Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/2010

Spalte:

558-559

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schlosser, Jacques

Titel/Untertitel:

À la recherche de la Parole. Études d’exégèse et de théologie biblique. Ouvrage publié avec le concours de l’Université Marc-Bloch de Strasbourg.

Verlag:

Paris: Cerf 2006. 606 S. 8° = Lectio Divina, 207. Kart. EUR 38,00. ISBN 978-2-204-07381-3.

Rezensent:

François Vouga

Der katholische Exeget aus Straßburg sammelt auf Französisch 25 Aufsätze, die – mit einer Ausnahme – zwischen 1973 und 2003 mehrheitlich auf Französisch, aber auch zum Teil auf Deutsch erschienen sind. Er ordnet sie nach vier Themen: »Jesus von Nazareth« (7), »Die Logienquelle« (8), »Der 1. Petrusbrief« (6) und »Ge­schichte und Theologie« (4). Die beiden ersten Teile werden durch redaktionelle Vorbemerkungen als Einheiten eingeleitet, der dritte Teil enthält verschiedene Beiträge, die die Vorbereitung eines Kommentars begleiten, und der vierte stellt verschiedene Untersuchungen über die Auferstehung Jesu, die Apostelgeschichte, den Philipperbrief und die Pastoralbriefe zusammen. Der ganze Band ist durch die Breite der Informationen gekennzeichnet, durch Ausführlichkeit, Sorgfalt und Präzision der Analysen und – mit der auffälligen Ausnahme des letzten, vorher noch nicht veröffentlichen Essays über den Episkopos in den Pastoralbriefen – durch große Vorsicht bei den Hypothesen. Der Titel soll als doppeltes Bekenntnis verstanden werden: Die Rekonstruktion der Traditionen und die Interpretation der Texte setzen erhebliche kritische Investitionen voraus, das eigentliche Ziel der Exegese besteht im theologischen und geistigen Verständnis des Gotteswortes (13).
Eine detaillierte und differenzierte Darstellung der Auseinandersetzung zwischen Bultmann und Käsemann über das Problem des historischen Jesu eröffnet den ersten Teil (24–47). Es folgen Einzeluntersuchungen zu Mk 9,38–40 (das Apophthegma ist um das wahrscheinlich authentisches Wort Jesu V. 39 gebaut und betont das Primat der Christologie über die Ekklesiologie, 49–60), zu Lk 22,25–27 (Lk korrigiert die mk Vorlage mithilfe anderer Traditionen, um die soteriologische Deutung des Todes Jesu in Mk 10,45 zu vermeiden, 61–80), zur Unabhängigkeit der johanneischen Logia, die Gott als Vater bezeichnen, zur synoptischen Tradition (81–99), zum Tempelwort (Mk 13,2, Lk 19,44 und 13,35 stellen Variationen eines prophetischen Wortes Jesu dar, das im Rahmen seiner eschatologischen Rede die Zerstörung des Tempels ankündigte und von dem Mk 14,58 abgeleitet ist, 101–118), zum theozentrischen Charakter der Heilsvorstellungen Jesu (119–153) und zu den schöpfungstheologischen Motiven seiner Predigt (Q 6,27.28.35c–d; 11,9–13; 12,4–7.22–31), die die Aufhebung der Abgrenzungen, die der Tod und die Auferstehung bedeuten werden, vorbereiten (155–178).
Auch im zweiten Teil über Q wechseln sich einzelne Textanalysen und theologische Essays ab. Die motivgeschichtliche Einordnung von Lk 17,26–30 legt die Interpretation nahe, es gehe um die Gewissheit des Gerichtes der Sünder und nicht um den unberechenbaren Ausbruch der eschatologischen Katastrophe (181–206). Lk 17,2 gehörte wahrscheinlich zu Q. Die vorgelegte Sprachanalyse versteht sich allerdings nur als eine Vorarbeit, die unter Einbeziehung des Zu­sammenhangs mit Mk 9,42 fortgesetzt werden müsse (207–217). Q 12,4–5 ist eine authentische Warnung Jesu (219–231), und Q 11,23, wo eine Entscheidung gegenüber Jesus verlangt wird, bietet einen wichtigen Beleg für die Q-Christologie (265–273). Diese Exegese be­reitete 1998 eine ausführlichere Darstellung der theologischen Themen vor, die die »implizite Christologie« von Q ausmachen: die Aussagen über die Mission (»Ich bin gekommen«) und die Aussendung Jesu, seine Amen-Worte, die Verbindung des Gerichtes mit dem Tun seiner Worte und die Deutung seiner Wunder und Exorzismen (2001, 233–263). Nach dem Inventar bleibt die Formulierung des Ertrags eher zurückhaltend: Wenn man die in der Untersuchung ausgelassenen Hoheitstitel noch berücksichtigt (»Gottessohn«, »Menschensohn«), erscheint Q als »nicht arm an Christologie« (262).
Gewagter ist m. E. die darauf folgende Studie des Schriftgebrauchs in Q (275–294): Eine sorgfältige Auflistung der Bezugnahmen auf alttestamentliche Realia, der Verweise auf biblische Ge­schichten (die Berufung Elisas und der Jünger, Q 9,57–60, Sodomszerstörung, Q 10,12 und 17,28–29, die Jonageschichte, Q 11,29–32, das Blut Abels, Q 11,49–51, die Sintflut, Q 17,26–27) und der Wiederaufnahme prophetischer Topoi und Metaphern soll ein bewusstes hermeneutisches Verhältnis zur Schrift im Rahmen von Gerichtsankündigungen begründen. Die Zusammenstellung der relevanten Stellen belegt sicher, dass die Schrift zum Repertoire gehörte. Die beiden letzten Untersuchungen zeigen theologische Kontinuitäten zwischen der Versuchungsgeschichte (Q 4,1–13) und den übrigen Q-Stoffen (295–319), sowie die Bedeutung ihrer Schöpfungstheologie: Die Güte der Vorsehung Gottes (Q 6,35; 11,9–13; 12,4–7.22–31 als herausragende Stellen eines vollständigen Inventars) verleiht der Verkündigung des Gottesreiches ihre Plausibilität (321–354).
Die verschiedenen Beiträge zu 1Petr lehnen sich an eine klassische, u. a. von Leonhardt Goppelt vertretene Interpretation an, die die theologische Kontinuität dieses Pseudepigraphs der 80er Jahre mit vorpaulinischen, paulinischen und synoptischen Traditionen deutlicher als die Besonderheiten seiner Argumentation und seines Denkens würdigt. Die exegetische Bestimmung des Verhältnisses zwischen Altem Testament und Christologie (357–385), die 1Petr 1,10–12 als hermeneutischen Schlüssel betrachtet, konzentriert sich auf 1Petr 1,22–25; 2,4–8.21–25. Die Rezeption von Jes 53 wird zwar als Ergebnis einer – wie immer sehr feinen – literarkritischen Arbeit für eine redaktionelle Komposition erklärt, aber die für die Prima Petri typische Verbindung zwischen den Dimensionen Christi als Vorbild und Erlöser (1Petr 2,21; 3,18) nicht interpretiert. Genauso wird die zentrale soteriologische Bedeutung der Auferstehung Jesu gezeigt, aber nicht die den 1Petr kennzeichnende Ersetzung des traditionellen Paares Tod – Auferstehung durch die Sequenz Leiden – Herrlichkeit (445–462). Die Feststellung und die Überprüfung der Präsenz der Themen des Exodus (1Petr 1,2.13. 16.17.18–19; 2,9–10; 5,1–4) führt zur These der Aktualität des Alten Testaments im Kerygma (»l’anamnèse est assurée dans le kérygme«, 387–403, hier 403), ohne dass die konsequente Umdeutung der kultischen und soteriologischen Begriffe in den Blick kommt. Die Suche nach möglichen literarischen Ab­hängigkeiten zwischen der Prima Petri und den Evangelien führt dann zu skeptischen Ergebnissen (405–427), und die petrinische Darstellung der Apg bringt kaum Elemente zum Verständnis des Briefes (429–444). Auffällig erscheint dagegen der ekklesiologische Parallelismus der »Brüderlichkeit« mit der johanne­ischen Liebe (463–481).
Im vierten Teil wird die lukanische Darstellung der Heilsgeschichte als das Werk eines Historikers dargestellt, der das Ge­schichtsverständnis des historischen Jesu entfaltet (485–504). Dazu gehört die Annahme, dass die neutestamentliche Verkündigung der Auferstehung auf Visionen basiert (505–536) und der Philipperbrief die Christologie der Theologie unterwirft (537–560). Eine Sonderstellung in diesem Sammelband hat die noch nicht veröffentlichte Analyse der Funktion der Episkopé in den Pastoralbriefen. Eine genaue Untersuchung der normativen Darstellung des Apostels, der innerkirchlichen Funktion seiner Adressaten Timotheus und Titus und das konstruierte Verhältnis zwischen dem Episkopos und den Presbytern verweise auf die wachsende Bedeutung des Episkopos und auf die Entstehung einer apostolischen Sukzession, die die Kontinuität der Tradition durch die Einsetzung von Ämtern sichere (561–596).