Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/2010

Spalte:

494-495

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Ubbiali, Sergio

Titel/Untertitel:

Il sacramento cristiano. Sul simbolo rituale.

Verlag:

Assisi: Cittadella Editrice 2008. 238 S. gr.8° = Leiturgía. Kart. EUR 19,50. ISBN 978-88-308-0928-4.

Rezensent:

Michael Meyer-Blanck

Der Autor, systematischer Theologe an der Mailänder (katholisch)-theologischen Fakultät, der 1992 eine Darstellung des Verhältnisses von Sakramentenlehre und Dogmatik im 18. Jh. publiziert hatte, legt mit seinem neuen Buch eine Sakramententheologie vor, die als Fundamentaltheologie im Überschneidungsbereich von Liturgiewissenschaft und Systematik angesiedelt ist. Dies entspricht der vielfach üblichen wissenschaftlichen Enzyklopädie in der katholischen Theologie, wie sie auch in deutschen Fakultäten verbreitet ist. Der Ausdruck des »rituellen Symbols« verweist auf die italienische liturgiewissenschaftliche Diskussion, die unter den Begriffen von Ritual und Symbol geführt wird (vgl. dazu meine Rezension zu Giorgio Bonaccorso, La liturgia e la fede. La teologia e l’antropologia del rito, Padua 2005, in ThLZ 134 [2009], 126–127). Speziell das Sakrament wird nun von U. – im Anschluss an die mit Karl Rahner anhebende Diskussion – als »Real-Symbol« verstanden, so dass sich eine Verbindung mit anthropologischen und fundamentaltheologischen Kategorien ergibt.
Das Buch beginnt mit einer Einleitung zum Glauben, der als Möglichkeit und als Realität des Sakramentes umschrieben wird (7–10). Hier heißt es programmatisch: »Zweifellos kann die Frage nach dem Glauben nicht auf die Frage nach dem Sakrament reduziert werden, aber das Thema des Sakramentes ist auch keine Nebensache oder Äußerlichkeit.« (9) Das Buch umfasst dann vier Kapitel, die etwa denselben Umfang haben. Zunächst wird die Sakramententheologie seit dem Modernismusstreit (A. Loisy, G. Tyrrell) dargestellt (11–71: »Il problema«), bevor die Kategorie des Ritus im Gespräch mit der Theologie des 20. Jh.s, u. a. mit der katholischen liturgischen Bewegung und mit der evangelischen Wort-Gottes-Theologie in Deutschland, zur Sprache kommt (73–134: »Il rito«). Das dritte Kapitel entfaltet biblische Einsichten zum Verhältnis von Kultus, Ethos und Sakrament (135–169: »Il canone«), bevor das Sakrament im abschließenden Kapitel als »Realsymbol« beschrieben wird (171–235: »Il simbolo«). Leider fehlen Literaturverzeichnis und Register, so dass man die Literaturtitel vielfach im Anmerkungstext suchen muss.
Der evangelische Leser erfährt durch das Buch von U. aufs Neue, dass die grundlegenden theologischen Fragestellungen in der katholischen Theologie im Zusammenhang der allgemeinen Sa­kramentenlehre aufbrechen, während diese auf evangelischer Seite unter der Lehre vom Wort Gottes zur Sprache kommen. Der Sakramentsbegriff steht damit für das Ganze des christlichen Glaubens, wenn es heißt, dass das Sakrament als »sich realisierendes Zeichen« bzw. als »Realität schaffendes Zeichen« (»segno realizzante«) aufzufassen ist: »Christus ist das Ursprungssakrament, die Kirche das Fundamentalsakrament und die einzelnen Sakramente sind Le­bensäußerungen der Kirche, die in Christus gegründet sind und Christus repräsentieren.« (220, mit Fr.-J. Nocke) Mit dieser Trias lässt sich unschwer das Konzept der dreifachen Gestalt des (geoffenbarten, bezeugten und verkündigten) Wortes Gottes bei K. Barth parallelisieren, wenngleich U. diesen Schluss nicht zieht.
Davon abgesehen wundert man sich, wie stark auch auf evangelische Autoren zurückgegriffen wird. Im zweiten Kapitel über den Ritus werden in aller Ausführlichkeit hintereinander Barth, Bultmann und E. Jüngel referiert; bei dem Unterkapitel 2.2 (82–104: »La domanda«) handelt es sich de facto um eine Darstellung dieser drei evangelischen Theologen (und im 3. exegetischen Kapitel werden auch E. Käsemann und J. Moltmann herangezogen). Unter den katholischen Autoren finden u. a. W. Kasper, L.-M. Chauvet, K. Rahner, H. U. v. Balthasar und G. L. Müller herausgehobene Beachtung. Darüber hinaus muss man insgesamt feststellen, dass das Buch nicht so sehr eine zusammenhängende Problementfaltung mit eigenen Thesen bietet, sondern dass es sich vielfach an die dargestellte Gedankenentwicklung anderer Autoren anlehnt.
Ein wenig gewundert hat es mich, dass die italienische liturgiewissenschaftliche Diskussion des Ritualproblems (neben G. Bonaccorso besonders A. Grillo, vgl. ThLZ 133 [2008], 565–567) nicht herangezogen wurde. Auch evangelische liturgiewissenschaftliche Pub­likationen spielen in dem Buch keine Rolle. Dabei ist eine in­haltliche Verbindung durchaus gegeben, indem auf den rituellen Vollzug als Kern des sakramentalen Handelns hingewiesen wird, also auf jenen Zusammenhang, der in der evangelischen Liturgik gegenwärtig unter der Kategorie der »Performativität« diskutiert wird: »Es ist das sakramentale Handeln, durch das der Mensch den Weg zu seinem Ursprung gewinnt, zu jenem spezifischen Ursprung, durch den er Mensch ist und zu dem er durch die Geschichte Jesu und den dreieinigen Gott Zugang hat.« (131)
Daraus ersieht man auch die unterschiedliche katholische und evangelische theologische Enzyklopädie: Werden Ritual, Zeichen und Performativität bei Ubbiali und in der katholischen Sakramentenlehre zu systematischen Kategorien, so sind diese in der evangelischen Diskussion vorwiegend in der Praktischen Theologie verortet. Aus dieser Festellung wiederum ergibt sich die Einsicht, dass diese beiden systemastischen Disziplinen der Theologie näher aufeinander bezogen zu werden verdienen als dies landläufig der Fall ist.
Ein Letztes: Das Buch ist sehr gut verarbeitet und von daher angenehm zu benutzen, so dass sich die Frage aufdrängt: Wie schaffen es die italienischen Verlage, wissenschaftliche Titel so günstig auf den Markt zu bringen, während deutsche Bücher so teuer sind?