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Ausgabe:

Mai/2010

Spalte:

551-553

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hezser, Catherine

Titel/Untertitel:

Jewish Slavery in Antiquity.

Verlag:

Oxford: Oxford University Press 2005. XI, 439 S. 8°. Lw. £ 76,00. ISBN 978-0-19-928086-5.

Rezensent:

Heike Omerzu

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Harrill, J. Albert: Slaves in the New Testament. Literary, Social, and Moral Dimensions. Minneapolis: Fortress Press 2006. XIV, 322 S. gr.8°. Kart. US$ 26,00. ISBN 978-0-8006-3781-1.


J. Albert Harrill widmet sich bereits seit Längerem der Erforschung der Sklaverei in neutestamentlicher Zeit. Nachdem 1995 seine Dissertation unter dem Titel »The Manumission of Slaves in Early Christianity« in der Reihe »Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie« erschienen ist, hat er weitere Studien zum Thema veröffentlicht, die neben bislang unpubliziertem Material in zum Teil überarbeiteter Gestalt in den hier anzuzeigenden Band eingeflossen sind. Dessen erklärtes Ziel ist es nicht, einen umfassenden Überblick über das antike Sklavenwesen in neutestamentlicher Zeit zu geben, sondern aufzuzeigen, dass die meisten frühchristlichen Bezugnahmen auf Sklaven keinen direkten sozialgeschichtlichen Hintergrund haben. Vielmehr handle es sich um » literary products, drawn from classic stock scenarios that reflected the conventional Roman value of auctoritas« (196). Frühchristliche Literatur partizipiere so an Herrschaftsstrukturen, die ihren sozialen Kontext konstruieren, und mache selbstverständlichen Gebrauch von gängigen Formen der Identitätsstiftung.
Diese Sichtweise wird anhand verschiedener Traditionen vorgeführt (Röm 7 = Kapitel 1; 2Kor 10,10 = Kapitel 2; Apg 12,13–16; Lk 16,1–8 = Kapitel 3; Kol 3,22–4,1; Eph 6,5–9; Barn 19,7; Did 4,10 f. = Kapitel 4; 1Tim 1,10 = Kapitel 5; Apologeten und Märtyrerakten = Kapitel 6), auf die hier nicht im Einzelnen eingegangen werden kann. Kapitel 7 widmet sich schließlich der hermeneutischen Frage nach dem Umgang mit den antiken Texten im Zuge des Kampfes um die Abschaffung der Sklaverei in den USA. In diesem letzten Beitrag wird besonders deutlich, dass es Harrill nicht nur um exegetische Beobachtungen im engeren Sinne geht, sondern dass er sich gegen biblizistische Interpretationen der Sklavenfrage und das Bemühen wendet, aus den antiken Texten direkte moralisch-ethische Implikationen für die Gegenwart abzuleiten.
Harrill sieht sich einer Methodenvielfalt verpflichtet (5), be­dient sich aber faktisch hauptsächlich der literarischen Analyse, dies jedoch stets unter Hinzuziehung griechisch-römischer und jüdischer Literatur. Leider verfügt der Band nur über Endnoten, in denen viel zusätzliches Material und Literatur geboten wird, die jedoch nur mühsam auszuwerten sind. Abgesehen davon ist das Buch jedoch durch eine ausführliche Bibliographie und etliche Register gut erschlossen.
Insgesamt stellt die Untersuchung einen anregenden Forschungsbeitrag dar, da sie eine neue Perspektive auf die diskursive Bedeutung des Sklaventhemas im frühen Christentum eröffnet, auch wenn man Harrill nicht in allen Einzelheiten wird zustimmen wollen. Unter anderem wäre etwa eine Differenzierung im Blick auf die Rezipienten der frühchristlichen Traditionen wünschenswert, die Harrill wiederholt unter dem Begriff »Roman audience« (2.83 u. ö.) subsumiert, als handle es sich um eine homogene Gruppe. Wurden die Sklaventexte in ländlichen Gebieten Palästinas oder Syriens genauso aufgenommen wie in den urbanen Zentren Griechenlands oder Kleinasien?
Catherine Hezsers Studie ist nicht nur in dieser Hinsicht differenzierter, sondern auch insgesamt breiter angelegt, denn sie un­tersucht »Jewish attitudes towards and involvement in slavery in the Hellenistic and Roman periods in areas which were directly influenced by Graeco-Roman culture« (13). Hezser ist also ebenso an der realen Erfahrung von Juden als Sklaven und Sklavenhaltern wie an der rhetorischen Relevanz des Themas interessiert. Dazu werden neben (überwiegend) literarischen Texten auch epigraphische und papyrologische Zeugnisse herangezogen und aus rhetorischer, sozial- und rechtsgeschichtlicher Perspektive analysiert, wobei das Hauptaugenmerk aufgrund der Quellenlage auf Palästina liegt, wenn auch Ägypten und Rom gelegentlich in den Blick kommen. Die Untersuchung ist in vier Teile untergliedert, in denen nacheinander der Status von Sklaven innerhalb der jüdischen Gesellschaft, ihre Stellung innerhalb der Familie sowie die wirtschaftliche und symbolische Bedeutung der Sklaverei erörtert werden. Ähnlich wie Harrill es im Blick auf das frühe Christentum unternimmt, arbeitet Hezser (die dessen frühere Untersuchung aus dem Jahr 1995 leider nicht rezipiert hat) heraus, dass Juden in der Antike im Wesentlichen die gleiche Praxis und Einstellung gegenüber der Sklaverei pflegten wie ihre griechisch-römische Mitwelt: »Jews owned slaves and Jews were employed as slaves by Jewish and non-Jewish owners.« (381) Dabei betont sie jedoch zu Recht, dass uns keine Originalzeugnisse aus der Sicht von Sklaven vorliegen, sondern lediglich solche von freien Männern der mittleren und gehobenen Gesellschaftsschichten, die keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Sklaverei äußerten, sondern sie als selbstverständlichen Teil der antiken Wirtschaft und Gesellschaft ansahen. Nur gelegentlich sei in jüdischen Quellen eine gegenüber der Mitwelt mildere Behandlung von Sklaven erkennbar, die sich dann aus biblischer Tradition speise. Allerdings weist Hezser diesbezüglich m. E. zu Recht darauf hin, dass einerseits bereits etliche Regelungen der Tora eher ein Ideal denn die Realität spiegeln (387) und andererseits die gesamtgesellschaftlichen Bedingungen im Imperium Romanum sich im Vergleich zur exilischen und nach-exilischen Zeit entschieden geändert hätten: »The denationalization of slaves led to a lack of distinction between originally Jewish and non-Jewish slaves. What mattered most in both Jewish and Roman society was the status of the slave versus the freeman.« (389) Weitere entscheidende Faktoren seien die in römischer Zeit zu beobachtende Fokussierung auf die Kernfamilie (anstelle der Großfamilie, in die auch die Nachkommen von z. B. Sklavinnen und Sklaven integriert wurden) sowie die zunehmende Urbanisierung: »Jews who lived in the cities of Ro­man Palestine or abroad seem to have shared their non-Jewish neighbours’ attitudes towards the necessity of domestic slaves.« (389)
Hezser hat eine systematische und ausgewogene Untersuchung über die sozialgeschichtliche Realität sowie die rhetorische Bedeutung des Themas Sklaverei im antiken Judentum vorgelegt, die vor allem im Blick auf die Korrektur der verbreiteten Ansicht, Sklaverei sei im Judentum seit der Zeit des Exils verpönt und daher nicht praktiziert worden, wegweisend ist. Die Kehrseite ihrer umsichtigen Argumentation ist freilich, dass viele Ergebnisse nur Vermutungen sind und als solche auch klar herausgestellt werden, wie die Häufung von Formulierungen wie »can be assumed«, »it is un­clear«, »probably« oder »assumption« anzeigen. Doch zeichnet diese Vorsicht einerseits solide wissenschaftliche Arbeit aus, andererseits spiegelt sie die Problematik der Quellenlage im Blick auf ein Thema, bei dem ein wesentlicher Teil der Betroffenen nie selbst das Wort ergreifen konnte, so dass wir auf viele indirekte Schlussfolgerungen angewiesen sind.