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Ausgabe:

Mai/2010

Spalte:

560-561

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Calvin-Studienausgabe. Hrsg. v. E. Busch, M. Freudenberg, A. Heron, Ch. Link, P. Opitz, E. Saxer, H. Scholl.

Verlag:

Neukirchener Verlag. Bd. 5: Der Brief an die Römer. Ein Kommentar. 2 Teilbde. Bd. 5.1: 2. Aufl. 2009 (2005). X, 374 S. 8°. ISBN 978-3-7887-2100-8. Bd. 5.2: 2007. VIII, S. 375–788. 8°. ISBN 978-3-7887-2175-6. Bd. 6: Der Psalmenkommentar. Eine Auswahl. 2008. X, 406 S. 8°. ISBN 978-3-7887-2310-1. Kart. Je EUR 22,90.

Rezensent:

Helmut Feld

Die hier vorliegenden Bände der Calvin-Studienausgabe öffnen ein Fenster in das große Kommentarwerk des Genfer Reformators. Auf Nutzen und Notwendigkeit einer kommentierten Edition und Übersetzung ausgewählter repräsentativer Schriften Calvins wurde schon in einer Besprechung der beiden ersten Bände der Studienausgabe hingewiesen (vgl. ThLZ 126 [2001], 771 f.). Wie zahl­reichen (überwiegend inkompetenten) Äußerungen in Presse, Rundfunk und Fernsehen aus Anlass des verflossenen Calvin-Ge­denk­jahres 2009 zu entnehmen war, sind die Werke Calvins, insbesondere seine biblischen Kommentare, einer breiten Öffentlichkeit kaum bekannt, und auch unter den professionellen Theologen und Historikern gibt es wenige, die einen größeren Komplex seiner Schriften wirklich studiert haben. Noch immer werden, im Gefolge Max Webers, im späteren Calvinismus und Puritanismus beheimatete Ideen und Vorstellungen dem Reformator selbst angelastet. Allein schon deshalb sind Bemühungen um die weitere Erschließung seines theologischen Denkens zu begrüßen.
Calvins Römerbrief-Kommentar erschien, wie die zweite Fassung der Institutio und das Antwortschreiben an den Kardinal Sadoleto, im Jahre 1539. Wie er in der Institutio einen Schlüssel zum rechten Verständnis der Heiligen Schrift geben wollte, so schrieb er auch dem Römerbrief eine hermeneutische Leitfunktion für die Erschließung der verborgenen Schätze der Schrift zu. Wenn, wie die Herausgeber in ihrem Vorwort betonen, »evangelische Theologie ... von ihren Ursprüngen her Theologie des Römerbriefs« ist, so kommt Calvins Kommentar innerhalb der reformatorischen Bibelauslegung ein besonderer Rang zu, insofern er die durch den Hu­manismus geschaffenen methodischen Voraussetzungen voll ausschöpft und die Verbindlichkeit der biblischen Aussagen für die kirchliche Lehre ( doctrina) reflektiert. Auf diesen beiden Aspekten beruht hauptsächlich die Aktualität der Exegese Calvins, auch wenn sie natürlich im Ganzen ihren geschichtlichen Ort in den kirchlichen und theologischen Kontroversen des 16. Jh.s hat. Aber eine Rückbesinnung auf das Denken der geistigen Vorfahren lohnt allemal, und Calvin ist, in Konformität und Dissens zu den übrigen Kirchen der Reformation und der römischen Tradition, als Ketzer und als Kirchenvater, einer der bedeutendsten von ihnen.
Dankenswerterweise haben die Herausgeber den Text der hervorragenden kritischen Edition von T. H. L. Parker und D. C. Parker innerhalb der Calvini Opera omnia denuo recognita (COR 11/13, Genève 1999) zugrunde gelegt. Beide, Vater und Sohn, Philologen alten Stils der guten englischen Tradition, haben die solide Textbasis für Übersetzung und kommentierenden Apparat der deutschen Studienausgabe erarbeitet. Lehrende und Studierende der Theologie, die bereit sind, sich auf die manchmal schwierige, nicht immer restlos überzeugende, aber immer gestochen scharfe und klare Argumentation des Genfer Reformators einzulassen, haben damit ein hervorragendes Arbeitsinstrument.
Ähnliches gilt für den Band mit den Vorlesungen über die Psalmen, der sich freilich auf eine sehr begrenzte Auswahl aus dem gewaltigen Kommentar-Werk beschränkt. Es ist den Herausgebern gelungen, für Calvins Verständnis des Alten Testaments charakteristische Stücke zu präsentieren. Auch dieser Edition liegt nicht der überholte Text der CO zugrunde, sondern derjenige der Originalausgabe von 1557 in der Bearbeitung von Herman Selderhuis für die in Vorbereitung befindliche kritische Edition der COR. Vorzüglich ist die Einleitung, in der u. a. die Eigenart von Calvins Psalmen-Exegese und die Bedeutung der Psalmen für die Spiritualität des Reformators beschrieben werden. In den Band wurden der 31. und der 51. Psalm aufgenommen, denen in der christlichen Auslegungstradition ein besonderer Rang zukommt (man denke nur an die Gefängnismeditationen Savonarolas und Luthers entsprechende Vorlesungen; 170,6 muss es heißen: coram).
Im Ganzen ergibt sich aus den Kommentaren Calvins ein Eindruck von seiner Theologie, der weniger »monolithisch« ist als derjenige der Institutio in ihren verschiedenen Fassungen. Obwohl durch den Gegensatz zum römischen Papsttum bestimmt, war der Genfer Reformator kein Dogmatist, der vorgefasste theologische Meinungen aus dem Text der Bibel herauslas; er war vielmehr imstande, mit den Methoden der humanistischen Philologie der Intention des Textes weitgehend gerecht zu werden. Insofern be­darf die Darstellung der Theologie Calvins, die noch immer hauptsächlich an der Institutio orientiert ist, erheblicher Ergänzungen und Korrekturen. Die hier angezeigten Bände könnten dazu einen maßgeblichen Beitrag leisten.