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Ausgabe:

Januar/1997

Spalte:

19 f

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Rittner, Reinhard [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Glauben Christen und Muslime an denselben Gott? Mit Beitr. von K.-W. Niebuhr u. a.

Verlag:

Hannover: Lutherisches Verlagshaus 1995. 167 S. 8° = Bekenntnis. Fuldaer Hefte, 34. Kart. DM 22,80. ISBN 3-7859-0717-6.

Rezensent:

Klaus Hock

1993 und 1994 fanden Arbeitstagungen des Theologischen Konvents Augsburger Bekenntnisses statt, die sich mit verschiedenen theologischen Problemstellungen im Spannungsbereich der Beziehungen zwischen Christen und Muslimen beschäftigten. Der Schwerpunkt der Beiträge, die in dem vorliegenden Bändchen veröffentlicht sind, lag dabei auf den Themenbereichen Trinität und Christologie.

Der Dresdener Bibelwissenschaftler Karl-Wilhelm Niebuhr kommt in seiner Analyse des christologischen Gottesglaubens in den Paulusbriefen zu dem Schluß, daß die vielfältigen christologischen Vorstellungen der frühesten christlichen Gemeinde an frühjüdische Gottesvorstellungen anknüpfen, dabei jedoch "die lebendige Erfahrung des Christusgeschehens als eines Geschehens, in dem Gott selbst sich zu erkennen gegeben hat, voraus(setzen)" (28). Der katholische Religionswissenschaftler Adel Theodor Khoury stellt in seinem Beitrag die Kritik des Islam an der christlichen Trinitätslehre dar; er konstatiert, daß einige aufgeschlossene Muslime heute bereit sind, der von ihm vertretenen Auffassung zu folgen und "den Unterschied im Glauben an Gott zwischen dem Islam und dem Christentum nicht mehr als einen Unterschied zwischen Monotheismus und (verkapptem) Polytheismus zu begreifen, sondern zwischen einem nicht differenzierten (und nicht differenzieren wollenden) Monotheismus und einem differenzierten Monotheismus" (42). Der Mainzer Systematiker Friedrich Beißer bemüht sich in seiner Darstellung der christlichen Trinitätslehre angesichts der Herausforderung durch den Islam um Klarstellungen für die innerchristliche Diskussion; so plädiert er dafür, zwischen den Trinitätsformeln und dem Kern der Trinitätslehre strikt zu unterscheiden: "Dieser ist es, der dem christlichen Glauben unverzichtbar ist. Die Trinitätsformeln sind demgegenüber als theologische Explikationen zu betrachten" (63).

Reinhardt Brandt, theologischer Grundsatzreferent im Lutherischen Kirchenamt Hannover, greift in seinem Beitrag die Frage auf, die auch dem vorliegenden Bändchen seinen Titel gegeben hat: Glauben Christen und Muslime an denselben Gott? Brandt unterscheidet bei der Behandlung dieser Frage zwischen möglichen Antworten a posteriori und a priori ­ also nach und vor einem Vergleich der islamischen und christlichen Aussagen über Gott. Für den ersten Fall zeige der Vergleich die tiefen Unterschiede der jeweiligen Gottesvorstellungen: "Meines Erachtens läßt sich bei genauerem Blick nicht mehr von ’demselben Gott’ sprechen" (132). Für den zweiten Fall sei zwischen verschiedenen Positionen zu unterscheiden; hier betrachtet Brandt als theologisch einzig legitim den "Versuch, sich in der eigenen Lehre ein Urteil über die Existenz anderer Religionen zu bilden" (166). "Die Erklärung, alle Menschen glaubten an denselben Gott, hat in diesem Kontext die Funktion, das eigene christliche Bekenntnis zu entfalten" (165).

Insgesamt betrachtet wird aus Brandts Beitrag jedoch deutlich, daß er äußerst große Skepsis hegt ­ nicht nur gegenüber der Behauptung, Christen und Muslims glaubten an denselben Gott, sondern auch gegenüber dem Argument, eine solche Behauptung habe positive Auswirkungen auf das Verhältnis von Islam und Christentum. Doch vielleicht ist es gar nicht ratsam, den Focus der theologischen Debatte vornehmlich auf diese Frage zu richten? Es ist jedenfalls auffällig, daß die beiden übrigen Beiträge, die sich nicht an erster Stelle auf die Frage nach demselben Gott konzentrieren, mit diesem Problem entspannter umgehen: Der am islamischen Zentrum in Hamburg lehrende pakistanische Imam Mehdi Razvi stellt in seinem Beitrag über Zukunftsperspektiven im Verhältnis von Christentum und Islam aus der Sicht eines islamischen Theologen fest: Erstens "kann es für einen echten Monotheisten nur einen einzigen Schöpfer und Erhalter, Richter oder Erlöser geben", zweitens kann aufgrund der unterschiedlichen Gottesvorstellungen die Frage, ob wir denselben Gott verehren, nicht befriedigend geklärt werden, und drittens ist nicht zu leugnen, "daß sich die historischen Auseinandersetzungen für die beiden Religionen sehr befruchtend erwiesen haben" (71).

Aus diesem unprätentiösen Pragmatismus erwächst wohl auch Imam Razvis Vision, daß Christen und Muslime ihre Erfahrung mit dem Heiligen ­ vielleicht sogar gemeinsam ­ vor aller Welt bezeugen könnten. Die Gemeindepfarrerin Dorothea Vorländer, die auf Erfahrung im Zusammenleben mit Muslimen auch im Ausland zurückgreifen kann, beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit Glaubensfragen im praktischen Umgang mit Muslimen, indem sie auf der Grundlage grundsätzlicher theologischer Überlegungen zum Zusammenleben von Christen und Muslimen einige ausgewählte Problemfelder (Kindergarten, Schule, Krankenhaus, Gottesdienst) im Dreierschritt: gegenwärtige Praxis und ihre Probleme ­ theologische Reflexion ­ verantwortete Praxis aufzeichnet. Dabei kommt dem "gegenseitiges Lernen" eine bedeutsame Funktion für die interreligiösen Beziehungen zu: Gegenseitiges Lernen führt zur Vertiefung unserer Kenntnisse wie auch unserer Spiritualität, impliziert aber auch, "die Nähe und die Ferne zwischen Islam und Christentum wahrzunehmen und auszuhalten." (82).

Einseitige Informationen über den Islam, das Entstehen eines "Feindbildes Islam" nach dem Wegfall des politischen Ost-West-Antagonismus und die zunehmende Ausdifferenzierung religiöser Phänomene in der pluralistischen Gesellschaft bilden den weltanschaulichen und sozio-kulturellen Kontext, in dem die Beiträge des vorliegenden Bändchens entstanden sind, und worauf der Hg., Pastor Reinhard Ritter, ausdrücklich hinweist. Abgesehen von den beiden Aufsätzen Razvis und Vorländers bleiben die anderen Beiträge jedoch vergleichsweise "kontextlos", indem sie sich ­ wie allerdings nur Beißer explizit erwähnt ­ vornehmlich auf die theologische Klärung und Auseinandersetzung "nach innen" konzentrieren. Das tut der inhaltlichen Qualität dieser Artikel nicht den geringsten Abbruch; aufgrund der binnenchristlichen Orientierung könnte sich jedoch die Gefahr ergeben, daß die Frage aus dem Blick verloren wird, inwieweit Christen und Muslimen bestimmte Problemstellungen überhaupt ähnlich gewichten: In welchem Maße ist beispielsweise das Bedürfnis nach einem gemeinsamen Gebet auf beiden Seiten vorhanden? Oder im Blick auf die Thematik des vorliegenden Bändchens formuliert: Welchen Stellenwert hat eigentlich die Frage, ob Christen und Muslime an denselben Gott glauben, für die Gläubigen? Hierbei ist nämlich auffällig, daß für Muslime eigentlich nie grundsätzlich in Zweifel stand, daß sie und die Christen denselben Gott verehren (für Christen stellte sich dies allerdings fast durchgängig über die Jahrhunderte hinweg ganz anders dar); erst in den letzten Jahren und Jahrzehnten häufen sich auf islamischer Seite die Stimmen derer, die den christlichen und den islamischen Gott voneinander abzuheben versuchen.

Hinter diesem Bemühen um theologische Differenzierung verbirgt sich nach Meinung des Rez. das Bemühen um sozio-kulturelle Differenzierung, dessen Rationale wohl weniger in religiösen als in politischen und gesellschaftlichen Ursachen verankert ist, das jedoch im Kontext eines angeblichen ­ zunehmend jedoch erfolgreich herbeigeredeten ­ Kulturkonflikts zwischen Islam und Christentum eine gefährliche Dynamik entwickeln kann. Hierin läge dann die eigentlich brisante Dimension der Frage, ob Christen und Muslime an denselben Gott glauben.