem Interesse, die in der Einleitung auch dargelegt werden. Hingewiesen wird auf die tragende Rolle des Rechts und der Rechtswissenschaft als Träger der Modernisierung und für die Formierung der frühmodernen Staatenwelt. Da beides auch der Glaubensspaltung und dem Protestantismus häufig attestiert wird, drängt sich die Frage nach dem Zusammenhang der Konfession mit dem Rechtsverständnis auf. Dies gilt umso mehr, als ja seit einem Vierteljahrhundert unter dem Stichwort »Konfessionalisierung« über die Rolle der sich formierenden Konfessionen diskutiert wird. In diesem Zusammenhang ist gerade die Frage nach den Unterschieden zwischen den evangelischen Konfessionen von zentralem Interesse. So gilt es namentlich, gängige Thesen – wie etwa die einer besonderen Affinität des reformierten Protestantismus zu Widerstandslehren auf der einen und der besonderen Obrigkeitstreue des Luthertums auf der anderen Seite – im Lichte der neueren Forschung zu überprüfen. Zudem gelten Recht und Staatslehre als Gebiete, in denen die Säkularisierung eine besondere Rolle spielt, was wiederum die Frage nach dem Verhältnis von Säkularisierung und Konfessionalisierung aufwirft.
Die Zusammenfassung seiner Ergebnisse am Ende des Buches (439–460) leitet der Vf. mit der Feststellung ein, »dass der Bekenntnisbestand, der im Werk reformierter Juristen Niederschlag findet, nur bedingt dem spezifisch reformierten Lehr- und Bekenntnisinhalt entspricht«. Die Lehren, in denen sich lutherischer und reformierter Protestantismus unterscheiden, spielen für die juristischen Werke kaum eine Rolle. Dies zeigt schon, dass einfache und unmittelbare Zusammenhänge zwischen Konfession und rechtswissenschaftlicher Haltung schwer herzuleiten sind. Ausdruck und Grund dafür ist unter anderem – das arbeitet der Vf. heraus – die Widerständigkeit der Juristen gegen »Theologengezänk«, die wohl auch in der eher pragmatischen und auf Streitvermeidung und Streitschlichtung hinzielenden Aufgabe der Jurisprudenz angelegt ist. Dem entspricht es, dass auch für die Anerkennung eines Ius Resistendi konfessionelle Zuschreibungen schwer möglich sind. Dennoch lassen sich Eigenarten reformierter Rechtslehre herausarbeiten. Der Vf. nennt etwa einen auffallenden Zusammenhang zwischen humanistischer Jurisprudenz und calvinistisch-reformierter Lehre.
Die Analyse dieses Zusammenhangs und anderer Merkmale calvinistischer Jurisprudenz sind Gegenstand des knappen ersten Teils des Buches (25–38). Zu den Spezifika calvinischen Rechtsdenkens zählt der Vf. die Beeinflussung der Bibelexegese durch die Methoden der Auslegung des Corpus Iuris Civilis, ein Verständnis des Gesetzes als positiver Orientierungsmaßstab, ein besonderes Augenmerk auf die Gestaltung der äußeren Ordnung der Kirche und die Hochschätzung des Ius Civile bei gleichzeitiger Kritik und Abwertung des kanonischen Rechts.
Im zweiten Teil (39–314) stellt der Vf. die Zentren reformierter Jurisprudenz im Reich, die juristischen Fakultäten in Heidelberg, Basel, Herborn und Marburg, in ihrer Bedeutung dar. In diesem Zusammenhang werden tiefdringende Analysen der Lehren einzelner bedeutender Juristen geliefert, zu nennen sind Hugo Donellus, Johannes Althusius, Philipp Heinrich Hoenonius und Hermann Vultejus.
Im dritten Abschnitt der Arbeit (315–438) wendet sich der Vf. dem Anteil reformierter Juristen an der Entfaltung des Ius Publicum zu, also der juristischen Disziplin, die gegen Ende des 16. und zu Beginn des 17. Jh.s im Zusammenhang mit der durch die Ergebnisse des konfessionellen Zeitalters sich entwickelnden Landeshoheit der Territorien des Reichs entsteht. Dabei geht der Vf. unter anderem auf die unterschiedlichen Interpretationen des Augsburger Religionsfriedens und die damit in Zusammenhang stehende Problematik von Gewissensfreiheit und einheitlicher Religion ein. Hier weist er auf die unterschiedlichen Interpretationen des Augsburger Religionsfriedens durch Katholiken und Protestanten hin. Ferner hebt er hervor, dass in Bezug auf die Ablehnung individueller Religionsfreiheit keine nennenswerten Unterschiede zwischen lutherischen und reformierten Positionen bestanden. Besonders aufschlussreich sind die Ausführungen zur Rezeption der Souveränitätslehre Jean Bodins. Der Vf. weist nach, dass die Bodin-Rezeption im reformierten Protestantismus früher einsetzte als im lutherischen. Auch die Adaption der Bodinschen Souveränitätslehre an die Verhältnisse des Reichs, die durch die Herausarbeitung der Unterscheidung zwischen Maiestas realis und Maiestas personalis bewältigt wurde, erfolgt zunächst im reformierten Protestantismus. Der Vf. arbeitet weiter auf den bedeutenden westeuropäischen Einfluss auf reformierte Publizisten hin. Auch die Bedeutung der Erfahrung der Glaubensverfolgung für die reformierte Staatslehre wird hervorgehoben. Schließlich weist der Vf. auf die Streitigkeiten zwischen der Marburger und der Gießener Fakultät hin, in der die reformierte Marburger Seite – anders als die Gießener lutherische – für eine ständische Position und eine Desakralisierung des Reiches stand. Trotz der berechtigten Relativierung der Bedeutung innerprotestantischer Konfessionsunterschiede für die Rechts- und Staatslehre wird so am Ende doch ein besonderes Profil der calvinistischen Rechtslehre in der frühen Neuzeit deutlich. Freilich hat dieses Profil weniger mit den theologischen Lehrunterschieden zwischen Calvinismus und Luthertum zu tun als vielmehr mit anderen Umständen, wie etwa einer besonderen Verbindung des Calvinismus zum Humanismus und zu Westeuropa.
Wer nur die Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse liest, die der Vf. an das Ende seines Bandes stellt, dem entgehen die wichtigen und weiterführenden Einzeluntersuchungen von ihm, die im vorliegenden Band zu einer Einheit zusammengefügt werden, die neue Perspektiven auf die frühneuzeitliche Rechts- und Staatslehre eröffnet. Besser kann ein Forschungsprojekt kaum abgeschlossen werden.