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Ausgabe:

April/2010

Spalte:

468-469

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Smend, Rudolf

Titel/Untertitel:

Zwischen Mose und Karl Barth. Akademische Vorträge.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2009. VIII, 362 S. kl.8°. Kart. EUR 29,00. ISBN 978-3-16-149953-1.

Rezensent:

Ch. M.

Die pure Neugier ließ den Rezensenten diese vom Autor allzu bescheiden als »Gelegenheitsarbeiten neben meiner fachlichen Tä­tigkeit« (V) apostrophierten Vorträge in ihrem autobiographischen Teil aufschlagen: »Studium bei Karl Barth« (311–340). Und dort findet sich gleich eine wirkliche Meisterleistung, die Beschreibung des »Habitus des Endsechzigers« Barth (312–315) aus der Perspektive des ehemaligen Baseler Studenten und Doktoranden: Rudolf Smend porträtiert mit höchster schriftstellerischer Kunst Gang, Kleidung, Mimik, Gesicht und Sprache eines Theologen, der ihm zeitlebens wichtig geblieben ist, obwohl der systematische Theologe offenkundig nicht jede These des Alttestamentlers goutierte ( et vice versa). Aber der Zeitzeuge S. versteht es, kritische Distanz zu nehmen zu den eigenen Erfahrungen und Erlebnissen – und so gelingt ihm im Rahmen eines Vortrags über die »Göttinger Theologie zwischen 1930 und 1950« eine wohlabgewogene Passage über Emanuel Hirsch, die sich wohltuend von den bemühten Apologien der Schüler und Enkelschüler, aber auch von schlichter Denunziation eines in vielfacher (leider auch persönlicher) Hinsicht gefallenen Theologen unterscheidet: »Theologie und Politik hingen bei Hirsch eng und beängstigend zusammen« (175).
S. schreibt nicht nur Professorengeschichte, sondern trägt auch Zahlen und Details über Studierende zusammen: Walther Zimmerli, Hans-Heinrich Harms – für den Geschmack des Kirchenhistorikers könnte man noch ausführlicher Hans Freiherr von Campenhausen behandeln, dessen in charakteristischem baltischen Tone abgefasste Autobiographie Ruth Slenczka unter dem Titel »Die ›Murren‹ des Hans Freiherr von Campenhausen« herausgegeben hat (Books on Demand, Norderstedt 2005; S. 121–155 behandeln die Zeit als Stiftsinspektor in Göttingen). Was hält »Mose«, »die zehn Gebote«, »das akademische Göttingen«, einen (leider stark ge­kürzten) Beitrag über die Gießener Fakultät von 1877 bis 1882, das Verhältnis des Pastorensohnes Lessing zu Luther, über Herder, Wellhausen und den erwähnten Karl Barth, von der geschmackvollen, fadengehefteten Broschur des Tübinger Verlages einmal abgesehen, zusammen? Alle Texte sind Werk eines Historikers, der zusammenhält, was zusammenzuhalten deutschen Historikern im 20. Jh. vielfach nicht gelungen ist: das meisterliche und unterhaltsame Erzählen, das aus nüchterner Analyse der Quellen geschöpft ist. Und dezent ist immer auch der Theologe präsent, der weiß, was gute Theologie ist und was nicht. An den Gelegenheitsarbeiten des Göttinger Alttestamentlers kann studiert werden, wie man nicht nur als Kirchenhistoriker immer arbeiten sollte. Und wie man, um so arbeiten zu können, studieren sollte: »[F]ür verwöhnte junge Amerikaner« sind nach Ansicht des Göttinger Orientalisten Eichhorn »zwölf Stunden täglich zunächst genug« (67).