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Ausgabe:

Mai/2010

Spalte:

525-528

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Esposito, John L., Voll, John O., and Osman Bakar [Eds.]

Titel/Untertitel:

Asian Islam in the 21st Century.

Verlag:

Oxford-New York: Oxford University Press 2008. XIV, 306 S. gr.8°. Kart. £ 15,99. ISBN 978-0-19-533303-9.

Rezensent:

Olaf Schumann

Mit diesem Sammelband fügt John L. Esposito eine weitere gewichtige Informationsquelle den von ihm bereits früher mit Kollegen herausgegebenen Werken zum Islam in der modernen Welt hinzu (z. B. »Islam in Asia« [1987], dessen Themen hier aufgegriffen und fortgeführt werden).
Es ist unmöglich, auf alle Beiträge umfassend einzugehen. Kritische Anfragen können, wo sie sich stellen, nur selektiv aufgegriffen werden. Fred R. von der Mehden widmet sich dem »Islam in Indonesia in the Twenty-First Century« (11-30). Einen Schwerpunkt legt er auf die Analyse der Kooperation radikal-islamischer Gruppen mit dem Militär und der politischen Führungselite während der verheerenden Gewaltaktionen nach dem Machtverlust Suhartos. Amien Rais, Verfechter eines radikalen Islam, in einem Atemzug mit dem »liberalen« Abdurrahman Wahid als »seeking to establish the foundations of a democratic society during Suharto’s regime« (24) zu charakterisieren, scheint recht gewagt, die Rolle von ICMI (Verband indonesischer Intellektueller) etwas unterbelichtet (15). Erhellend sind die Ausführungen zu den diversen radikalen Gruppen, ihrer Klientel und teilweise ihrer Sponsoren sowie zur Reaktion seitens der Bevölkerung und der islamischen gesellschaftlichen Organisationen.
Pakistan sind zwei Beiträge gewidmet: »Pakistan after Islamization: Mainstream and Militant Islamism in a Changing State« (Vali Nasr, 31-48), und »A Provincial Islamist Victory in Pakistan: The Social Reform Agenda of the Muttahida Majlis-i-Amal« (Anita M. Weiss, 145-173); als Periode besonders intensiver Islamisierung der gesellschaftlichen und rechtlichen Ordnung gilt die Ära unter General Zia ul-Haq (1977-1988). Die wechselnden Koalitionen – oder Alleingänge – der drei entscheidenden politischen Kräfte: Mi­litär, Islamismus und Demokratie/Säkularismus, von denen letztere der schwächste Faktor ist, analysiert V. Nasr eingehend. In den Wahlen von 2002 fuhr zum ersten Male eine Koalition islamistischer Parteien, die Mutahhida Majlis-i-Amal (MMA), vor allem in den Provinzwahlen beachtliche Erfolge für die Islamisten ein. In der Nordwestprovinz übernahmen sie die Regierung. Auf die Hintergründe und die Folgen dessen, vor allem auch für den Umgang mit den Taliban, geht A. M. Weiss umfassend ein. Die ideo­logische Basis von General Musharraf im Säkularismus ist schwach, und damit öffnen sich neue Wirkungsmöglichkeiten für die Islamisten (46).
Obwohl sich in Bangla Desh etwa 85 % der Bevölkerung zum Islam bekennen, geschah die Trennung von Pakistan 1971 unter dem Vorsatz »Bengali nationalism, secularism, socialism, and democ­racy as the four pillars of national ideology« zur Verfassungsgrundlage zu machen, betont Mumtaz Ahmad in seinem Beitrag »Islam, State, and Society in Bangladesh« (49-79, hier 72, vgl. 51). Erst unter der Herrschaft der Generäle Ziaur Rahman (1975-1981) und Hussain Muh. Ershad (1982-1990) kam es zu einer gewissen Islamisierung und dem Wegfall des »Säkularismus«. Auch hier jedoch bot sich die »islamische Alternative« (53) erst nach den Fehlentwick­lungen im Namen des »säkularen Nationalismus« an. Ahmad geht dann auf die verschiedenen Faktoren ein, die zur Stärkung des islamischen Bewusstseins führten, bis hin zur Genese des Ahl-e-Hadith, der für die Bangla Desh erschütternde Anschlagserie von 2005 die Verantwortung trug.
Dem Thema »Malaysian Islam in the Twenty-First Century: The Promise of a Democratic Transformation?« wendet sich Osman Bakar zu (81-108) zu. Gleich zu Beginn stellt er fest, dass dessen Stärke darin bestehe, »perhaps ... the most monolitic and the most state-regulated« Islam zu sein (82). Die Frage, ob diese enge Abhängigkeit von der politischen Macht nicht eher eine substantielle Schwäche indiziert, wird nicht gestellt. Bakar bemüht sich um den Nachweis, dass die malaiischen Muslime (as the majority ethnic group within the majority multiethnic Muslim community in Malaysia, 85) zunehmend bereit sind, ein plurales Verständnis ihrer Religionsgemeinschaft zu akzeptieren und die nicht-malaiischen Muslime (vor allem Chinesen, Inder) als gleichberechtigt anzuerkennen. Das wiederum unterstützt die Islamisierungsprogramme und Anstrengungen der Regierung, Malaysia als kulturell und ethnisch.pluralen Islam-Staat auszuweisen. Das Faktum der religiösen Pluralität in Malaysia hat in diesem Konzept offensichtlich keinen Raum, und Bakar streift es lediglich am Schluss (104), obwohl seiner Auskunft nach nur etwa die Hälfte der Malaysier Muslime sind (81).
Die Beziehungen der zentralasiatischen, ehemals zur Sowjetunion gehörenden Staaten zur Türkei behandelt M. Hakan Yavuz: »The Trifurcated Islam of Central Asia: A Turkish Perspective« (109-144). Eingehend analysiert er die Folgen der sowjetischen Religionspolitik seit Stalin und die Reduzierung des Islam auf Folkloristisches. Das Problem der Neuorientierung der »Turkic Republics« hat nicht nur in ihren diversen Bevölkerungen die Frage nach (den Resten) ihrer islamischen Identität wachgerufen, sondern auch in der Türkei die schon in der jungtürkischen Bewegung verhandelte Frage nach den Beziehungen zwischen Türken und »Turkmenen« neu belebt. Für die Türkei ist »Turkism«, Islam eingeschlossen, Thema der Agende, für die Zentralasiaten selbst, wie Yavuz betont, »the reclaiming of Islam from state control and turning it into a source of morality and identity« (138).
Steven I. Wilkinson, in »Muslims in Post-Independence India« (177-196), legt dar, wie schon in der Zeit der politischen Dominanz der säkularen Kongress-Partei Diskriminierungen der muslimischen Minderheit an der Tagesordnung waren. Die Wahlerfolge der konservativen Hindu-Parteien in den 1980er Jahren, verschiedene gewalttätige Auseinandersetzungen und vor allem die blutigen Zusammenstöße um die Babri-Moschee in Ayodhya verstärkten das aggressive Potential auf beiden Seiten (182). So nutzten auch hier regionale und nationale Regierungen nach dem 9.11.2001 die Gunst der Stunde, um gegen missliebige muslimische Gruppen unter dem Rechtfertigungsschild des war on terror verstärkt gewaltsam vorzugehen. Die aus islamischen Ländern bekannte mehrheitliche Ablehnung eines religiösen Staates (Islam-Staat) findet sich auch unter den Hindus in Indien (Hindu-Staat, 182).
»Islam in China« (Jacqueline Armija, 197-228) zog erst im vergangenen Jahr (2009) durch die massive Protestbewegung der Uighuren gegen die kulturimperiale Politik der chinesischen Regierung und deren vom Umgang mit den Tibetern her bekannte brutale Repression bis hin zu Todesurteilen einige Aufmerksamkeit auf sich. Armija behandelt die Geschichte der wechselvollen Beziehungen zwischen den Han-Chinesen und den verschiedenen muslimischen Minoritäten. Sie weist auf die nach dem Ende der Kulturrevolution unter den Muslimen spürbare stärkere Rückbesinnung auf ihre kulturelle und religiöse Identität, die von der chinesischen Regierung nach dem 9.11.2001 als Vorwand für erneute Repressionen »im Kampf gegen den Terror« genutzt wurde. Armija informiert über die besondere Rolle der muslimischen Frauen, etwa im Blick auf die nur ausserhalb des staatlichen Schulunterrichts mögliche religiöse Erziehung (217-220). – In Thailand und den Philippinen stehen große Gruppen der islamischen Minoritäten in einem schon seit langem, gelegentlich auch militärisch ausgetragenen Konflikt mit ihren jeweiligen Regierungen, im Süden Thailands insbesondere die Malaien im ehemaligen Sultanat Patani.
Eliseo R. Mercado, in »The Effect of 9/11 on Mindanao Muslims and the Mindanao Peace Process« (229-244), beschreibt die verschiedenen Friedensinitiativen mit der MNLF (Moro National Liberation Front, seit 1968) und dem später (1978) aus ihr hervorgegangenen MIM (Muslim Independence Movement). Mercado belegt, wie durch Obstruktion von Mitgliedern der philippinischen Regierungen und vor allem des Militärs bisher jegliche dauerhafte Lösung verhindert wurde, was auch hier zur Hinwendung vor allem jüngerer Muslime und Intellektueller an islamistische Ideologen wie den Pakistani A. A. Mawdoodi und den Ägypter Sayyid Qutb (nicht: al Qutb, 237) führte. Nicht thematisiert werden die Folgen der massiven christlichen Transmigration in den Süden (1900: 90 % der Bevölkerung Mindanaos muslimisch, 1970: etwa 20 %; 233). Imtiyaz Yusuf streift in seinem Beitrag »Thai and Cambodian Muslims and the War on Terrorism« (245-259) ebenfalls die Geschichte, bezieht jedoch die der nicht-malaiischen Muslime in Thailand mit ein (247 f.). Auch von den Muslimen in Thailand wird der war on terror als Krieg gegen den Islam verstanden (250 ff.), was auch hier dem Einfluss wahhabitischer und anderer radikaler antiwestlicher Strömungen sowie der Hinwendung zu einer Art Neo-Pan-Islamism (255) Vorschub leistet.
Dankbar sind Leserinnen und Leser zweifellos über die Informationen zum Islam in Cambodia (249 f.253).

Am Schluss des Bandes geht John O. Voll (»Conclusions: Asian Islam at a Crossroads«, 261-289) gewissermaßen anhand einer Stichwortliste die Problemfelder durch, die in den Beiträgen angesprochen wurden, und fragt, in welche Richtung sich der Mainstream-Islam in Asien bewegen wird: Die dabei wirksame gegenseitige Beeinflussung globaler Ereignisse und Entwicklungen und lokaler Traditionen und Erfahrungen führte zu dem »awkward but helpfully descriptive term of ›glocalisation‹« (261). Der Scheideweg, an dem sich die asiatischen Muslime zu Beginn des 21. Jh.s befinden, weist in zwei Richtungen: »One is a path of activist exclusivism that insists on a standardized conformity in belief and practice, and the other path emphasizes the importance of a pluralist response to the diversity of the societies that are being increasingly shaped by the processes of glocalization.« (285).
Das informationsreiche, in seinen Analysen zumeist ausgewogene und Verständnis weckende Buch sei allen empfohlen, die offen und bereit sind, sich kompetent in aktuelle Probleme der »Welt des Islam« einführen zu lassen.