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Ausgabe:

Mai/2010

Spalte:

511-526

Kategorie:

Aufsätze

Autor/Hrsg.:

Bernhard Dressler

Titel/Untertitel:

Religionspädagogik zwischen Bildungstheorie und Kompetenzdidaktik

»Kompetenz ist … eine Disposition, die Personen befähigt, bestimmte Arten von Problemen erfolgreich zu lösen.«1 Muss sich die Religionspädagogik genötigt sehen, die Zielsetzungen unterrichtlicher »Kompetenzorientierung« anzuerkennen, um im Konzert der schulischen Fächer ihre Stimme nicht zu verlieren? Steht sie damit wieder einmal vor der Gefahr einer Funktionalisierung der Religion? »Das Christentum lehrt nicht, dass die menschlichen Probleme lösbar sind, sondern dass das Flehen erhört wird«, so Nicolas Gomez Davila in einem Aphorismus. Wie kann das zusammengehen: die christliche Religion und die Kompetenz, Probleme zu lösen?

1.


Die bildungspolitische und erziehungswissenschaftliche Ausgangslage: Kompetenzen statt Stoffe als Antwort auf die Misere der Schule


Als Reaktion auf die ernüchternden Ergebnisse der ersten PISA-Studie werden die Zielvorgaben für das allgemeinbildende Schulsys­tem in Deutschland gegenwärtig grundlegend umgestellt. Das wohl bedeutendste Dokument dieses Umstellungsprozesses ist das sog. »Klieme-Gutachten« von 2003, eine gemeinsam vom Bundesbildungsministerium und der Kultusministerkonferenz in Auftrag gegebene Expertise »Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards«. Der Unterricht soll nicht mehr an material definierten Lernstoffen ausgerichtet werden, wie sie bislang in Lehrplänen als Themenkanon kodifiziert wurden, sondern an der Vermittlung von Kompetenzen, d. h. von Handlungsdispositionen, in denen sich Wissen mit Können verbindet. Entscheidend soll nicht mehr sein, welcher Stoff durchgenommen wurde, sondern was in einem schulischen Lernprozess nachweislich gelernt wurde, d. h. gekonnt wird. Damit verbindet sich die Erwartung, dass sich der Unterricht nicht mehr in der Produktion »trägen« – und in der Regel: flüchtigen – Wissens erschöpft. Nicht mehr soll unsituiert gelerntes Wissen unsituiert reproduziert werden können (und danach bald vergessen werden), sondern im Blick auf bestimmte Problemkonstellationen angeeignetes Wissen soll sich in Praxiskontexten2 – d. h. freilich für den artifiziellen3 Lernraum der Schule überwiegend: virtuellen Praxiskontexten – zeigen. Kompetenzen als Dispositionen zeigen sich nur im Modus ihrer Performanz. Anders sind sie nicht beobachtbar und nicht evaluierbar.4 Neben der Erwartung größerer Nachhaltigkeit der Lernergebnisse soll die Kompetenzorientierung nun allerdings auch realistischere Evaluationen und Problemdiagnosen des Schulsystems ermöglichen. Darin liegt je­denfalls der ursprüngliche Sinn der Formulierung bestimmter Kompetenzniveaus in Form von Bildungsstandards.

Bildungsstandards sollen die Leistungsfähigkeit des Schulsys­tems verbessern. Sie sollen nicht einfach an die Stelle der bisherigen Tests und Prüfungen treten, sondern als länderübergreifend kompatible Instrumente zur Messung der Leistungen von Schulen (und nicht in erster Linie von Schülern!) dienen.5 Der Zusammenhang von Kompetenzorientierung und Bildungsstandards ist insofern differenziert zu beurteilen.6 Standards sind ohne Kompetenzorientierung nicht zu denken. Es lässt sich aber kompetenzorientiert unterrichten, ohne deshalb zwingend standardisiert zu evaluieren. Die Standardisierung von Kompetenzen erscheint also als »eine nachgeordnete empirische und politisch-gewichtende Aufgabe«.7 Das ist umso mehr zu betonen, als Standards nur dann als valide Messinstrumente dienen können, wenn sich bei ihrer Formulierung der normative Bezug auf Bildungsziele mit dem empirischen Bezug auf die realistische Erwartbarkeit bestimmter Kompetenzniveaus verbindet. Sofern dafür nicht nur auf das »Erfahrungswissen der Fachdidaktiken« zurückgegriffen wird,8 konzentrieren sich die erforderlichen kostenträchtigen empirischen Untersuchungen weitgehend auf die sog. »Hauptfächer«. Sie stoßen zudem bei den sog. »weichen« (sprachlich-literarischen und musisch-ästhetischen) Fächern, nicht zuletzt also auch beim Religionsunterricht, in besonderer Weise auf das Problem einer überaus schwierig zu bestimmenden messtechnischen Grenze zwischen evaluierbaren Kompetenzzuwächsen und nichtstandar­disierbaren, nur hermeneutisch wahrzunehmenden und jede quantifizierende Wertung ausschließenden Lernergebnissen. 9

Nun ist die gegenwärtige Diskussion um Bildungsstandards bildungspolitisch leider so stark auf messtechnische Fragen verengt, dass ihr bildungstheoretischer Rahmen10 und der damit verbundene Paradigmenwechsel weithin ausgeblendet bleiben. Die grundsätzlichen Einwände, dass Bildung nicht nach quantifizierbaren Effektivitätskalkülen zu beurteilen ist und die in Bildungsprozessen erworbenen Lernergebnisse, wenn überhaupt, dann nur höchst begrenzt messbar sind, liegen auf der Hand.11 Freilich betont gerade auch das »Klieme-Gutachten«, dass sich schulisches Lernen keineswegs im Erwerb evaluierbarer Kompetenzen er­schöpfen soll und dass sich im Unterricht unterschiedlicher Fächer in unterschiedlichem Maße Entscheidendes jenseits der Standardisierungsdimension abspielt.12 Das gilt grundsätzlich für jeden Unterricht, für den Religionsunterricht allerdings in gesteigertem Maße. Denn in religiösen Lernprozessen soll sich über die Vermittlung religionskundlichen Wissensstoffs hinaus die hermeneutische Dimension religiöser Selbst- und Welterschließung jenseits präzise artikulierbarer Lernergebnisse auf intensive und innige Weise mit individuellen Gewissheiten und Lebensorientierungen verbinden. Indes hat jeder Unterricht auch erzieherische Wirkungen und erschließt auch Erfahrungen und Verstehensgewinne, die sich der Sichtbarwerdung in einem beobachtbaren Können entziehen. Immerhin ist aber einzuräumen, dass komplexe Kompetenzen über das bloße Abfragen von Kenntnissen hinaus auch durch elaborierte Testverfahren ermittelt werden können.13 Und bei aller gerechtfertigten Geringschätzung eines auf bloße Wissensakkumulation reduzierten Lernens darf nicht von der Tatsache abge­sehen werden, dass Urteilsfähigkeit und Kenntnisse in der Regel korrelieren. Anders gesagt: Wissen ist ein Indikator für Können – jedenfalls dann, wenn es in Lernprozessen nicht nur lexikalisch abgespeichert, sondern innerhalb von Gebrauchskontexten erworben wurde – Performanz und Kompetenzerwerb gehen ebenso zu­sam­men wie Kompetenzerweis und Performanz. 14

Nun ist bei den Grenzbestimmungen dieses Themas der pragmatische Hintergrund nicht aus dem Blick zu verlieren: Die Dis­kussion um Bildungsstandards konzentriert sich nicht nur – wie es leider in den bildungspolitischen Debatten immer wieder zu hören ist – auf das Problem, wie die Leistungsfähigkeit des Schulsystems zum Zwecke der ökonomischen Konkurrenzfähigkeit des »Standorts Deutschland« zu steigern ist. Es geht vielmehr um die Nachhaltigkeit unterrichtlichen Lernens und dabei dann nicht zuletzt auch um die Frage, wie dem skandalösen Umstand zu begegnen ist, dass nahezu ein Sechstel der Schüler jedes Jahrgangs in Deutschland die Schule ohne Abschluss als funktionale Analphabeten verlassen. Ebenso, wie den bildungsfremden, rein ökonomistischen Erwartungen an die Schule kritisch zu begegnen ist, ist der Ideologie hehrer Ziele, die den Misserfolg der Schule vernebelt und folgenlos bleibt, nüchtern zu begegnen. »Die Misere des deutschen Bildungssystems hat ihren Ursprung in einer fatalen Asymmetrie: wir überfrachten den Bildungsbegriff und verkennen die Erziehungswirklichkeit.« 15 Effizienz von Bildungsarbeit ist dann keine falsche Forderung, wenn nicht der gesamte Bildungsprozess auf Effizienzkalküle umgestellt wird. Unter diesen Vorzeichen sind Kom­petenzorientierung und Bildungsstandards »bescheiden, prag­matisch und dennoch höchst konstruktiv«.16 Sie sollen sich nicht gegen ein emphatisches Bildungsverständnis richten, das sich utilitaristischen Verzweckungskalkülen verweigert, wohl aber gegen bildungsidealistische Überhöhungen ebenso wie gegen das politisch ambitionierte, die Schule jedoch überfordernde und die Grenzen des pädagogischen Handelns prinzipiell überdehnende Ziel, die »epochaltypischen Schlüsselprobleme« dieser Welt zum leitenden Prinzip bei der Ermittlung von Unterrichtsinhalten und Lernzielen zu machen. 17
Im Lichte solch unrealisierbarer Vorgaben bleiben zugleich die tatsächlichen Leistungen des Schulsystems un­sichtbar. Als normative Vorgabe gilt für die Bildungsstandards, dass »man … (I) fähig (wird), sich in der eigenen Welt zu orientieren und mit fremden Welten zu kommunizieren. Man versteht (II) die Modellierbarkeit der Welt in Theorien der Naturwissenschaften und der symbolischen Strukturen der Mathematik und ist fähig, ihre Gestaltung als Möglichkeit des Handelns zu sehen und dabei (III) Normen und Traditionen der eigenen und anderer Kulturen zur Geltung zu bringen, sie zumindest auf ihre Geltung hin zu prüfen, und das alles so, dass man (IV) das eigene Leben dabei organisiert. Mehr darf man gar nicht erwarten.« 18

2.


Bildung und sozialkulturelle Differenzierung – Religion im Ensemble des schulischen Fächerkanons


Zumindest für einen Teil der Rezeption von PISA und für manche kultusministerielle Operationalisierung von Bildungsstandards trifft die Kritik an einem technokratischen und messtechnischen Problemreduktionismus durchaus zu. Was dabei aber zumeist abgeblendet wird: Der von Tenorth kurz skizzierte bildungstheoretische Rahmen, wie er auch schon der PISA-Studie zugrunde liegt, knüpft bei allem Pragmatismus historisch und systematisch an die klassischen Bildungskonzepte bei Humboldt, Herder und Schleiermacher an: Bildung soll Subjekt und Welt so vermitteln, dass die Welt mittels der inkompatiblen, aber komplementären Perspektiven unterschiedlicher (wissenschaftlicher, moralischer, ästhetischer und religiöser) Rationalitätsformen erschlossen wird, ohne diesen Differenzzusammenhang einheitswissenschaftlich (z. B. szi­entistisch bzw. naturalistisch) aufzuheben.19 Bildungsziele, auch wenn sie als Kompetenzen formuliert werden, werden also nicht mehr prognostisch von gesellschaftlichen Bedarfsanalysen (wie in der Curriculum-Theorie der 1970er Jahre) oder im Blick auf epochaltypische Schlüsselprobleme abgeleitet. Sie werden im Medium der Fächer und deren Inhalten sowie mit Bezug auf »do­mänen«-typische Rationalitätsmuster formuliert: Im schulischen Fächerkanon bilden sich die unterschiedlichen »Modi der Welterschließung« 20 differenziert ab. Weil Bildung nicht utilitaristisch zu denken ist, sondern immer ein gewisses Maß an Zweckfreiheit in sich trägt, ist sie nicht von wie auch immer politisch begründeten gesellschaftlichen Verwertungsbedarfen her zu denken. Ohnehin wissen wir viel zu wenig darüber, was heute gelernt werden muss, weil es zukünftig gebraucht wird. Vor allem aber unterstellt die moderne Bildungsidee, dass der Mensch mehr ist, als gesellschaftlich von ihm verlangt und erwartet wird. Fächerbasierte oder domänenspezifische Kompetenzen sind eben deshalb nicht von Bedarfsprognosen abhängig. Was mit ihnen beurteilt und gekonnt werden soll, ist von den kulturellen Praxen her zu denken, die den Referenz- und Resonanzraum der Fächer bilden und an denen die Schüler als künftige Bürger partizipieren können sollen.

Ohne die Verschränkung der Kompetenzorientierung mit inhaltlich qualifizierten »Modi der Welterschließung« ließe sich das Problem, wie Lernziele und Lerngegenstände zu definieren sind, nicht lösen. Anders ließe sich aber auch Kompetenzorientierung nicht mit einem Bildungskonzept verbinden. Da Kinder und Jugendliche immer in eine schon gewordene Welt hineinwachsen, kann Bildung nicht einfach auf den Erwerb formaler subjektiver Fähigkeiten und Fertigkeiten hinauslaufen, sondern muss in die Welt einführen und Weltbezüge ausbilden. Das aber kann nur durch Verstehen gelingen. 21 Verstehen ist immer bestimmtes, konkretes Verstehen. Freilich laufen die »Modi der Welterschließung« nicht unmittelbar auf einen Fächerkanon hinaus. Es geht dabei nicht um fachliches Wissen als bloßen Lernstoff, sondern um die in den Fächern exemplarisch eröffneten Perspektiven der Welterschließung und damit um ein offenes und variables Konstruktionsprinzip sowohl für einen Fächerkanon als auch für die Auswahl exemplarischer fachspezifischer Unterrichtsgegenstände. Die Welterschließungsmodi sind weder hierarchisch zu ordnen noch wechselseitig substituierbar. Sie halten das Bewusstsein des Unterschiedes zwischen Welt modellierungen und bloßen Weltbeschreibungssystemen wach. Das gilt in Sonderheit auch für die Naturwissenschaften, die sich in dieser Hinsicht – wie die anderen Fächer auch – nicht einfach auf Empirie, sondern auf eine be­stimmte kulturelle Praxis beziehen. Religion kann in diesem Zusammenhang in ihrer spezifischen Differenz gegenüber empirischem Tatsachenwissen, aber auch in ihrer Unterschiedenheit gegenüber Moral und Metaphysik erscheinen – gleichsam als »eigene Provinz« nicht nur im Gemüt, sondern auch im Ensemble der Weltzugänge. Vor allem aber verschiebt sich in dieser bildungstheoretischen Perspektive die Legitimation des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen: Religion ist nicht – wie es leider auch in manchen Kirchenleitungsverlautbarungen geschieht – durch ihre Instrumentalisierung zu rechtfertigen; sie hat nicht in erster Linie für etwas anderes gut zu sein, für Moralerziehung, Wertevermittlung oder sozialkulturelle Integration (auch wenn sie gleichsam als Kollateralnutzen für all das gut ist). Religion gehört in den schulischen Fächerkanon, weil sie ein unverzichtbarer Modus der Welterschließung ist, ohne den der kulturelle und epistemische Horizont der allgemeinbildenden Schule unvollständig wäre. Mit dem Religionsunterricht korrespondiert das Vorhandensein einer kulturellen Praxis, die bei der Vorbereitung junger Menschen auf die kompetente Partizipation an der gesellschaftlichen Gesamtpraxis nicht fehlen darf, wenn denn die Inanspruchnahme der Grundrechte, zu der die Schule befähigen soll, das Recht auf positive Religionsfreiheit einschließt. 22

Von Anfang an ist der moderne Bildungsbegriff als Reaktion sowohl gegen den aufklärerischen Utilitarismus des Philanthropinum als auch gegen das Hegelsche Totalitätsdenken zu verstehen. Bildung erhebt im Unterschied zu Ausbildung den Anspruch, der modernen Gesellschaft und der für sie konstitutiven Differenzierung in unterschiedliche Teilsysteme auf eine Weise gerecht zu werden, die die Menschen als Grenzen der Systeme anerkennt, ohne sich gegenüber den Anforderungen moderner Systemimperative nur zu verweigern. Es soll ihnen durch die unterschiedlichen Erkenntnis- und Handlungslogiken hindurch die Integrität und Kohärenz ihrer Lebensführung ermöglicht werden. 23 Bildung soll die Möglichkeit eröffnen, dass »Menschen … ihr Leben führen, es also nicht nur wie einen objektiven Prozess erfahren, als wäre es einer Krankheit ähnlich, die sie befällt«24 – und eben darin besteht die wechselseitige Affinität von Religion und Bildung. In dieser Hinsicht wird auch deutlich, warum es zu kurz greifen würde, das Ziel religiöser Bildung dergestalt kulturhermeneutisch zu verkürzen, als ginge es nur um die Fähigkeit, religiöse Traditionsspuren in den kulturellen Äußerungen der Geschichte und der Gegenwart lesen zu können, sei es in den Museen und in der Literatur, in der Architektur und im Kino. Ein besonderes Unterrichtsfach, noch dazu unter dem Mitwirkungsrecht der Religionsgemeinschaften (Art. 7.3 GG), ließe sich so nicht begründen. 25 Zwar wäre religiöse Kulturhermeneutik als Teil allgemeiner Bildung nicht nichts. Doch kommt es darüber hinaus darauf an, Religion als eine spezifische kulturelle Praxis zu erschließen, die nicht in der Kultur aufgeht, und dabei den in der Religion gestalteten »Sinn und Ge­schmack für das Unendliche« zu entwickeln und von anderen Gestalten kultureller Lebensäußerung zu unterscheiden.

3.


Bildung zielt auf Partizipation am kulturellen Gesamtleben der Gesellschaft


Wenn nun allgemeine Bildung unter den genannten Voraussetzungen nicht als Ausbildung misszuverstehen ist, gibt es dann dennoch so etwas wie ein allgemeines Regulativ für Bildungsziele? Bildung schließt gesellschaftliche Verwertungszwecke insofern nicht völlig aus, als ohne die in ihr vermittelten »kulturellen Basis­kompetenzen«26 niemand einen Beruf ausüben könnte. Das darf aber nicht den Blick darauf verstellen, dass Bildung nur vollständig gedacht wird als die Einführung der jüngeren durch die ältere Generation in das, was Friedrich Schleiermacher »Mitgesamttätigkeit«27 genannt hat – es geht um die mündige, d. h. reflektierte und urteilsfähige Teilhabe am kulturellen Gesamtleben der Gesellschaft. Die allgemeinbildende Schule ist keine Berufsvorbereitungsanstalt.28 Dennoch werden die fachlichen Lernziele der Schule unter der Hand oft an beruflichen Ausbildungskriterien ausgerichtet. Dann gelten im Chemieunterricht künftige Chemiker, im Religionsunterricht künftige Theologen, im Musikunterricht künftige Musikerinnen mehr oder weniger explizit als Regulativ. Der allgemeinbildende Unterricht zielt aber nicht auf künftige Experten, sondern auf gebildete Laien. So sehr ein Fachunterricht für eine spätere Berufsorientierung begeistern kann, ist sein Zweck weder die Rekrutierung künftigen Fachpersonals noch die Verwissenschaftlichung aller Lebensführungskompetenzen. Zwar gehört es zur Bildung, unmittelbare Umgangsformen unserer Alltagspraxis von szientifisch orientierten Kommunikations- und Handlungsmustern unterscheiden zu können. Allgemeingebildete Laien sind aber anders als Experten nicht an den operativen Kompetenzen der hinter den Schulfächern stehenden Fachwissenschaften interessiert, sondern an generellen, sie selbst oder die Gesellschaft allgemein betreffenden Fragen. 29 Sie müssen wissen, was sie von fachlicher Expertise dazu erwarten können und was nicht.30 Experten werden über fachliche Grundkenntnisse hinaus über operatives Wissen verfügen müssen. Den allgemeingebildeten Laien reichen Grundkenntnisse, vor allem aber sollten sie über fachliches Reflexionswissen verfügen, das die Experten wiederum zwar nicht zwingend für ihr fachliches Handeln brauchen, wohl aber deshalb, weil sie ja immer über ihren Beruf hinaus auch mündige Bürger sind. Für die Ermittlung der Themen und Inhalte des Religionsunterrichts dürfen also nicht nur einfach »abbilddidaktisch« wissenschaftlich-theologische Strukturen und Inhalte erfasst und miniaturisiert werden.

Die Religionspädagogik ist noch einigermaßen am Anfang, wenn es darum geht, über die aktuell diskutierten Kompetenzmodelle31 hinaus für die konkreten unterrichtlichen Lernprozesse jeweils genau zu fragen, was zu religiöser Partizipation – bzw. zu begründeter religiöser Abstinenz – gehört. Fruchtbare Leitfragen könnten dabei sein: Was gehört zu der Fähigkeit, religiöse Fragen im Horizont des eigenen Selbstverhältnisses und im Blick auf die individuelle Lebensführung stellen und reflektieren zu können? Was gehört auf dem Feld der Religion zur sachgerechten Kommunikation der Partizipanten untereinander und mit Menschen an­derer religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen? Wie ist religions politische Kompetenz ins Verhältnis zu religiöser Kompetenz zu setzen, also vor dem Hintergrund einer eigenen Religionspraxis deren Verhältnis (oder das Verhältnis anderer Religionen) zu anderen gesellschaftlichen Handlungsfeldern zu beurteilen und zu gestalten? Neben diesen Fragen kann im Sinne einer regulativen Idee gefragt werden, was dazu gehört, religiöse Experten, diejenigen also, die professionell mit Religion zu tun haben, zu verstehen (was natürlich reziprok mit der Frage zusammenhängt, wie sich Experten gegenüber Laien sachgerecht verständlich zu machen haben). Was z. B. gehört dazu, einen Segen im Gottesdienst oder bei einer Kasualie nicht als magische Handlung, den geistlichen Zuspruch in einem Seelsorgegespräch nicht als therapeutischen Heilungsversuch, die symbolisch-metaphorische Gebets- oder Predigtsprache nicht als Sachverhaltsbehauptungen, den texthermeneutischen Hintergrund einer Predigt nicht biblizistisch misszuverstehen usw.? 32 Für das Feld der Religion, zumindest der christlichen Religion, gilt dabei allerdings im Unterschied zu anderen Professionsfeldern wie z. B. der Medizin, dass es nicht nur de facto, sondern aus normativen Gründen – das »allgemeine Priestertum aller Gläubigen«! – fließende Übergänge zwischen professionellem Expertentum und Laien gibt. Das wiederum hängt damit zusammen, dass religiöse Kompetenz, die in unterrichtlichen Lernprozessen zu erwerben ist, auf von ihr selbst zu unterscheidenden, aber nicht zu trennenden Glaubensgewissheiten aufruht, die aus theologischen und aus pädagogischen Gründen nicht didaktisch zu operationalisieren sind. Darauf wird zurückzukommen sein.

Didaktisch ist maßgeblich, dass für die reflexiv-urteilsfähige Teilhabe am kulturellen Gesamtleben einer Gesellschaft ein Zu­sam­menhang von Teilnahme und Beobachtung charakteristisch ist, der sich beschreiben und konzeptualisieren lässt als Zusam­menhang von Kompetenz und Performanz. Zunächst: Jede Teilnahme an einer kulturellen Praxis bedarf, wenn sie urteilsfähig sein soll und die Subjekte nicht gleichsam aufsaugen soll, der (Selbst-)Beobachtung, also einer gewissen Distanzierungsfähigkeit. Es geht hier keineswegs um eine Besonderheit religiösen Lernens. Wer die Partizipation an einer außeralltäglichen ästhetischen Erfahrung für das ganze Leben hält, verkennt die ästhetische Praxis als Unterbrechung der Alltagswirklichkeit. Wer als in geschlos­senen Kausalbeziehungen denkender Naturwissenschaftler sein Fachwissen zu einer Lebensführungsmaxime extrapoliert, kann die Le­benserfahrung freien Handelns nur noch als Illusion deuten. Wer Religion ohne Selbstdistanz und ohne Anerkennung religiöser Pluralität praktiziert, verengt seinen Glauben fundamentalistisch. Indem Menschen sich zur Teilnahme an kulturellen Praxen reflexiv verhalten können, können sie zugleich die Unterscheidungen treffen, ohne die sie der Differenziertheit von Rationalitätsmustern und Handlungslogiken, in die das Leben eingespannt ist, nicht gerecht werden könnten. Es gilt für alle kulturellen Praxen, dass die Möglichkeit, sie zu verstehen, sich nur innerhalb eines Spannungsverhältnisses zwischen interner Partizipantenperspektive und ex­terner Beobachterperspektive eröffnet. Beobachtung ohne Teilnahme ist leer, Teilnahme ohne Beobachtung ist blind. Partizipationskompetenz entsteht auch durch Einübung, aber im Kontext von Bildungsgängen eben nicht nur durch Einübung, sondern durch eine didaktisch systematisierte Distanznahme, durch den inszenierten Wechsel zwischen experimenteller, probeweiser33 Teilnahme und Beobachtung der Teilnahme. Unterricht ist in al­ters­angemessener Dosierung immer Weltbeobachtung (als Teilnahme an einer kulturellen Praxis) und Beobachtung der Welt­beob­achtung, d. h. Unterricht verschränkt Beobachtungen erster und zweiter Ordnung. Es ist eine Didaktik des Perspektivenwechsels, die auf diese Weise einen Ermöglichungsraum reflexiver Kompetenzen eröffnet.

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen gibt es zu denken, dass der Soziologe Armin Nassehi im »Bertelsmann-Religionsmo-nitor«34 auf der Basis hermeneutisch-rekonstruktiver Interview-auswertungen die These aufgestellt hat, in Deutschland herrsche eine »erhebliche religiöse Kompetenz« vor, allerdings um den der »Kulturalisierung« von Religion geschuldeten Preis erheblicher inhaltlicher »Inkonsistenzen«. Nassehi sieht hierin nur einen vermeintlichen Mangel, der dadurch mehr als kompensiert werde, dass die religiösen Orientierungen im Modus von »Authentizität« geäußert würden – und sich eben darin als von kirchlich normierter Religion unterschieden wüssten. Den Kirchen rät er folgerichtig, ihre Kommunikationsmaßstäbe von inhaltlichen Kriterien auf ästhetische Stimmigkeit umzustellen. 35 Es lässt sich jedoch auch ohne Bezug auf empirische Untersuchungen sagen, dass viele als gebildet geltende Menschen unter Religion das Fürwahrhalten vormoderner Weltbilder und wissenschaftlich widerlegter Tatsachen verstehen – und sie aus ebendiesem Grund ablehnen.36 Religion wird als sachverhaltsförmiges Jenseitswissen verstanden. Und wo ein solches nicht unter esoterischen Vorzeichen affirmiert wird, wird sie mit der Zumutung assoziiert, Tatsachen für richtig halten zu sollen, die seit Galilei und Darwin als obsolet gelten können. Zwar ist durchaus schon bei Schülern der Sekundarstufe I die gleichsam »religionsaffine« Fähigkeit zu beobachten, zwischen empirischer Tatsachenrichtigkeit und den Erkenntnisfunktionen und Geltungsansprüchen poetisch-metaphorischer Sprache und narrativ entfalteter Selbst- und Weltdeutungen unterscheiden zu können. Dass diese Kompetenz jedoch für religiöse Hermeneutik nicht fruchtbar genug wird, liegt vermutlich daran, dass religiösen Texten und Zeichen der Status von Sachverhaltsrichtigkeit zugeschrieben wird – und zwar aus einem durchaus nicht ganz sachfremden Motiv: Die zu Recht unterstellte existenzielle Bedeutung, also der besondere »Ernst« religiöser Aussagen, scheint es nicht zuzulassen, sie »nur« symbolisch zu verstehen. Sofern der Sinn und Geschmack für den symbolischen Kommunikationsmodus nicht gleich ganz naturalistisch-szientistischen Weltzugängen geopfert wird, wird er in religiösen Kontexten für defizitär gehalten.

Nun hat der Religionsunterricht an der öffentlichen Schule nicht das Ziel, empirisch vorfindliche inkonsistente und inhaltlich unbestimmte Religiosität in eine kirchlich genehme Form von Religion zu transformieren. Ein religiöses Bildungskonzept bringt aber normative Kriterien zumindest soweit zur Geltung, dass die Akzeptanz von Inkonsistenz nicht auf die Legitimierung von Ob­skurantismus hinausläuft. Es geht in Bildungsprozessen nicht um die Bestärkung authentischer, sondern um die Förderung urteilsfähiger religiöser Praxis. Dazu gehört im Sinne einer religiösen Sprachlehre ein angemessenes Verständnis religiöser Kommunikation. Authentizität enthält kein Kriterium, wie die Alternative von Fundamentalismus oder Indifferenz zu vermeiden ist. Keinesfalls kann sich ein Bildungsprogramm damit zufrieden geben, dass die Regeln intersubjektiver Gültigkeit durch ästhetische Eindrück­lichkeit ersetzt werden, weder in religiöser Kommunikation noch beim Reden über Religion. Eine solche Option kann in Bildungsprozessen, auch wenn sie pragmatisch erfolgversprechend wäre, aus normativen Gründen nicht gewollt werden. Im Kontext von Bildung ist Reflexivität und nicht Authentizität die zentrale Kategorie der Kommunikationsfähigkeit und des Selbstverhältnisses von Menschen. Gewiss können und sollen Menschen ihr Leben nicht in allen Situationen als gebildete Subjekte führen. Die Religionspraxis lebt von Momenten der Unmittelbarkeit, in denen jede Reflexion suspendiert ist. Und auch aus protestantischer Perspektive kann man sagen, »dass die moderne Sozialform der Religion eher auf einen Erwartungs stil als auf konkrete Inhalte verweist.«37 Keineswegs sind die besonderen ästhetischen Kommunikationsformen, auf die Religion angewiesen ist, nur als gegenüber dem Gehalt der Botschaft sekundäre Gestaltungsweisen zu verstehen. Deshalb verfolgt gerade auch eine Didaktik, die die Gehalte der christlichen Religion mittels der Ingebrauchnahme ihrer ästhetischen Gestalten erschließen will, eine kognitive Intention: Sie er­möglicht ein Urteil darüber, in welchem von anderen Modi der Welterschließung unterschiedenen Modus im Religionsunterricht die Wahrheitsfrage zu stellen ist.

4.


Fazit: Kompetenzorientierung – Reflexivität –


Bildung im Kontext von Religion und Glaube


Kompetenzen in dem hier verhandelten Sinne sind als fachlich fundiertes Vermögen nicht nur formale, inhaltlich unbestimmte subjektive Fähigkeiten und Fertigkeiten.38 Als Bildungsziele sind sie zudem auf andere (wenn auch daran möglicherweise anzuschließende) Weise zu konzeptualisieren als die zu Zwecken analytischer Deskription entwickelten Kompetenzmodelle.39 Zwei grundlegende Perspektiven und Dimensionen dessen, was ein religiös gebildeter Mensch wissen und können sollte, zeichnen sich ab: Er sollte die spezifische Semantik bzw. die spezifische Extension und Intension religiöser Kommunikation beurteilen können. Das wäre die Grammatik religiöser Kommunikation. Und er sollte die damit verbundenen Kenntnisse in der Teilnahme an religiöser Kommunikation in Gebrauch nehmen können. Das wäre die Pragmatik religiöser Kommunikation. Es bietet sich daher an, allen Kompetenzmo­dellen einen Dual von Deutungskompetenz und Partizipationskompetenz zugrunde zu legen.40 Diese zunächst rein formale Differenzierung könnte auch für eine Vielzahl anderer Schulfächer gelten.41 Sie muss dann domänen- oder fachspezifisch inhaltlich be­stimmt werden. Über die dabei möglichen weiteren Differenzierungen wird zu verhandeln sein.42

Noch einmal: Dass Religion, auch gebildete Religion, nicht in Kompetenzen aufgehen kann, ist unstrittig, unterscheidet den Religionsunterricht aber nicht von anderen Fächern. Wie für den Unterricht an öffentlichen Schulen überhaupt nur »eine solche Kompetenz maßgebend sein (kann), die sich auf ein reflexives Können­ dessen bezieht, was als unterrichtliche Erweiterung der Erfahrung bezeichnet werden kann«, so kann es speziell im Religionsunterricht nicht darum gehen, »Religiosität in dem Sinne zu messen, dass etwa Glaubensstärken oder Spiritualitätsgrade erhoben und bewertet würden.« 43 Wenn es nicht schon andere re­li­gions­theo­retische Gründe gäbe, analytisch zu unterscheiden zwischen der Religion als dem – erlernbaren – kulturellen Zeichen­system, in dem ein Glaube intersubjektiv kommunikabel wird, und ebendem Glauben als einem individuell gewissen Gottvertrauen, so müsste diese Unterscheidung im Interesse einer Religionsdidaktik allererst eingeführt werden.44 Der katholische Religionspädagoge Ru­dolf Englert wendet sich in einer kritischen Analy­se des Kompetenzmodells der CI-Expertengruppe gegen die angeblich »strikte« Unterscheidung zwischen »objektivierbarer Religion« und dem Glauben als einer »Form persönlicher Gewissheit …, die man religiösen Lehr- und Lernbemühungen völlig entzogen sieht«. Er hält »ein solches Auseinanderdividieren von Religion und Glaube eher dogmatischen Prämissen als religionspädagogischem Sachverstand« geschuldet. 45 Ich würde indes nicht nur aus theologischen, sondern auch aus pädagogischen Gründen an den hier zur Debatte stehenden Unterscheidungen festhalten wollen, ohne sie freilich in dieser angeblichen »Striktheit« überhaupt für möglich zu halten. Dass der Glaube (als fides qua) nicht als Resultat eines intentionalen Lernprozesses lernbar ist, ist auch an dem analogen Sachverhalt abzulesen, dass mentale Zustände ganz generell nicht durch Entschlüsse erreicht werden können. Sie sollen auch nicht das Ziel pädagogischer Interventionen sein, sofern diese nicht in indoktrinierender Absicht die Freiheit der Edukanden unterlaufen. Man kann sich weder dazu entschließen, zu glauben oder dieses Glauben-Wollen zum Ausgangspunkt eines individuell gesteuerten Lernprozesses zu machen, noch kann Glaube als operationalisierbares Resultat einer didaktischen Anstrengung durch eine Lehrperson »erzeugt« werden. Theologisch hat das seinen Grund in der zumal protestantisch akzentuierten Unverfügbarkeit des Glaubens (Luther: »Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann«). 46 Pädagogisch hat diese Einsicht ihr Äquivalent in der Erfahrung, dass ein Gefühl, eine moralische Präferenz oder eine Gesinnung zwar erzieherisch angestrebt werden, aber nicht didaktisch erzeugt werden kann. Das gilt umso mehr für das elemen­tare, dem Glauben zugrunde liegende Gefühl eines Selbst- und Weltvertrauens, das nicht einmal empirisch sicher be­stimmten Soziali­sationsvoraussetzungen zugeschrieben werden kann. Es ist bei religiösen Lernprozessen jedoch auszugehen von einer äußerst komplexen Gemengelage von emotionalen Widerständen, sozialisatorisch verankerten Erfahrungswiderständen, in Missverständnissen wurzelnden kognitiven Widerständen, die pädagogisch und didaktisch bearbeitet werden können. Dann muss der Glaube keine blitzartige, konversionsanaloge Erkenntnis sein, sondern kann sich langsam entwickeln. Die kognitiven Anteile, die daran auch eine Rolle spielen können, lassen sich kaum trennscharf von anderen Motiven unterscheiden. Und schließlich: Die Fähigkeit zur religiösen Expression und Kommunikation von Glaubensgewissheiten wirkt stärkend auf diese zurück, ohne dass sie deshalb als durch Religion erzeugt gelten können. Ohne religiöse Appetenz jedoch lässt sich religiöse Kompetenz kaum vermitteln. Man wird religiös kompetent sein können, ohne »religiös musikalisch« zu sein zu müssen – aber das ist eher unwahrscheinlich.

Kompetenzorientierung, so lässt es sich resümierend formulieren, bewegt sich auf einem schmalen Grat zwischen neuen Lernchancen und der Gefahr bzw. der Illusion einer technizistischen Verkürzung des Lernverständnisses.47 Gewiss: Kompetenzorientierung erscheint anfällig für funktionalistische oder ökonomistische Lesarten. Und doch lässt sich vor diesem Hintergrund der Kompetenzbegriff, weil und sofern er auf fachlichen Gegenstandslogiken aufruht, von jenem normativ fragwürdigen, aber auch praktisch unterkomplexen Qualifikationsbegriff unterscheiden, der der Curriculumdiskussion der 1970er Jahre zugrunde lag und mit dem sich die Differenz zwischen allgemeiner Bildung und Ausbildung so nivellierte, dass konsequenterweise für längere Zeit die Begriffe Lernen und Sozialisation an die Stelle des Bildungsbegriffs traten. Folgende in der Praxis von Lehr-Lern-Prozessen nie ganz trennscharfe, aber doch analytisch mögliche Unterscheidung schlage ich vor: Qualifikationen werden von im weitesten Sinne beruflichen, d. h. aus der systemischen Sphäre der Erwerbsarbeit abgeleiteten Verwertungsbedarfen her definiert. Sie sind Resultat von Ausbildungsgängen. Ihre Anwendung ist relativ unabhängig von subjektiven Motivationen, ihr Dispositionsspielraum ist vergleichsweise eng. Kompetenzen sind demgegenüber Handlungsdispositionen, die hinsichtlich ihrer Aktualisierung – ihrer Performanz – deutlicher an motivationale und volitionale Bereitschaften rückgekoppelt sind und deshalb stärker der Handlungssouveränität der Subjekte und den Anforderungen der kommunikativen Lebenswelt unterliegen. Die Realisierung einer Qualifikation im Arbeitsprozess bleibt in gewissem Maße fremdbestimmt. Die Ingebrauchnahme einer Kompetenz schließt die Bewusstheit des Handlungsmotivs und die Entscheidungsfreiheit gewissermaßen reflexiv mit ein. Weil der so präzisierte Kompetenzbegriff als bildungstheoretisch kompatibel gelten kann, ist er auch widerständig gegen seine funktionalistische Reduzierung. Die größere Gefahr einer Funktionalisierung der Religion scheint mir indes gegenwärtig von ganz anderer Seite zu drohen: eher durch einen verschwiemelten Bildungsidealismus, der von so wenig ausweisbaren erzieherischen Zielen wie »Persönlichkeitsentwicklung« raunt, oder durch die von außen an den Religionsunterricht herangetragenen und von manchen Religionslehrkräften gerne erfüllten moralerzieherischen Er­wartungen.

Im »Klieme-Gutachten« werden Kompetenzen als ebendie »Fä­higkeiten der Subjekte« verstanden, »die auch der Bildungsbegriff gemeint und unterstellt hatte: erworbene, also nicht von Natur aus mitgegebene Fähigkeiten, die an und in bestimmten Dimensionen der Wirklichkeit erfahren wurden und zu ihrer Gestaltung geeignet sind, Fähigkeiten zudem, die der lebenslangen Kultivierung, Steigerung und Verfeinerung zugänglich sind.«48 Wenn es nun um Graduierungsmodelle geht, in denen Kompetenzstufen und Stufen des Kompetenzerwerbs unterschieden werden können, so ist dabei »parallel zur alten Bildungstheorie … der Grad der Reflexivität der Problembearbeitung, also die kritische Beobachtung des eigenen Lernens und der Welt, der Aufgaben und der Lösungsprozesse der beste Indikator, um solche Graduierung zu konstruieren und für konkrete Handlungsbereiche des Menschen zu entwickeln.«49

Schulisches Lernen erfolgt immer im Medium bestimmter In­halte. Zugleich verstärkt die gegenwärtige kompetenzorientierte Wende mit dem Rekurs auf die fachliche Perspektivierung der Welterschließung die Inhaltsbezogenheit des Unterrichts eher gegenüber seiner Orientierung an vermeintlichen (und wissenschaftlich wie politisch kontroversen) zukünftigen Problemlösungserfordernissen (»Schlüsselqualifikationen« und »epochalty­pische Schlüsselprobleme«). Dennoch verschiebt sich aber doch das unterrichtliche Verhältnis von Inhaltlichkeit und Intentionalität: Nicht länger soll ein Lehrplan die Inhalte vorgeben, sondern Kompetenzen sollen sich gleichsam ihre immer wieder neu zur Disposition stehenden Inhalte suchen.50 In gewisser Weise werden Lernstoffe auf diese Weise funktionalisiert. Unter dem Gesichtspunkt ihrer Exemplarizität geschieht dies aber schon immer. Zu finden ist ein Weg jenseits der Alternative zwischen einer materialen, d. h. über Stoffe definierten, und einer formalen, d. h. allein über ab­strakte (statt fachlich formatierte) Kompetenzen definierten Bildungstheorie.51 Dabei ist dem Problem nicht zu entkommen, nicht mehr einfach von einem unstrittigen Kanon von »Bildungsgütern« ausgehen zu können (der heute angesichts expandierenden Wissens und strittiger Kriterien immer schwieriger auszu­handeln wäre), sondern Lerninhalte exemplarisch bestimmten Lehrintentionen zuordnen zu müssen. Mit der bewussten Anerkennung, dass Lernen nur im Medium konkreter Inhalte denkbar ist, und mit der bildungstheoretischen Reflexion dieses Sacherverhalts sind nun zwar keine Garantien gegen ein Lernverständnis gegeben, das Inhalte funktionalistisch instrumentalisiert; wohl aber wird dem damit drohenden Bedeutungsverlust der Lerngehalte gewehrt.52 Für den Religionsunterricht jedenfalls ist nicht jene sinkende Halbwertzeit des Bildungswissens zu veranschlagen, mit der sich die Fächer auseinanderzusetzen haben, deren Stoffe un­mittelbarer an expandierende empirische Forschung anschließen. So ist pragmatisch davon auszugehen, dass sich aufgrund der Bewährtheit und Zentralität bestimmter Gehalte (Themen, biblische Texte, religiöse Praxen) so etwas wie ein »Kerncurriculum«53 einspielen wird.

Sollen nun also doch auf religiösem Feld »Probleme gelöst« werden? Hier ist abschließend ein Missverständnis abzuwehren. Selbstverständlich geht es auch auf dem Feld der Religion um Kompetenzen, mit denen auf bestimmte situative Anforderungen reagiert werden kann. Didaktisch werden Erwerb und Erprobung solcher Kompetenzen im Blick auf als Handlungsprobleme formulierte exemplarische Lebenssituationen angestrebt.54 Die Lebenssituationen, in denen religiöse Kompetenz gefragt ist, werden aber im Unterschied zu den schulischen Lernaufgaben gar nicht überwiegend als lösbare »Probleme« wahrgenommen werden können. Religiöse Kompetenz schließt gerade das Wissen ein, dass das Leben nicht nur im Aktivismus von Problemlösungen bestehen kann und soll. Sie schließt die Anerkennung des Umstands ein, dass ein religiöser Glaube ganz auf passiven Erfahrungen gegründet ist, auf Erfahrungen des Anerkanntseins jenseits aller persönlichen Eigenschaften und Leistungen, jenseits auch aller Kompetenzen.

Summary


The control of teaching in schools in Germany is changing from curricula-based to competence-oriented approaches. What does this mean for religious instruction? There is no doubt a danger of reducing religion to a set of special functions, but there are also chances of establishing a more lasting approach to religious learning that seeks to educate students to be autonomous participants in religious life in the sense of the basic right of positive freedom of religion. The present educational reform provides the opportunity to show religious instruction to be an essential part of public education in schools.

Fussnoten:

1) Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.), Expertise: Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards, Bonn 2003, 72; im Folgenden: »Klieme-Gutachten« (Autoren: Eckhard Klieme u. a.).
2) »Kompetenz stellt die Verbindung zwischen Wissen und Können her und ist als Befähigung zur Bewältigung von Situationen bzw. von Aufgaben zu sehen. Jede Illustration oder Operationalisierung einer Kompetenz muss sich daher auf konkrete Anforderungssituationen beziehen« (»Klieme-Gutachten«, 73).
3) Die Verbindung von Wissen und praktischen Gebrauchskontexten ist nicht unbedingt identisch mit der reformpädagogischen Forderung nach größerer Lebensnähe, insofern damit die für die Schule konstitutive Artifizialität nicht unterlaufen werden soll. Die Schule ist nur zu verstehen vor dem Hintergrund der für moderne Gesellschaften unerlässlichen Auflösung des unmittelbaren Zusammenhangs von Leben und Lernen.
4) Das »Klieme-Gutachten« versteht (im Anschluss an das Kompetenzkonzept F. E. Weinerts) »unter Kompetenzen die bei Individuen verfügbaren oder von ihnen erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, bestimme Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können.« (72) Wie weit »motivationale« und »volitionale« Bereitschaften, zu denen auch Gesinnungen gehören, vermittelbar und evaluierbar sind, halte ich für eine offene Frage. Dabei sind m. E. nicht nur pragmatische, sondern auch ethische Grenzen des pädagogischen Handelns in Betracht zu ziehen.
5) Die dafür gängige Terminologie (Umstellung von der sog. Input- auf eine Outcome-Steuerung) droht mit ihrem ökonomistischen Tonfall diese geradezu revolutionäre Umkehrung der Legitimationsverhältnisse bei der Messung schulischer Lernerfolge in Misskredit zu bringen. Kontraproduktiv wirken freilich die Rahmenbedingungen der jeweiligen kultusministeriellen Vorgaben, die u. a. die hierfür erforderliche größere Schulautonomie nur zö­gerlich einräumen und mit der bloßen Umverteilung von Stoffmengen auf kürzere Schulzeiten das Prinzip der Kompetenzorientierung unterlaufen sowie mit dem Ausbau z. B. des Zentralabiturs die Schulen auf das ganz entgegengesetzte Prinzip des teaching for the test konditionieren.
6) So ist z. B. quer zu der Frage, wie Kompetenzniveaus zu bestimmen und zu ermitteln sind, zwischen didaktischen Aufgaben zur Kompetenzvermittlung und Prüfaufgaben zur Kompetenzermittlung zu unterscheiden. Vgl. Dietrich Benner, Unterricht – Wissen – Kompetenz. Zur Differenz zwischen di­daktischen Aufgaben und Testaufgaben, in: Ders. (Hrsg.), Bildungsstandards. Chancen und Grenzen, Beispiele und Perspektiven, Paderborn 2007, 124–138.
7) Dietlind Fischer, Ein Kompetenzmodell für religiöse Bildung – Entwurf der Expertengruppe am Comenius-Institut, in: Clauß Peter Sajak (Hrsg.), Bildungsstandards für den Religionsunterricht – und nun?, Berlin 2007, 92.
8) »Klieme-Gutachten«, 71.
9) Von besonderem Interesse sind hierzu die von Dietrich Benner und Rolf Schieder geleiteten DFG-Forschungsprojekte »Religionsunterricht – Bildungsstandards und Qualitätssicherung« (RU-Bi-Qua) und »Konstruktion und Erhebung von Religiösen Kompetenzniveaus im evangelischen Religionsunterricht« (KERK). Einen kurzen Überblick bieten: Dietrich Benner u. a., Ein Modell domänenspezifischer religiöser Kompetenz. Erste Ergebnisse aus dem DFG-Projekt RU-Bi-Qua, in: D. Benner, Bildungsstandards (Anm. 6), 141–156. Die Auswertung dieser und weiterer empirischer Untersuchungen wird das bislang weitgehend theoretisch und postulatorisch erörterte Thema hoffentlich auf solidere Füße stellen können.
10) Hierzu grundlegend und exemplarisch: Jürgen Baumert, Deutschland im internationalen Bildungsvergleich, in: Nelson Killius u. a. (Hrsg.), Die Zukunft der Bildung, Frankfurt a. M. 2002, 100–150; Dietrich Benner, Die Struktur der Allgemeinbildung im Kerncurriculum moderner Bildungssysteme. Ein Vorschlag zur bildungstheoretischen Rahmung von PISA, in: ZfP 2002, 69–90.
11) Zu den Problemen der Operationalisierbarkeit und Messbarkeit von Lernergebnissen speziell im Blick auf den Religionsunterricht: Rudolf Englert, Religionsunterrichtliche Bildungsstandards und das Lehrbarkeitsproblem, in: Ders., Religionspädagogische Grundfragen, Stuttgart 2007, 217–232.
12) »Klieme-Gutachten«, 48 u. ö. Vgl. hierzu auch: Bernhard Dressler, Religionsunterricht – mehr als Kompetenzorientierung?, in: Andreas Feindt/Volker Elsenbast/Peter Schreiner/Albrecht Schöll (Hrsg.), Kompetenzorientierung im Religionsunterricht. Befunde und Perspektiven, Münster-New York-München-Berlin 2009, 23–27.
13) So z. B. in RU-Bi-Qua (Anm. 9).
14) Bernhard Dressler, Performanz und Kompetenz. Überlegungen zu einer Didaktik des Perspektivenwechsels, in: ZPT 1/2008, 74–88.
15) Wolf Lepenies, Bildungspathos und Erziehungswirklichkeit, in: Nelson Killius/Jürgen Kluge/Linda Reisch (Hrsg.), Die Bildung der Zukunft, Frankfurt a. M. 2003, 15.
16) Heinz-Elmar Tenorth, Welche Orientierung liefern Tests und Standards dem Bildungssystem (nicht)?, in: Volker Elsenbast. u. a. (Hrsg.), wissen – werten – handeln. Welches Orientierungswissen braucht die Bildung?, Berlin 2005, 41–50, hier: 42.
17) Kritische Einwände gegen die von Wolfgang Klafki für die Ermittlung allgemeiner Bildungsziele veranschlagten »epochaltypischen Schlüsselproblemen« trage ich vor in: Bernhard Dressler, Unterscheidungen. Religion und Bildung, Leipzig 2006, 102–108.
18) H.-E. Tenorth (Anm. 16), 44.
19) Hierzu grundsätzlich: B. Dressler, Unterscheidungen (Anm. 17).
20) Baumert und Klieme unterscheiden: 1. »Kognitiv-instrumentelle Model­lierung der Welt« (Mathematik, Naturwissenschaften), 2. »Ästhetisch-expres­sive Begegnung und Gestaltung« (Sprache/Literatur, Musik/Malerei/Bildende Kunst, Physische Expression), 3. »Normativ-evaluative Auseinandersetzung mit Wirtschaft und Gesellschaft« (Geschichte, Ökonomie, Politik/Gesellschaft, Recht), 4. »Probleme konstitutiver Rationalität« (Religion, Philosophie). Natürlich müssen die inhaltlich definierten »Modi der Weltbegegnung« verschränkt werden mit eher formalen »kulturellen Basiskompetenzen«, also grundlegenden Kulturtechniken, um schulische Lernprozesse ermöglichen und strukturieren zu können (J. Baumert, Deutschland im internationalen Bildungsvergleich [Anm. 10], 113; »Klieme-Gutachten«, 68). Dieses Tableau halte ich im Einzelnen für verhandelbar und im Grundsatz für zustimmungsfähig. Ähnliche quadruple Schemata sind schon bei Humboldt und Herder zu finden.
21) Vgl. Bernhard Dressler, Fachdidaktik und die Lesbarkeit der Welt. Ein Vorschlag für ein bildungstheoretisches Rahmenkonzept der Fachdidaktiken, in: B. Dressler/L. Beck (Hrsg.): Marburger Schriften zur Lehrerbildung, Bd. 2, Marburg 2010, 9–25.
22) Vor diesem Hintergrund ist dann etwa Christian Grethleins Vorschlag, Beten und Segnen ins Zentrum einer religionsdidaktischen Kriteriologie zu stellen, gegen das Missverständnis zu verteidigen, es handele sich dabei um eine klerikale Engführung der Religionspädagogik. Es geht dabei um das, was empirisch im Zentrum der religiösen Aufmerksamkeit von Jugendlichen steht (Gebet und Kasualien) und was sie zu einer mündigen Religionspraxis gerade ohne klerikale Bevormundung befähigt. Allerdings halte ich diesen Vorschlag in seiner inhaltlichen Bestimmung nicht für ausreichend (Christian Grethlein, »Religiöse Kompetenzen« oder »Befähigung zum Christsein« als Bildungsziel des Religionsunterrichts?, in: ZPT 1/2007, 64–76).
23) Bei Jürgen Habermas werden die Differenzierungsgewinne moderner Gesellschaften vor allem im Blick auf die Expertenkulturen veranschlagt. Der normative Impetus seiner Theorie kommunikativen Handelns zielt demgegenüber darauf ab, das lebensweltliche »Zusammenspiel« von Kognition, Moral und Ästhetik nicht aufzusprengen (vgl. bes. J. Habermas, Die Moderne – ein unvollendetes Projekt, in: Ders., Philosophisch-politische Aufsätze 1977–1990, Leipzig 1990, 459 ff.).
24) Dieter Henrich, Bewußtes Leben, Stuttgart 1999, 81.
25) Schon Humboldt rechnete religiöse Bildung keinem eigenen Fach, sondern dem Geschichtsunterricht zu.
26) Vgl. Anm. 20.
27) Friedrich Schleiermacher, Grundzüge der Erziehungskunst (Vorlesungen 1826), in: Texte zur Pädagogik, Bd. 2 (hrsg. v. M . Winkler u. J. Brachmann), Frankfurt a. M. 2000, 16.
28) »Sprangers These, dass der ›Weg zu der höheren Allgemeinbildung … über den Beruf und nur über den Beruf‹ führe, ist heute nicht mehr zu retten und war auch schon im Kontexte der Weimarer Republik und der in dieser ge­gebenen überberuflichen demokratischen Öffentlichkeit so nicht haltbar« (Diet­rich Benner, Schulische Allgemeinbildung versus allgemeine Menschenbildung?, in: Ders., Bildungstheorie und Bildungsforschung, Paderborn 2008, 225).
29) Im Anschluss an das Habermassche Theoriemodell könnte man sagen: Expertenwissen ist dem öffentlichen Streit auszusetzen. Dazu müssen Expertendiskurse externalisiert werden und exoterische Brücken zum Lebensalltag geschlagen werden. Es geht also um die »Aneignung der Expertenkultur aus dem Blickwinkel der Lebenswelt« (J. Habermas, Die Moderne – ein unvollen­detes Projekt, 462; s. Anm. 23).
30) Der österreichische Bildungstheoretiker und Mathematikdidaktiker Roland Fischer hat als regulative Idee für die schulische Allgemeinbildung statt fachlichem Expertenwissen die »Kommunikationsfähigkeit mit Experten« vorgeschlagen (Höhere Allgemeinbildung und Bewusstsein der Gesellschaft, in: Erziehung und Unterricht 5–6/2003, 559–566).
31) Das m. E. am weitesten entwickelte, wenn auch nicht unumstrittene Modell hat eine Expertengruppe am Comenius-Institut vorgelegt, an der ich mitgearbeitet habe: Dietlind Fischer/Volker Elsenbast (Red.), Grundlegende Kompetenzen religiöser Bildung. Zur Entwicklung des evangelischen Religionsunterrichts durch Bildungsstandards für den Abschluss der Sekundarstufe I, Münster 2006; siehe auch Dietlind Fischer/Volker Elsenbast (Hrsg.), Stellungnahmen und Kommentare zu »Grundlegende Kompetenzen religiöser Bildung«, Münster 2007.
32) Es liegt auf der Hand, dass gemeindepädagogische Bildungsangebote ganz ähnliche Ziele verfolgen. Vor dem Hintergrund der Kompetenzorientierung werden die Unterschiede zwischen dem schulischen Religionsunterricht und kirchlichem Bildungshandeln neu (und wahrscheinlich diffiziler) justiert werden müssen. Maßgeblich wird dabei der jeweils didaktisch zu inszenierende Distanzierungsspielraum sein. Vgl. hierzu Bernhard Dressler, Religion im Vollzug erschließen! Performanz und religiöse Bildung in der Gemeinde, in: Hartmut Rupp/Christoph Th. Scheilke (Hrsg.), Bildung und Gemeindeentwicklung (Jahrbuch für kirchliche Bildungsarbeit 2007), Stuttgart 2007, 173–182.
33) Der Erziehungswissenschaftler Thomas Ziehe spricht von »Probedenken« und »Probehandeln« als grundlegenden Modi unterrichtlicher Kommunikation (ders., Zeitvergleiche. Jugend in kulturellen Modernisierungen, Weinheim-München 1991, 96 u. ö). Im religionsdidaktischen Diskurs wird dieser Vorschlag häufig als gleichsam »unernster« Aktionismus missverstanden (»Religion spielen«). Siehe dazu einen Versuch zur präziseren Bestimmung: Bernhard Dressler, Religion und Bildung in den Differenzen des Lebens, in: ZPT 3/2007, 284 f.
34) Armin Nassehi, Erstaunliche religiöse Kompetenz. Qualitative Ergebnisse des Religionsmonitors, in: Bertelsmann-Stiftung, Religionsmonitor 2008. Gütersloh 2007, 113–132. Zur genaueren Auseinandersetzung mit Nassehi siehe: Bernhard Dressler, Religionsunterricht – Mehr als Kompetenzorientierung? (Anm. 12), 24 ff.
35) Vgl auch Armin Nassehi, Warum die Welt katholischer wird. Nicht in der Botschaft, sondern in ihrer Unbestimmbarkeit liegt die Kraft der Religion. In: Die Zeit, 12.04.2007.
36) Anders sind z. B. die Auflagenerfolge von Richard Dawkins’ atheistischen Polemiken gar nicht denkbar, die schon deswegen keine seriöse Religionskritik sein können, weil Dawkins unter Religion eine Art vorwissenschaftlicher Naturkunde versteht. Gegenüber der Repräsentativität von Nas­sehis Behauptung, nur ein einziger seiner 49 Probanden habe »überhaupt nicht an religiöse Formensprache anschließen« können (119), bin ich jedenfalls skeptisch.
37) Nassehi (Anm. 34), 122.
38) Ich würde deshalb auch davon abraten, für den Religionsunterricht weiterhin jene ursprünglich aus der Berufsbildungspädagogik stammenden formalen »Schlüsselkompetenzen« wie »Personal«-, »Sozial«- und »Methodenkompetenz« zu veranschlagen und dann additiv durch »Fachkompetenz« zu ergänzen (so z. B. Helmut Hanisch, Unterrichtsplanung im Fach Religion. Theorie und Praxis, Göttingen 2007, 175 f.). Damit wird, von allen anderen hier verhandelten Gründen einmal abgesehen, nicht zuletzt der Gewinn wieder verspielt, der aus der fachbezogenen Kompetenzorientierung als Abschied von den Allzuständigkeitsphantasien und thematischen Entgrenzungen zu ziehen ist, die den Religionsunterricht seit den 1970er Jahren belastet haben.
39) Das gilt z. B. für das von Ulrich Hemel im Anschluss an Charles Y. Glock ausgearbeitete Modell der Dimensionierung von Religion, auf das gegenwärtig immer wieder zurückgegriffen wird. Dessen deskriptive Valenz ist gar nicht infrage zu stellen. Für Kompetenzen im Bildungsprozess ist das Verhältnis zwischen deskriptiven und normativen Aspekten m. E. aber anders zu justieren (vgl. Ulrich Hemel, Religionspädagogik im Kontext von Theologie und Kirche, Düsseldorf 1986, 54 ff.).
40) So auch in den Projekten RU-Bi-Qua und KERK (Anm. 9). Vgl. Rolf Schieder, Verordnete, gefühlte oder messbare Bildungsstandards? Konzeption und Forschungsstand eines interdisziplinären Berliner Projekts, in: C. P. Sajak (Hrsg.), Bildungsstandards für den Religionsunterricht? (Anm. 7), 71.
41) Dietrich Benner, Unterricht – Wissen – Kompetenz. Zur Differenz zwischen didaktischen Aufgaben und Testaufgaben, in: Ders. (Hrsg.), Bildungsstandards (Anm. 6), 134.
42) So werden z. B. in den von der Kultusministerkonferenz verabschiedeten »Einheitlichen Prüfungsanforderungen« (EPA) für das Fach Evangelische Religion folgende fünf Kompetenzbereiche genannt, die am Ende des gymnasialen Religionsunterrichts erworben sein sollen: 1. Wahrnehmungs- und Darstellungsfähigkeit – religiös bedeutsame Phänomene wahrnehmen und beschreiben; 2. Deutungsfähigkeit – religiös bedeutsame Sprache und Zeugnisse verstehen und deuten; 3. Urteilsfähigkeit – in religiösen und ethischen Fragen begründet urteilen; 4. Dialogfähigkeit – am religiösen Dialog argumentierend teilnehmen; 5. Gestaltungsfähigkeit – religiös bedeutsame Ausdrucks- und Gestaltungsformen verwenden. Der Nachweis dieser Fähigkeiten soll auf vier Bezugsfeldern des christlichen Glaubens erbracht werden, nämlich 1. den religiös bedeutsamen Erfahrungen und Fragen der Schülerinnen und Schüler, 2. den pluralen religiösen Lebensentwürfen und Weltdeutungen, 3. den religiös geprägten Ausdrucksformen in der Gegenwartskultur und 4. den religiös-ethischen Herausforderungen in Kultur, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft (EPA für den Evangelischen Religionsunterricht in der Fassung der KMK vom 16.11.2006). Das noch weiter differenzierte Modell der Expertengruppe beim Comenius-Institut (Anm. 31) kann m. E. ebenso wie die EPA auf den Dual von Deute- und Partizipationskompetenz zurückgeführt werden.
43) D. Benner u. a., Ein Modell domänenspezifischer religiöser Kompetenz (Anm. 9), 142.
44) Vgl. hierzu meine eigenen Ausführungen dieses Problems in: Unterscheidungen (Anm. 17), 124–132. Ein Problemaufriss von katholischer Seite siehe auch bei Burkard Porzelt, Grundlegung religiöses Lernen, Bad Heilbrunn 2009, 119 ff.
45) R. Englert, Religionsunterrichtliche Bildungsstandards (Anm. 11), 228 f.
46) Freilich sollte der pneumatologische Vorbehalt auch nicht vorschnell erhoben werden, um nicht religiöse Lernprozesse in die Grauzone einer Mystifikation zu rücken. Emotionen und psychische Tiefenstrukturen sind dabei auf komplexe Weise mit Erfahrungen und Kognitionen verwoben.
47) Es ist als ein Symptom dieser Gefahr zu werten, dass aus der sog. »Neurodidaktik« zunehmend Folgerungen gezogen werden, die Bildung mit Konditionierung und Lernen mit Medikamentierung oder Dressur verwechseln. Hier sind allerdings Motive und naturalistische Menschenbilder wirksam, auf die der pädagogische Diskurs nur beschränkten Einfluss hat.
48) »Klieme-Gutachten«, 65.
49) »Klieme-Gutachten«, 66 (Kursivierung B. D.).
50) Vgl. Bernhard Dressler, Kanon als Inhaltsvorgabe? – Oder: Suchen sich Kompetenzen ihre Inhalte?, in: Gerhard Büttner/Volker Elsenbast/Hanna Roose (Hrsg.), Zwischen Kanon und Lehrplan, Berlin 2009, 134–142.
51) Es war dies das Anliegen der frühen »kategorialen Bildungstheorie« Wolfgang Klafkis: Kategoriale Bildung, in: Ders., Studien zur Bildungstheorie und Didaktik, Weinheim-Basel 1963.
52) Anzuerkennen ist freilich das Problem, dass die in der Komplementarität von Kompetenzen und fachlichen Inhalten liegenden Chancen Lehrpersonen mit hohem fachlichem Urteilsvermögen voraussetzen. Sofern dies der Grund ist, warum in manchen kulturministeriellen Versionen (und amtskirchlichen Vorgaben) Bildungsstandards doch wieder mit Stoffkatalogen aufgefüllt werden, könnte man pragmatisch zustimmen. Es sollte dieser Kompromiss dann allerdings aus Gründen systematischer Klarheit auch explizit benannt werden, um nicht den Paradigmenwechsel der Kompetenzorientierung zu verundeutlichen. Ganz problematisch allerdings wird es, wenn die Rückkehr zur Stofforientierung sich de facto einspielt als Reaktion einer durch zentrale Prüfungsanforderungen und gleichzeitige Reduktion der Schulzeit (»G 8«) unter Druck geratenden Schule. Kritisch und exemplarisch zu diesem Problemkomplex auch: Lothar Kuld, Standards ohne Kompetenzmodell? Anfragen an die Bildungsstandards für katholische Religionslehre/Grundschule in Baden-Württemberg, in: C. P. Sajak, Bildungsstandards (Anm. 7).
53) Vgl. »Klieme-Gutachten«, 90 ff.
54) Siehe etwa die exemplarischen Aufgaben im Anhang des Modells der Expertengruppe am Comenius-Institut (Anm. 31). Das »Klieme-Gutachten« spricht von »Anwendungssituationen« (79).