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Ausgabe:

Mai/2010

Spalte:

539-540

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Breytenbach, Cilliers, u. Rudolf Hoppe [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Neutestamentliche Wissenschaft nach 1945. Hauptvertreter der deutschsprachigen Exegese in der Darstellung ihrer Schüler.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2008. XI, 487 S. m. Abb. 8°. Kart. EUR 34,90. ISBN 978-3-7887-2274-6.

Rezensent:

Eduard Lohse

Dieser inhaltsreiche Band dokumentiert in eindrucksvoller Weise, wie nach Ende des Krieges die weitreichenden Aufgaben neutes­tamentlicher Wissenschaft mit Tatkraft angepackt und unter großem­ Einsatz gemeistert wurden. Die Herausgeber – ein evangelischer und ein katholischer Theologe – haben Lebensbilder herausragender Gelehrter aus beiden Konfessionen zusammengefügt. Sie wurden durchweg von Schülern derjenigen Exegeten entworfen, die der unmittelbaren Nachkriegsgeneration angehörten. Vorgestellt werden Neutestamentler, »deren junge wissenschaftliche Karriere durch den Krieg unterbrochen wurde und die ihre Forschungsarbeit nach dem Krieg wieder aufnahmen« (Vorwort, V). »Sie – darunter viele aus der Bekennenden Kirche – habilitierten sich und wurden die Lehrer, welche die neutestamentliche Wissenschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jh.s weit über den evangelischen deutschsprachigen Raum hinaus nachhaltig prägten: z. B. Hans Conzelmann, Günther Bornkamm, Gerhard Delling, Ernst Käsemann, Werner Georg Kümmel und Eduard Schweizer.« Katho­lischerseits sind vor allem Heinz Schürmann, Otto Kuss, Rudolf Schna­ckenburg und Anton Vögtle zu nennen. Ihnen kommt vor allem das Verdienst zu, »die katholische Exegese mit der protestantischen neutestamentlichen Bibelwissenschaft dialogfähig ge­macht zu haben« (ebd.).
In zwei einleitenden Kapiteln werden die Exegeten gewürdigt, die in der ersten Hälfte des 20. Jh.s neutestamentliche Theologie in Forschung und Lehre vertreten und ihre Schüler zu wissenschaftlicher Arbeit angeleitet haben. Für die evangelische Kriegsgeneration hat Otto Merk den einleitenden Abschnitt verfasst. Aufgrund seiner vielfach bewiesenen subtilen Kenntnis der Theologie- und Wissenschaftsgeschichte hat er einen durch große Sorgfalt und Umsicht ausgezeichneten Überblick gestaltet. Dabei tritt die überragende Bedeutung von Gelehrten wie Rudolf Bultmann und Martin Dibelius, aber auch Ernst Lohmeyer und Julius Schniewind eindrucksvoll hervor. Sie haben nicht nur als hochangesehene Gelehrte, sondern auch als prägende Persönlichkeiten gewirkt, die keine politischen Konzessionen gegenüber dem Dritten Reich gemacht haben. Daher konnten insbesondere ihre Schüler am Wiederaufbau bestimmend mitwirken. Andere Exegeten aber haben nachgegeben und sind falsche Kompromisse eingegangen – bis hin zu dem traurigen Kapitel jenes »Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben«. Weder im Eingangskapitel noch in den späteren Darstellungen wird diese dunkle Zeit übergangen, doch werden die gebotenen kritischen Urteile durchweg behutsam formuliert.
Für die einleitende Darstellung katholischer Bibelwissenschaft zeichnet Ingo Broer verantwortlich. Er weiß das Wirken katholischer Neutestamentler in der ersten Hälfte des 20. Jh.s – Friedrich Wilhelm Maier, Fritz Tillmann, Alfred Wikenhauser und Max Meinertz – einfühlsam zu schildern. Sie – und dann auch ihre Schüler – haben der katholischen Bibelwissenschaft den ihr gebührenden Rang erarbeitet. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil konnte sich dann neutestamentliche Wissenschaft auch im Bereich der römisch-katholischen Kirche frei entfalten und zu hohem Ansehen gelangen. Heute wird man mit Dankbarkeit feststellen dürfen, dass neutestamentliche Wissenschaft im Bereich beider Kirchen gleichrangig betrieben und gefördert wird. Evangelische und katholische Exegeten haben daher etliche wissenschaftliche Unternehmen in partnerschaftlicher Zusammenarbeit begründen können, die – wie z. B. der Evangelisch-Katholische Kommentar zum Neuen Testament – beiden Kirchen dienen sollen.
Die Herausgeber haben sich dafür entschieden, die Porträts nicht nach Konfessionszugehörigkeit, sondern in alphabetischer Reihenfolge zusammenzustellen. Neutestamentler, die noch le­ben, sind jedoch nicht aufgenommen worden. Der Band berück­sichtigt vor allem Gelehrte, die bereits vor dem Krieg promoviert haben. Über Forscher, die erst nach dem Krieg ihr Studium aufnahmen, sei zu gegebener Zeit ein vergleichbarer Band geplant – so wird im Vorwort mitgeteilt.
Die einzelnen Texte sind durch einen festen Aufbau bestimmt. Zuerst wird eine Kurzbiographie geboten; dann wird der akademische Lehrer charakterisiert; es folgt eine Besprechung seiner wichtigsten Veröffentlichungen; und am Ende wird eine zusammenfassende Würdigung vorgenommen. Am Schluss steht jeweils eine kurze Literaturübersicht. Somit kann dieser Band auch als ein nützliches Nachschlagewerk dienen, das rasche Orientierung und Übersicht ermöglicht. – Jedes der Porträts, denen durchweg ein Foto beigegeben ist, ist von Autoren geschrieben, die den darzustellenden Neutestamentler als Schüler gut gekannt haben. Dadurch bekommen die Würdigungen eine persönliche Note. Doch verhalten sich die Autoren keineswegs unkritisch gegenüber ihren Lehrern, sondern wissen auch in nobler Weise anzudeuten, wo und wie auch eine kritische Betrachtung geboten ist oder auf welche Weise vom Lehrer entwi­ckelte Ansätze fortzuführen sind. Die verschiedenen Darstellungen fügen sich zu einer anschaulichen Forschungsgeschichte zusammen, die ein halbes Jahrhundert neutestamentlicher Wissenschaft umspannt.
Am Ende der Lektüre wird man sich fragen, wo Bibelwissenschaft heute steht und vor welche Herausforderungen und Aufgaben sie sich gestellt sieht. Gegensätze verschiedener Schulen, wie sie einst sich voneinander unterschieden, sind zum großen Teil überwunden oder verblasst. Umso deutlicher tritt die Aufgabe hervor, mit vereinten Kräften und in vertrauensvoller Zusammenarbeit die biblischen Texte stets aufs Neue zu befragen, kritisch zu betrachten und die in ihnen ausgesprochene Botschaft heute zu Gehör zu bringen. Durch gewissenhafte und redliche gelehrte Arbeit wird neutestamentliche Wissenschaft heute wie einst – und auch in Zukunft – ihren Dienst in und an Theologie und Kirche zu versehen haben.