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Ausgabe:

April/2010

Spalte:

473-475

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Hiddemann, Frank

Titel/Untertitel:

Site-specific Art im Kirchenraum. Eine Praxistheorie.

Verlag:

Berlin: Frank & Timme 2007. 291 S. m. Abb. 8°. Kart. EUR 35,00. ISBN 978-3-86596-108-2.

Rezensent:

Albert Gerhards

Kunstaktionen in Kirchen gehören evangelischer- wie katho­li­scherseits inzwischen zum Alltag. Die oft beschworene angebliche Ferne von Kirche und Kunst ist mitunter einem schon fast routinierten kirchlichen Kunstbetrieb gewichen. Dies hängt damit zusammen, dass die Kirchen mit ihren Gebäuden attraktive Räume zur kontextorientierten künstlerischen Auseinandersetzung (»site specific art«) besitzen und auch als Gemeinschaften für manche Künstler von Interesse sind (»community based art«).
Der Vf., praktischer Theologe und zeitweiliger Mitarbeiter der Evangelischen Akademie Thüringen, gestaltete als Vorsitzender des Evangelischen Kunstdienstes Erfurt und als freier Kurator zahl­reiche Kunstprojekte in Kirchen. In der vorliegenden Arbeit, eine von Klaus Raschzok betreute Dissertation, reflektiert er diese Arbeit und legt eine Praxistheorie zur Frage von Kunstprojekten in Kirchen vor. Referenzpunkt ist die angelsächsische Site-specific Art. Seine These lässt sich darin zusammenfassen, dass zeitgenössische Kunst als Ausstattung von Kirchen nicht taugt, wohl aber als temporärer fremder Gast. Dabei geht es ihm weniger um das klassische statische Bild, das an sich schon eine Distanzierung darstellt, sondern um das große Spektrum raumbezogener Installationen und Aktionen.
Das Buch gliedert sich in vier Hauptkapitel, gerahmt durch Einleitung und Fazit. Zunächst wird auf das Verhältnis von Kunst und Kirche aus protestantischer Perspektive eingegangen. Referenzautor ist vor allem Paul Tillich. Sein korrelatives Verständnis von Theo­logie weist ihr die Aufgabe zu, die Inhalte des christlichen Glaubens durch »existentielles Fragen und theologisches Antworten« in wechselseitiger Abhängigkeit zu erklären (46). Die Charakterisierung des Protestantismus als »eine Gestalt, die den Protest gegen sich selbst einschließt« (50), bringt das Problem auf eine paradoxe Formel. Protestantische Identität sei nach der Aufklärung nur im »kreativen Prozess der Selbstorganisation« (55) zu erlangen unter Absehung von begrifflicher oder gar dogmatischer Fixierung. Protestantismus sei »lernende Religiosität«, deren Konstante allenfalls in einem »protestantischen Idiom« liege, das sich kulturell ausprägt. Dementsprechend bündelt der Vf. seine Charakterisierung in drei Punkten: Der Protestantismus ist nicht sinnlich, sondern asketisch; er ist nicht bild-, sondern schriftorientiert; er ist keine positive Religion, sondern der Affekt dagegen (57).
Im folgenden Kapitel entwickelt der Vf. sein Konzept der Präsentation zeitgenössischer Kunst im Kirchenraum unter dem Ge­sichts­punkt der Site-specific Art. Darin profiliert er das typisch Protestantische seines Ansatzes in Abgrenzung von katholischen Positionen, insbesondere der von P. Mennekes SJ, der von 1987–2008 die Kunst-Station Sankt Peter Köln betrieben hat und dessen Konzept er der Arbeit des evangelischen Pfarrers Erich Witschke in der Kölner Trinitatiskirche polar gegenüberstellt: hier ästhetisch mo­tivierte Renovierung des Raums der Gemeinde (66–69), dort liturgische Integration (»Die autonome Kunst wird ... ›verschluckt‹«). Im Anschluss daran entwickelt er mit autobiographischen Bezügen sein eigenes Konzept als dritten Weg. Zunächst geht es um die Geschichte des Kunstdienstes und die Gründung des Vereins »Evangelischer Kunstdienst Erfurt e. V.«. Die zeitgeschichtliche Einordnung in die Weimarer Zeit und die Zeit des Nationalsozialismus bietet wichtige Voraussetzungen für das Verständnis der späteren Entwicklungen. Das folgende Kapitel beschreibt die unterschiedlichen Kunstprojekte, die der Vf. betreut hat: Filmprojekte im Kirchenraum, ein Ausstellungsprojekt »Predigerfahnen«, Installationen in sechs Erfurter Altstadtkirchen, zeitgenössischer Tanz, ein Korrespondenzprojekt In­dustriebrache/Innenstadtkirche (»Stadtgeschichte als Kreuzweg«), eine Lichtinstallation »Herzraum«. Die Spannbreite der Kunstgenera und der künstlerischen Aussagen ist erstaunlich, die Schnittmenge liegt in der Korrelation zum Kirchenraum.
Das fünfte Kapitel erarbeitet eine praktisch-theologische Praxistheorie. Dazu setzt der Vf. bei der Bilderfrage seit der Reformation an. Neben Luther (»Das Sichtbare ist für Luther theologisch völlig unbelastet«, 218) kommen »surreale Bilderfluchten« des Pietismus, apokalyptische Bilder, Adiaphora und Verantwortung (»Kunstarbeit in Kirchen ist Arbeit an den äußeren Zeichen des Glaubens«, 232) zur Sprache. Daran schließen sich Einzelpositionen an: Markus Zink (Theologische Bildhermeneutik), Wilhelm Gräb (Religiöse Me­dienhermeneutik) sowie Anne Steinmeier (Fromme Kunsthermeneutik). Das kurze Schlusskapitel liefert »Thesen zur reflektierten Ausstellungspraxis im Raum der Kirchen«, wobei sich die Antwort der in Frageform gefassten Themen von der Kernthese her von selbst ergibt: Temporäre Herausforderung oder Bleiberecht? Qualität oder Geschmack? Galerie oder Liturgie? Bild oder Bildung? Event oder Genre? Dialog oder Kontextreflexivität? »Die Besucher würden also nicht ausbleiben, wenn die Kirchen Neugier auf sich selbst entwickeln würden. Also weniger ›Dialog‹ und ›Mission‹, we­niger Vorneverteidigung, weniger ›Bildung‹ im Prospekt, sondern ein Interesse, etwas über sich selbst zu erfahren« (258).
Die Studie leistet einen wichtigen Beitrag zum reflektierten Um­gang mit Kunstprojekten im Kirchenraum und stellt damit auch einen Beitrag zur derzeitigen Umnutzungsdebatte dar, in­dem sie ein Plädoyer für die Wahrnehmung und Wertschätzung der Kirchenräume liefert. Die temporär anwesende Kunst führt zu einer anderen Wahrnehmung des Raums sowie des darin stattfindenden Geschehens und damit auch zu einer anderen Selbstwahrnehmung. Diese Grundthese zieht sich wie ein roter Faden durch das aufgrund der Disparatheit der Projekte mitunter assoziativ erscheinende Konzept. Unübersehbar ist das Bemühen, eine typisch protestantische Position in deutlicher Abgrenzung zur katholischen zu formulieren. Hier hätte man sich doch ein wenig mehr Differenzierung ge­wünscht. Dies betrifft schon die Charakterisierung des Protestantismus als asketisch statt sinnlich. Spätestens seit dem Film »Die große Stille« ist bekannt, wie sinnlich das Asketische sein kann. Auch fragt sich ein katholischer Rezensent, ob manche Entgegensetzung nicht zu sehr auf einer Abgrenzung beruht, die zur Zeit der Aufklärung gerechtfertigt gewesen sein mag, den Wandlungen des Katholizismus im 20. Jh. aber zu wenig Rechnung trägt. Hier kam es ja infolge von Parallelen und gegenseitigen Übernahmen (etwa in Bezug auf das Korrelationsprinzip Tillichs: Edward Schillebeeckx) zu einer neuen gegenseitigen Wahrnehmung und Wertschätzung, so dass man sich über die Profilierung des Protestantischen auf Kosten des alten Widerparts doch etwas wundert. Die Positionen der beiden Kölner Kunstkirchen sind nicht so polar, wie es hier dargestellt ist. Der Entwick­lungsprozess der Projekte vor allem im Zusammenhang mit der Neuformulierung des Raums von Sankt Peter wird nicht berück­sichtigt, er hätte viele Parallelen mit der »Site-specific Art« aufzuweisen (Vgl. dazu jetzt: Guido Schlimbach, Für einen lange währenden Augenblick. Die Kunst-Station Sankt Peter Köln im Spannungsfeld von Religion und Kunst, Regensburg 2009). Um einen wirklichen Vergleich anzustellen, bedürfte es einer eingehenden Befassung mit dem jeweiligen Verständnis von Liturgie und »sakralem« Raum.
So fragt man sich am Ende aus ökumenischer Perspektive, was »die protestantische Religion« oder »die protestantische Welt« (257) bedeutet. Benötigt man die kontroverstheologische Polarisierung des Gegenübers (z. B. die implizite Charakterisierung des Katholizismus als »positive Religion«, die die religionskritischen Momente der katholischen Tradition verkennt), mit dem dann nur wenig an Schnittmenge besteht, oder handelt es sich nicht doch um zwei durchaus zu differenzierende Sichtweisen und Lebensformen, die aber im Kern übereinstimmen? Jedenfalls kann der Rezensent die Schlussfolgerungen weitestgehend nachvollziehen, ohne seine konfessionelle Identität zu beschädigen.
Damit tritt ein methodisches Problem zutage: die Gefahr mangelnden Abstands zum Untersuchungsobjekt, wenn es sich um die eigene Arbeit handelt. Zwar wahrt der Vf. die nötige Distanz, doch ist anscheinend der Druck zur Theoriebildung im Sinne eines Alleinstellungsmerkmals hier besonders hoch. Die dezidiert konfessionelle Zuspitzung bietet andererseits reizvollen Anlass zur Auseinandersetzung, was dem Anliegen des Vf.s durchaus entspricht.