Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/2010

Spalte:

484-486

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Krötke, Wolf

Titel/Untertitel:

Barmen – Barth – Bonhoeffer. Beiträge zu einer zeitgemäßen christozentrischen Theologie. Bielefeld: Luther-Verlag 2009. 516 S. gr.8° = Unio und Confessio, 26. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-7858-0564-0.

Rezensent:

Hartmut von Sass

Eine »zeitgemäße christozentrische Theologie« stellt der program­matische Untertitel in Aussicht. Ist das nicht ein Selbstwiderspruch, eine anachronistische Aktualitätsbehauptung diesseits der längst vollzogenen Paradigmenwechsel? »Nein, ganz im Gegenteil!« – so die Grundthese der hier versammelten Beiträge des Berliner Systematikers Wolf Krötke. Zum 75. Geburtstag der Barmer Theologischen Erklärung schärft K. in drei Abschnitten ein, wie unhintergehbar deren Konzentration auf »Jesus Christus als das eine zu hörende, zu glaubende und zu befolgende Wort Gottes« ist (Barmen I). Der kurze erste Teil widmet sich entsprechend der bleibenden Relevanz von Barmen und zieht bereits Linien zu den Theologen, die dieses Erbe am engagiertesten weiterverfolgt haben: Karl Barth und Dietrich Bonhoeffer. Ihnen gilt jeweils die exegetische wie systematische Aufmerksamkeit in den beiden sich an­schließenden, recht umfangreichen Abschnitten.
Wem K.s Werk auch nur entfernt bekannt ist, der weiß, dass mit den drei »B«s dessen eigenes theologisches Profil thematisch wird. Dieses erhält hier zugleich ein diachrones Kolorit, zumal die ältes­ten der insgesamt 22 Aufsätze schon aus den frühen 1980er Jahren der DDR stammen, während sich die jüngsten, teilweise unveröffentlichten oder entlegen publizierten Artikel der Arbeit des Emeritus verdanken. Dabei zeichnet sich ein Themenreichtum ab, den ich in vier Punkten nachzeichnen möchte.
1. Zur Aktualität christozentrischer Theologie: Entlang der im Band stets präsenten Grundüberzeugung wird an Gehalt und Absicht der sechs Barmer Thesen erinnert, indem die Frage »Was bleibt von Barmen?« umgekehrt wird in: »Was bleibt von uns ohne das dort Ausgesprochene?« (20). K. argumentiert folglich nicht direkt für eine Theologie, deren Kern er in der ersten Barmer These vollständig enthalten sieht (24); vielmehr unterstreicht er die Haltlosigkeit der Alternativen, um zu dem Schluss zu kommen, dass eine Kirche, die mit dem 1934 Formulierten bricht, am Ende ist (15).
Der faktischen Unselbstverständlichkeit dieser Sicht ist sich K. bewusst, weshalb er wichtige Einwände aufgreift. Es stellt sich das hermeneutische Problem der drohenden Entkontextualisierung; denn dass eine zu Beginn der Nazi-Ära verfasste Erklärung den gedanklichen Rahmen auch für uns heute markieren könnte, er­gibt sich nicht von selbst. Zudem bleibt der Verdacht des Offenbarungspositivismus zu berücksichtigen, wie ihn Bonhoeffer selbst bei Barth ausgemacht hat (10.49.128).
2. Gotteslehre und Natürliche Theologie : Bei einem derart stark christozentrischen Zugang erstaunt es zunächst kaum, dass allein von Gott die Rede ist, wenn von Jesus Christus die Rede ist (29.318). K. arbeitet präzise heraus, wie vor allem Bonhoeffer diese Einsicht kreuzestheologisch fortführt, um somit zugleich verwirrte Erwartungen an einen theistisch immer wieder bemühten deus ex machina abzuweisen (371.383). Denn die christliche Hoffnung bezieht sich nicht auf ein mirakelhaftes Eingreifen externer Mächte, sondern auf die Schwachheit Christi, der sich gerade am Kreuz aus der Welt herausdrängen lässt. Entsprechend ist der den Menschen begleitende Gott der ihn verlassende – nur so hilft er (344. 361.513).
Wie radikal diese exklusiv auf Christus ausgerichtete und vor allem an Luther (454) geschulte Theologie tatsächlich sein kann, ist allerdings die Frage. Einerseits werden wesentliche Attribute Gottes, etwa sein Schöpfungshandeln, durch christologische Erwägungen zwar näher bestimmt, sie ergeben sich aber nicht aus diesen. Dass Gott nur im Lichte Christi erkannt werden kann, bedarf daher eines Vorverständnisses in Bezug auf Gott. Wie sich miteinander metaphorisch interagierende Elemente reziprok erhellen, so legen sich auch »Gott« und »Christus« gegenseitig aus – ein Gedanke, der K. vertraut ist, jedoch nicht zur Modifizierung der christozentrischen Zuspitzung führt. Andererseits scheint Gott, vor allem bei Barth, durchaus jenseits des in Christus Zugänglichen Thema zu sein – etwa in Fragen der Gegenständlichkeit Gottes (145), seiner Personalität (301 f.) oder innerhalb der berüchtigten »Lichter-Lehre« (169 f.280). Gibt es also einen Gott »hinter« dem in Christus Offenbaren, den wir nur nicht erkennen können? Oder ist der notwendig verborgene Gott die durch Christus immer wieder wirkliche Möglichkeit? Im einen Fall stellte sich ein erkenntnis­theo­retisches Problem, dessen Fragen zumindest sinnvoll wären; im anderen Fall handelte es sich um grammatische Arbeiten an »Gott«, um die Suche nach einem Dahinter loszuwerden.
3. Religionskritik und Religionslosigkeit : In die Zurückweisung Natürlicher Theologie ordnet sich K.s Richtigstellung zum Barthschen Religionsbegriff ein. In der Kirchlichen Dogmatik heißt es, dass »Religion … Unglaube [ist]«, ja »die Angelegenheit des gottlosen Menschen« (66; KD I/2, 327). Dies hat die Lesart befördert, Barth miss­achte die Religion als praktisch gelebten Glauben. Beabsichtigt ist jedoch, Religion als menschliche Ermächtigungsfigur zur Habhaftwerdung Gottes und zur Selbstrechtfertigung zu entlarven und dadurch eine Grundaufgabe der Theologie zurückzugewinnen, nämlich die Unterscheidung zwischen Gott und Welt immer wieder neu einzuüben (69). Insofern bleibt authentischer Glaube sich selbst gegenüber kritisch und eine Theologie ohne Religionskritik notwendig defizitär (17 f.369).
Mit dieser Begriffsklärung wandelt sich zugleich Bonhoeffers Wertschätzung der Religionslosigkeit. Diese Verschiebung verläuft von einer illusionsfreien Bestandsaufnahme, die K. als Kenner einer (ost)deutschen »Gottvergessenheit« (334; vgl. 98 f.497–501) nur teilen kann, zur Auffindung einer theologischen Wahrheit des Religionslosen (343). Zu bedenken ist, dass hier zwei Konnotationen von »Religion« im Spiel sind: eine theologische, nach der die religio Element natürlich-theologischer Ermächtigung bleibt – Religi­onslosigkeit wäre dann ein purifikatorischer Akt; und eine soziologische, nach der der Glaube seiner Marginalisierung entgegengeht – Religionslosigkeit mündete dann in die missionarische Frage, wie Christus auch unter diesen Bedingungen Menschen zu seinem »Partnern« machen kann (117.124.501–504).
4. Theologie, Politik, Widerstand: Eine weitere aufschlussreiche Spannung bei Barth und Bonhoeffer legt K. im Zusammenspiel von Glaube und Widerstand frei. Schon für Barth ist »Widerstand« eine theologische Kategorie (229), obgleich er dazu mahnt, die Kirche nicht zu politisieren (239). In Bonhoeffers »Führungstheologie« (390) treten diese Antagonisten in dem elliptischen Imperativ »Na­tionalsozialist oder Christ« noch deutlicher zutage (408) und gehen in das biographisch unterlegte Dilemma zwischen Pazifismus und ultima ratio gesetzlosen Handelns über. Dieses für Bonhoeffer auch persönliche »Wagnis« kann keine Deckung durch irgendein Gesetz erwarten und verbleibt damit in der unauflöslichen Ambivalenz von Notwendigkeit und Schuld. Was K. – auch im Horizont der »Aufarbeitung« des ostdeutschen Regimes – zur Beziehung von (christlich motiviertem) Widerstand, Obrigkeitsverneinung und ungedeckter Illegalität, übernommener Schuld und dem Recht auf Scham als ihre Verdeckung vorbringt, gehört zu den sensibelsten Passagen dieses Bandes (430–435).
K.s theologische Nähe zum Gegenstand kommt nicht zuletzt darin zum Ausdruck, dass er den mit Sorgfalt explizierten christozentrischen Zugang selbst dort, wo dessen Untiefen kaum zu übersehen sind, stets intern zu korrigieren sucht, mithin Barth und Bonhoeffer sich selbst berichtigen lässt. Hermeneutisches Engagement droht dann in hermetische Selbstgenügsamkeit überzugehen, die das Ge­spräch mit dem theologisch Anderen ihrer selbst kaum mehr sucht. Nur zwei Passagen bringen Barth und Bonhoeffer mit zeitlich oder intellektuell entfernteren Stimmen ins Gespräch, es sind die von Luther und Feuerbach; in der Diskussion zur Obrigkeit schaut sich K. kaum nach theologischen Varianten um, die seinen Helden bekannt gewesen sein werden, etwa Melanchthons steigende Wertschätzung weltlicher Macht; dem Pazifismus nä­hert sich K. nicht dadurch, dass er zunächst losgelöst von den Primärtexten danach fragt, welche Lesarten dieser Position vorliegen, um das Behandelte dadurch verorten zu können; er wählt zumeist den Weg mediam res. Hätte K. gerade um der erhellenden Nähe willen etwas mehr Distanz zugelassen, wäre dem überall spürbaren Bemühen seines lehrreichen Bandes noch stärker ge­dient: Barth und Bonhoeffer nicht als erratische Vergangenheit zu zitieren, sondern beide als so aktuelle wie »unzeitgemäße« Ge­sprächspartner weiterzudenken.