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Ausgabe:

Januar/1997

Spalte:

24–26

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Lohfink, Norbert

Titel/Untertitel:

Studien zum Deuteronomium und zur deuteronomistischen Literatur. III.

Verlag:

Stuttgart: Kath. Bibelwerk 1995. 303 S. 8° = Stuttgarter Biblische Aufsatzbände, 20. Kart. DM 79,­. ISBN 3-460-06201-0.

Rezensent:

Lothar Perlitt

Die Dtn-Forschung: Niemand kennt sie, niemand zugleich vermehrt sie so wie N. Lohfink. Zusammen mit den Bänden I (1990) und II (1991) liegen nun mit Bd. III genau 1000 S. gesammelter Studien vor; weitere aus den letzten Jahren wurden in Bd. III gar nicht aufgenommen. Da L. inzwischen aber auch seine "Studien zur biblischen Theologie" (1993) publiziert hat, ist hier zuerst eine enorme Schaffenskraft zu bewundern, sodann aber auch die Treue zum Forschungsstand Dtn seit gut 35 Jahren.

Waren die Studien I (1960-1977) und II (1976-1990) schlicht chronologisch geordnet, so hat sich L. für Bd. III leider eine Gruppierung in vier "Themenbereiche" ausgedacht und damit eine Systematik suggeriert, die bei solcher Dokumentation weder möglich noch nötig ist: I. Schichten, Zeiten, Hintergründe, II. Der Text aus dem Tempel (eher unpassend), III. Der mosaische Weltentwurf (was man sich bei diesem Wort vorzustellen hat, weiß ich auch jetzt noch nicht), IV. Wörter und Wendungen.

Der Bd. enthält 12 nach Umfang und Gewicht recht unterschiedliche Arbeiten. Ich muß sie hier nicht lückenlos ausbreiten, denn die relativ kurzen Studien aus Teil II wie "2Kön 23,3 und Dtn 6,17" "cd(w)t im Dtn und in den Königsbüchern" oder auch die philologischen Untersuchungen in Teil IV gehen mehr den Fachmann an. Ich beschränke mich auf knappes Referieren und Kommentieren von vier Studien, die (nicht in jedem Fall für mich, wohl aber) für die nicht durch Spezialisierung eingeengte Leserschaft der ThLZ anregend sein könnten.

"Deuteronomium und Pentateuch. Zum Stand der Forschung" (13-38) ist das deutsche Original eines ins Franz. übersetzten, 1991 in Angers gehaltenen und 1992 in Paris publizierten Kongreß-Vortrags. Hier zeigt sich L. als souveräner Darsteller der einschlägigen Forschungsberichte, hier wie öfter (s. u.) aber auch als Erfinder oder Liebhaber von Schlagwörtern. So erscheint ihm das Pentateuchproblem als "ein klassisches Feld für Hypothesenkreisläufe" (13). Also ist "nicht die Einzelhypothese" (Urkunden-, Fragmentenhypothese etc.) richtig, "sondern der Hypothesenkreislauf als solcher ist die adäquate wissenschaftliche Bewältigung des Pentateuchproblems" (14). ’Kreisläufig’ oder (besser) nicht: L. gibt einen kritischen und hilfreichen Durchblick für alle, die gegenwärtig nach dem literarhistorischen Zusammenhang von "Dtn und Pentateuch" fragen. "Als jemand, der nicht leugnen kann, eine ungeordnete Liebe zum Dtn zu haben" (14), wie er sich selbst zauberhaft charakterisiert, beklagt L. sehr zu Recht, daß nicht wenige der jüngeren Pentateuchkritiker der Geschichte des für jede Datierung unentbehrlichen Dtn zu wenig Aufmerksamkeit widmen. Beifällig lese ich: "Man kann von... allen Synchronikern viel in der Textbeschreibung lernen, nichts in historischen Fragen" (18). Ich teile auch das Urteil: "Smends ursprünglicher ’DtrN’ ist... nicht identisch mit all dem, was jetzt in der Göttinger Schule unter dem gleichen Siglum ’DtrN’ läuft"; ob man generell "diesem Modell keine große Zukunft (geben)" kann, wird eben diese Zukunft erweisen (17).

Im Zusammenhang des IOSOT-Kongresses 1989 in Löwen stand die Frage: "Gibt es eine deuteronomistische Bearbeitung im Bundesbuch?" (39-64). Hier stemmt sich L. der zuletzt von E. Otto in seinen zahlreichen rechtsgeschichtlichen Untersuchungen vertretenen Meinung entgegen: "Vergleicht man die gemeinten Bundesbuchpassagen mit demDtn, dann fehlen überall die wirklich überzeugenden Argumente für ihre Abhängigkeit vom Dtn" (41). L. exemplifiziert an Ex 22,20-23, weshalb er "eine ’deuteronomistische’ Schlußüberarbeitung des Bundesbuchs für unbewiesen" hält (63).

Unter der Überschrift "Gab es eine deuteronomistische Bewegung?" (65-142) betreibt L. auf fast 80 S. (incl. 10 S. Literatur) einen verblüffenden Aufwand ­ weniger für eine historische Untersuchung als für den Gebrauch von Wörtern. L. beweist einen langen Atem bei der Umschreibung und Beantwortung (s)einer Frage, aber schon bei der ersten Lektüre (des mir freundlich zugesandten Separatums) hatte ich den Eindruck: Geboren wird eine Maus. L. zieht gegen den bedachten oder auch unbedachten Gebrauch von Ausdrücken wie "dtr Bewegung", "dtr Schule" oder gar "Deuteronomismus" (so scheußlicherweise auch Perlitt) zu Felde. Aber sein Kampf gegen das Adjektiv "dtr" erinnert ein bißchen an den gegen Windmühlenflügel. Er will das Wort "Bewegung" durch sprachliche und soziologische Vergleichung mit modernen Phänomenen konturieren ("Jugendbewegung", "Friedensbewegung", "Stadt der Bewegung" etc.). Ergebnisse, die sich natürlich auch auf historische Überzeugungen gründen, lauten dann z. B. so: "Deshalb sollte man... die Bezeichnung ’deuteronomische Reformbewegung’ vermeiden und lieber von der nationalen und kultischen ’Restaurationsbewegung der Joschijazeit’ sprechen. ...Eine Bewegung gab es also. Das Dtn und die beginnende Deuteronomistik spielten in ihr die erste Geige. Aber es war trotzdem keine ’dtr Bewegung’" (115). L. belastet richtige Beobachtungen mit übertriebenen nomenklatorischen Folgen; darüber kein Streit aus Mangel an Zeit.

Energisch widerspräche ich gerne einem Vortrag von 1989, bei dem schon der unsachgemäß ’weite’ Obertitel "Das dtn Gesetz in der Endgestalt" wie der modisch-ungenaue Untertitel "Entwurf einer Gesellschaft ohne marginale Gruppen" (205-218) zeigen, welchem Interesse die Bemühungen dienen (sollen): dem von L. geplanten Buch "Armut als Un-Ding. Beobachtungen zur deuteronomistischen Weltkonstruktion". Konkret geht es hier um die hebräischen Wörter für personae miserae und darum vor allem um Dtn 15 mit den Textspannungen, die durch literarische Schichtung entstanden und deutbar sind. L. behandelt die einschlägigen Begriffe hier m. E. zu stark losgelöst von dem thematischen Gesamtzusammenhang in Dtn 15. Der Ausdruck "marginale Gruppen" spielt im Text zum Glück kaum eine Rolle. Das Ganze ruft einem den Satz des Herrn ins Gedächtnis: "Arme habt ihr allezeit...".

Schließlich nenne ich die aus verschiedenen Tagungsbeiträgen kompilierte und entsprechend umfangreiche Abhandlung "Opferzentralisation, Säkularisierungsthese und mimetische Theorie" (219-260). Den seltsamen Ausdruck "mimetische Theorie" sowie den Dauergebrauch des Wortes "Mimesis" verdankt der Leser nach L.s eigenem Bekunden vor allem René Girard, La violence et le sacré (Paris 1972, deutsch Zürich 1987).

Zunächst aber: Der Aufsatz beginnt mit einem Satz, neben den ich ebenso spontan wie natürlich despektierlich das Wort "Quatsch" schrieb: "Das Buch Dtn ist eine Erzählung." Viel anders als ich kann das L. selbst auch nicht sehen, denn gleich auf der nächsten Seite (220) redet er sachgemäß von dem, woraus das Dtn wirklich besteht: Reden und Rechtssatzsammlungen. Ich schreibe das ungern so abwertend ­ nicht nur, weil L. für seine Reizformel irgendwelche Gründe hat oder findet, sondern auch, weil dieser Aufsatz in der Substanz eine Fülle hervorragender Beobachtungen zu Opfer, Fest und Kult im Dtn enthält. Derlei trägt man zeitaufwendig und dankbar nach Textstellen und Begriffen in seine Dtn-Kartei ein, bis man am Ende (255-260) wieder bei der "Mimesis" angelangt ist und Einträge sich erübrigen.

Von der "Bewegung" über die "Mimesis" zum "Weltentwurf": Mir ist seit einem Drittel Jh. immer rätselhaft geblieben, woher dieser herausragende und produktive Exeget den verteufelten Hang zu all den fachlichen wie allgemeinen Modernismen und Aktualitäten hat, die doch noch schneller gehen als kommen und auch in einem solchen Band die wahren Schätze zu vergraben drohen.

Gewöhnliche Tippfehler liste ich nicht auf, aber Fehler im Hebräischen: dbrj hbrjt statt brjt (10), Wortfolge jhwh twrt (84), mkrb statt bkrb (207). Einmal muß es 15,9 statt 15,7 heißen (217). Spieckermann wird für seine Analyse von 2Kön 22-23 gepriesen ("sicher die gründlichste, die aus Göttingen gekommen ist"...), sein Vorname aber wird abgewandelt zu Hubert. Da kann man mit der großen Berlinerin Claire Walldorf nur singen: "Hermann heesta." Gegen die sprachliche Tradition schreibt L. Deuteronomium/s/-forschung","Samuel/s/bücher", "Dekalog/s/- verkündigung" etc. Natürlich würde er argumentieren "Verkündigung des Dekalogs"; aber "Nest/s/beschmutzer" oder "Bett/s/benutzer" wäre eben auch kein Deutsch.