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Ausgabe:

Mai/2010

Spalte:

544-547

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Fee, Gordon D.

Titel/Untertitel:

Galatians. A Pentecostal Commentary.

Verlag:

Blandford Forum: Deo Publishing 2007. IX, 262 S. gr.8° = Pentecostal Commentary Series. New Testament. Kart. £ 19,95. ISBN 978-1-905679-02-7.

Rezensent:

Dieter Sänger

Die Zahl der Gal-Kommentare wächst beständig und nimmt in immer kürzeren Abständen weiter zu. Dieser Tatbestand ist einerseits erfreulich. Er dokumentiert das anhaltende Interesse an einem der theologisch anspruchsvollsten und wirkungsgeschichtlich folgenreichsten Texte des Corpus Paulinum. Andererseits gibt die Fülle der allein in den vergangenen drei Jahrzehnten erschienenen Kommentare Anlass zu (selbst)kritischen Fragen. Was vermitteln sie über den relativen Forschungskonsensus hinaus an neuen Einsichten? Worin besteht der heuristische Mehrwert des jeweiligen Interpretationsansatzes gegenüber anderen Lektüremodellen? Wie ist es um die exegetische Plausibilität der ihm unterliegenden hermeneutischen, methodischen und historischen Prämissen bestellt? Und schließlich: An welche Leser ist primär gedacht? Werden ihnen Inhalt, Form und Diskurshorizont der Darstellung gerecht? Orientiert man sich versuchsweise an diesem sicher noch ergänzungsbedürftigen Fragenkatalog und legt ihn als Bewertungsmaßstab zugrunde, ist der Eindruck, den der vorgelegte Ge­samtentwurf hinterlässt, durchaus ambivalent.
Gordon D. Fee, Prof. em. am Regent College in Vancouver, setzt mit dem Gal die Reihe der von ihm kommentierten paulinischen und deuteropaulinischen Briefe (1Kor, Phil, 1/2Tim, Tit) fort. In­zwischen ist auch ein Kommentar zu 1/2Thess erschienen (2009). Im Vorwort skizziert F. den biographischen Kontext, der sein Grundverständnis des Gal wesentlich bestimmt, und gibt Auskunft über die intendierten Adressaten. Als Mitglied der »American Assemblies of God« gehört er zur Bewegung der Pfingstkirchen und steht damit in einer Tradition, für die ein charismatisch-pneumatischer Impetus kennzeichnend ist. Dieser religiöse Hintergrund schlägt sich im Kommentar nieder (»written by a committed Pentecostal for others within my tradition« [VIII]) und zeigt Wirkung.
Die zum Teil strittig diskutierten Einleitungsfragen werden äußerst knapp behandelt (1–10). Der Brief richtet sich an heidenchristliche Gemeinden im provinzgalatischen Süden. Geschrieben wurde er irgendwann zwischen 55 und 57 n. Chr., jedenfalls nach dem 2Kor und nicht lange vor dem Röm. Wo genau, muss freilich offen bleiben. Nicht viel abgewinnen kann F. der von H. D. Betz neu belebten rhetorischen Analyse. Der Gal sei ein Brief, keine Rede, und wolle auch so verstanden werden. Zudem fehlten überzeugende Indizien, die es erlaubten, ihn einem der antiken genera dicendi zuzuordnen. Paulus orientiere sich nicht am Regelwerk der griechisch-römischen Rhetorik, sondern verfahre nach dem Muster »argument from Scripture, application, and appeal« (7). In der Forschungslandschaft positioniert sich F. als entschiedener Kritiker der von M. Luther inspirierten Paulus-Rezeption, die in der erstmals im Gal entfalteten Rechtfertigungslehre dessen theologisches Proprium erblickt (»that is decidedly not the matter that called forth the letter« [1]). Gleichzeitig markiert er seine Vorbehalte gegenüber der »New Perspective«. Zwar treffe E. P. Sanders’ Unterscheidung zwischen »getting in« und »staying in« auch auf die im Gal attackierten Fremdmissionare zu. Deren Forderungen (Be­schneidung [2,3; 5,2 f.], Einhalten des Sabbats und anderer heiliger Tage [4,10] sowie die Beachtung der jüdischen Speisevorschriften [2,11–14]) seien weder soteriologisch motiviert noch zielten sie darauf ab, die galatischen Christen auf eine ungeteilte Gesetzesobservanz zu verpflichten. Aber deren Begabung mit dem Geist (3,2.5) impliziere aus Sicht der »agitators« (5) die Notwendigkeit, den in der Taufe empfangenen Geist zu bewähren und ihn im Gehorsam gegenüber der Tora zu »vollenden« (vgl. 3,3 fin.). Der paulinische Widerspruch richte sich also nicht gegen die Tora als solche, sondern gegen den ihr zugeschriebenen Stellenwert als »›identity ma­r­ker‹ of God’s people« (8) seitens der Fremdmissionare. In dieser Funktion habe der Geist die Tora abgelöst, so dass die, die sich von ihm leiten lassen, frei vom Gesetz (4,30 f.; 5,1.18) und ohne Beschneidung Abrahams Kinder sind (3,14.29; 4,7). Das eigentliche Thema des Briefs und damit »the key to everything« (9) sei deshalb der im Leben der Gemeinde sich als wirkmächtig erweisende Geist, der den gekreuzigten und auferstandenen Christus vergegenwärtige.
Disposition und Gedankenführung des Gal ergeben sich aus dem dreimal begegnenden »pattern«, das für F. als strukturbildendes Element dient: Schriftbeweis (3,1–4,7; 4,21–23.24–37; 5,13–15), Anwendung (4,8–11; 4,28–31; 5,15[!]–26), Appell (4,12–20; 5,1–6.7–12; 6,7–12). Der briefliche Hauptteil umfasst 3,1–5,12 und enthält zwei einander zugeordnete Argumentationsgänge, wobei der erste mit 4,20 endet (10.174). Die übrigen Kapitel werden folgendermaßen gegliedert: An die »opening sections« (27), zu denen das Präskript (1,1–5) und die darauf folgende Problemanzeige (1,6–9) gehören, schließt sich ein apologetisch grundierter Abschnitt an, in dem Paulus seinen Apostolat und sein Evangelium verteidigt (1,10–2,21). Nach dem mit »The Spirit Supercedes the Law« überschriebenen ethisch-paränetischen Teil (5,13–6,10) lenkt er im Postskript (6,11–18) auf bereits Gesagtes zurück und ruft es den Galatern noch einmal in Erinnerung.
Die in der Einleitung formulierte These steckt den Rahmen ab, innerhalb dessen sich F. bewegt und argumentiert. Dadurch ge­winnt sie faktisch, wenn auch vielleicht unbeabsichtigt, den Cha­rakter eines gerechtfertigten Axioms und steuert, indem sie hermeneutisch aufgeladen wird, den gesamten Auslegungsprozess. Dies umso mehr, als F. sich gleich zu Beginn der Aufgabe entzieht, die von ihm ausgemachte pneumatologische Substruktur des Zirkularschreibens (1,2) mit dem Textbefund zu korrelieren. Statt diese basale Annahme auf ihre Tragfähigkeit hin zu prüfen und exegetisch zu plausibilisieren, operiert er mit einer petitio principii. Denn er setzt als gegeben voraus, dass »the major role (of) the Spirit ... in the argument of this letter« evident sei, und zwar »both by explicit statements and by the implications lying behind much of what he (sc. Paul) says« (7). Was es mit diesen »implications« auf sich hat, lassen die Ausführungen zu 2,14–21 – so die Abgrenzung des »the basic argument of the letter« (76) vorbereitenden Abschnitts – in wünschenswerter Deutlichkeit erkennen. Der semantische Gehalt des hier zum ersten Mal im Gal gebrauchten Verbs δικαιοσύνη (2,16 f., vgl. 2,21; 3,6.21) dürfe nicht im juridischen Sinne gepresst und auf »pardoned by God« oder »made righteous by God« reduziert werden. Gemeint sei vielmehr, »that through Christ and the Spirit we have ready access into God’s presence« (83 [Kursivierung D. S.]). Durch diese paraphrasierende Übersetzung des Lexems, mit der alternative Optionen von vornherein ausgeblendet werden, verschafft F. sich die Möglichkeit, von 2,16 f. aus einen Bogen zu 3,2.5 und 4,6 zu schlagen (103.104–107.111 f.150–157), und damit zugleich die Voraussetzung, den in 3,1 beginnenden argumentativen Hauptteil als eine theologische Explikation der Wirkfunktion des Geistes und seiner identitätsstiftenden Bedeutung für die in ihrer heidenchristlichen Existenz verunsicherten Galater verstehen zu können. Es verwundert dann natürlich nicht, dass er in Bezug auf die Rekonstruktion der von Paulus wahrgenommenen galatischen Krise und ihrer Symptomatik zu einem Ergebnis gelangt, das sich von dem des reformatorisch geprägten Interpretationsansatzes fundamental unterscheidet. Für diesen resultiert der Konflikt aus dem Versuch der Fremdmissionare, den Nomos in das christologisch-soteriologische Koordinatengefüge von Kreuz und Auferstehung zu integrieren und damit die »Wahrheit des Evangeliums« (2,5.14) neu zu definieren.
Der Kommentar spiegelt, was nicht zu beanstanden ist, die religiöse Herkunft und kirchliche Bindung F.s. Geschrieben ist er für Gemeindeleiter und gebildete Laien, die zur Pfingstbewegung gehören (29.198), beansprucht aber »to understand Paul’s letter on its own terms, not in terms of a special agenda« (VIII). Mir ist fraglich, ob diese selbstgestellte Aufgabe erfüllt wird. Zunächst, der potentielle Leser muss über solide Griechischkenntnisse verfügen. Einzelne Begriffe und ganze Sätze werden zum Teil weder übersetzt noch transkribiert. Die Vertrautheit mit Grammatik, Syntax und Stilfiguren sowie Grundproblemen der Textkritik erscheint unabdingbar (z. B. 19 f.43.63 f.138.183.202 u. ö.). Der häufige Bezug auf jüdische und pagane Texte, die nicht eigens zitiert werden, dürfte ohne ein entsprechendes Vorwissen wenig hilfreich sein. Gleichzeitig wechselt F. mehrfach die Rolle und mit ihr den Sprachgestus. Aus dem Kommentator wird plötzlich das engagierte Kirchenmitglied, das zur direkten Anrede übergeht und dazu drängt, den eigenen Glauben und das persönliche Verhalten im Lichte der biblischen Texte kritisch zu reflektieren (29.98.174.199. 246.256). Trotz der vorausgesetzten Kompetenzen kann aber auch nicht an die neutestamentliche Zunft als Primär- oder zumindest Nebenadressat gedacht sein. Kontrovers beurteilte Sachverhalte werden so gut wie nicht diskutiert. Der in der Regel knapp gehaltene Anmerkungsapparat macht auf Übersetzungsvarianten aufmerksam, erläutert formale und inhaltliche Besonderheiten der Textsegmente, notiert Belege und verweist auf Sach- und Sprachparallelen. Dies alles ist bekannt. Die Bibliographie beschränkt sich auf eine (!) thematisch einschlägige Monographie und zehn ausgewählte Kommentare. Welches Selektionsprinzip die Auswahl be­stimmt hat, erfährt man nicht. Auch die Liste der darüber hinaus in den Fußnoten referierten Autoren ist überschaubar (258). Mit anderen Worten, für Nichtfachleute ist der Diskurshorizont zu hoch, die Fachwelt sieht sich über weite Strecken hinweg ausgegrenzt. Aktuelle Forschungstendenzen werden ignoriert oder bes­tenfalls angedeutet.
Kein Zweifel, der Kommentar hat ein ganz eigenes, um nicht zu sagen eigenwilliges Profil. Aber gerade das ihn kennzeichnende hermeneutische Anliegen und sein theologischer Impetus hätten dazu herausfordern sollen, den Dialog mit konkurrierenden Entwürfen zu suchen und offensiv zu führen. Diese Chance hat F. leider nicht genutzt.