Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/2010

Spalte:

490-492

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Enzner-Probst, Brigitte

Titel/Untertitel:

Frauenliturgien als Performance. Die Bedeutung von Corporealität in der liturgischen Praxis von Frauen.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2008. 499 S. gr.8°. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-7887-2249-4.

Rezensent:

Stefanie Wöhrle

Nach zahlreichen Veröffentlichungen zur liturgischen Praxis von Frauen hat Brigitte Enzner-Probst in ihrer Berner Habilitationsschrift nun eine ausführliche liturgiewissenschaftliche Reflexion von Frauenliturgien vorgelegt. Die Studie zielt auf den Nachweis, dass die zentrale Stellung der Körperlichkeit in der liturgischen Praxis von Frauen nicht allein auf ihre Sinnlichkeit zurückzuführen ist. Sie ist vielmehr auch theologisch begründet. Frauenliturgien sind daher – wie in der jüngeren Forschung schon häufiger gesehen – nicht nur als kuriose Äußerungsformen der Spiritualität von Frauen zu verstehen, sondern als liturgiekritischer und liturgierevidierender Impulsgeber.
In ihrem ersten Teil A, Vorklärungen (19–68), ordnet E.-P. ihre eigene Arbeit in die liturgiewissenschaftliche Diskussion ein und be­nennt als Material für ihre Untersuchung kirchenintern publizierte Frauenliturgien sowie im Buchhandel erschienene Liturgiesammlungen. Zum Vergleich zieht sie unveröffentlichte Liturgien heran. Die Texte sind unter www.theol.unibe.ch/ipt/download. html veröffentlicht. Sodann erläutert E.-P. den für sie zentralen Begriff der »Corporealität«. Er bezeichnet die gegenseitige Durchdringung von materieller Realität und aktueller Gestaltung des »in der Welt Seins«, hebt also das Gegenüber von materieller und spiritualistischer Existenz sowie von Individualität und Sozialisierung auf. So umfasst dieser Begriff die ganze Vielfalt leiblicher Erfahrung und deren Deutung.
In Teil B, Geschichtliche und materiale Analyse (71–228), zeigt E.-P. die in Deutschland herrschende Kluft zwischen liturgischer Praxis und akademischer Forschung auf, die sie zu überwinden versucht. Nach diesen umfangreichen und genauen Vorklärungen und Einordnungen folgt die eigentliche Auseinandersetzung mit den Frauenliturgien. Das thematische Spektrum dieser Liturgien – Frauengestalten, Gottesbilder, Biographie und Lebenszyklus (z. B. Wechseljahre) usw. – wird anhand zahlreicher Beispiele ausgeführt. Dabei kristallisieren sich strukturelle Spezifika heraus: Die Feiern werden zumeist im Kreis um die leere Mitte, in einer Prozession oder in der Spiralform abgehalten. Signifikant sind für alle Frauenliturgien zudem die Gestaltungselemente Berühren, Tönen und Tanzen. In ihnen kommt die Corporealität der Feiernden zum Ausdruck. Selbstberührungen lösen Gefühle aus, die gemeinsam gedeutet werden. Gegenseitige Berührung schafft Verbundenheit. Tönen nutzt Ausdrucksmöglichkeiten, die über das Verbal-Rhetorische hinausgehen. Durch Tanz, Gebärden und Gesten werden sprachliche Codes durchbrochen und neu gefüllt.
Teil C, Interpretation und Diskussion (231–439), bildet den Hauptteil der Arbeit. Hier belegt E.-P. ihre These, dass die körperbetonte Gestaltung von Frauenliturgien nicht auf eine besondere Vorliebe von Frauen oder auf die besondere Sinnlichkeit von Frauen zurückgeht, sondern theologisch fundiert ist. So zeigt die Analyse der Frauenliturgien, dass die Feiernden im Prozess der Liturgie über ihren Alltag hinausgeführt werden und dabei Sinn und Be­deutung generiert wird. Bei einem solchen Ausdrucks-, Deutungs- und Kommunikationsprozess spielt der Körper eine zentrale Rolle. Von hier aus sind Frauenliturgien etwa mit dem Performance-Theater vergleichbar. Denn auch hier sind Berühren, Stimme und Sich-Zeigen, etwa im Tanz, von entscheidender Bedeutung.
Für ihren detaillierten Vergleich zieht E.-P. die Performance-Theorie von Richard Schechner heran. Nach diesem Ansatz sind Performances Präsenzgeschehen: Sie schaffen Wirklichkeit im Akt des Sich-selber-Zeigens der Agierenden. Sie sind zudem Resonanzgeschehen: Im »Zeigen vor anderen« und im Durchbrechen der Grenzen zwischen Spielenden und Zuschauenden entsteht resonante Kommunikation, es entwickelt sich ein flow, in dem das Eintreffen »des Dritten« – das Gelingen heilsamer Kommunikation, der Moment der Offenbarung – erfahrbar wird bzw. werden kann. Schließlich ist die Performance ein Prozessgeschehen – genauer, ein Transformationsgeschehen: Es entsteht in Bewegung und Tanz ein Raum, in dem eine nicht alltägliche Wirklichkeit entsteht, in dem aus dem Mitgebrachten etwas Neues entwickelt wird.
Als ein solches Präsenz-, Resonanz- und Prozessgeschehen können nach E.-P. nun auch Frauenliturgien verstanden werden. Wie bei der Theater-Performance kommt es auch bei Frauenliturgien auf den Körper an. In seinen vorprädikativen Äußerungsformen ist er in der Lage, Bedeutungen und Sinn zu generieren. Er löst in all seinen Äußerungen Resonanzen, Kommunikation aus. Und er ist zudem selbst permanenter Transformation unterworfen. So sind der Körper und seine Ausdrucksformen nicht ein äußerlich bleibendes Gestaltungselement. Berühren, Tönen und Tanzen sind vielmehr die Basis, auf der und aus der Transformationen und neue Erkenntnismöglichkeiten entstehen.
Auf dieser Grundlage weist E.-P. auf das verändernde Potential von Frauenliturgien hin. Gerade in ihrem Bezug auf die Corporealität haben sie kritisch-dekonstruktivistisches, aber auch kreativ-konstruktivistisches Potential. Sie stellen liturgische und theologische Ordnungen infrage und fordern eine gottesdienstliche Kultur heraus, die sich durch die Betonung von Präsenz, Resonanz und Prozess auszeichnet. Aus Letzterem entwickelt E.-P. Forderungen an die Gestaltung von Gottesdienst: Er muss Raum ungeteilten Daseins, grundsätzlicher Akzeptanz und corporealer Existenz sein, in dem gemeinschaftlich Sinn generiert werden kann. Zugleich soll Gottesdienst ein Raum heilsamer Wandlung wie auch ein Raum der Überraschung sein.
Mit ihrer Arbeit schließt E.-P. eine bedeutende Lücke in der liturgiewissenschaftlichen Diskussion. In ihrer sorgfältigen Analyse und Reflexion zeigt sie die liturgische Praxis von Frauen auf und belegt gleichzeitig überzeugend, dass es sich hier nicht um eine »kuriose und irritierende liturgische Praxis« handelt, sondern dass sich dahinter ein in sich schlüssiges Gottesdienstverständnis verbirgt. Der Vergleich mit Theater-Perfomances gibt bedenkenswerte Impulse für das Verständnis von Gottesdiensten, nicht nur mit Blick auf Frauenliturgien, sondern auch für die Gottesdienstgestaltung im Allgemeinen. Allerdings bleibt offen, wie ein Gottesdienst aussehen kann, der die Corporealität der Feiernden berücksichtigt. Eine Konkretion hätte an dieser Stelle zwar die ohnehin schon sehr umfangreiche Untersuchung gesprengt. Wünschenswert wäre sie aber dennoch. Denn eine einfache Aufnahme von körperbezogenen Elementen in den »normalen« Gottesdienst scheint weder möglich noch ernsthaft gewollt. Schließlich räumt E.-P. selbst ein, dass es sich bei der Frauenliturgiebewegung um eine Avantgarde-Bewegung handelt, zu deren Wesen eine gewisse Randständigkeit ge­hört. Flächendeckend körperbezogene Gottesdienste zu feiern, würde dieser liturgischen Form ihre kritisch-dekonstruktivistische und ihre kreativ-konstruktivistische Stärke nehmen. Gerade diese Stärke von Frauenliturgien und damit ihre wichtige Funktion in der liturgischen Diskussion hat E.-P. aber in ihrer Untersuchung klar herausgestellt. Und gerade darin liegt auch das große Verdienst dieser Arbeit.