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Ausgabe:

April/2010

Spalte:

455-457

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Müller, Harald

Titel/Untertitel:

Habit und Habitus. Mönche und Humanisten im Dialog.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2006. XIV, 426 S. gr.8° = Spätmittelalter, Humanismus, Reformation. Neue Reihe, 32. Geb. EUR 89,00. ISBN 978-3-16-149123-8.

Rezensent:

Markus Wriedt

Spätestens seit den Arbeiten Franz Machileks scheint der Begriff »Klosterhumanismus« ein fester Bestandteil spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Geschichtsschreibung zu sein. Gleichwohl täuscht die häufige Verwendung des Terminus darüber hinweg, dass seine nähere Bestimmung in der Regel an höchst beschränkt verallgemeinerbaren Einzelbefunden festgemacht wird und eine allgemein gültige Begriffsbestimmung bisher nicht erfolgt ist. Die im Jahre 2006 von der Philosophischen Fakultät I der Humboldt-Universität zu Berlin angenommene Habilitationsschrift setzt nun genau hier an. In einem ausführlichen, zugleich aber konzentrierten und thesenorientierten Forschungsüberblick (17–78) schreitet Harald Müller die bisherigen Ansätze ab, sucht nach Verbindendem, stellt Widersprüche und Divergenzen fest und entwickelt auf diesem Hintergrund seinen eigenen Ansatz.
Eingedenk der Tatsache, dass schon der Begriff des Humanismus in der Forschung höchst umstritten ist und auf eine imaginierte Gemeinschaft abzielt, die in Größe und Gestalt wandelbar, mitunter flüchtig, doch auch nicht okkasionell sich konstituiert (75 f.), erscheint es umso problematischer, hier nun eine Untergruppe zu konstatieren, deren spezifischer Raum der des Klosters ist. M. fordert eine stärkere Verzahnung von sozialgeschichtlicher und inhaltlicher Betrachtungsweise. Er sieht den Mönch des Mit­telalters in einer doppelten Konfliktsituation: Zum einen droht die Gefahr inhaltlicher Konflikte dort, wo das humanistische Interesse mit den approbierten Text- und Lesetraditionen des christlichen Mönchtums nicht konvergiert. »Zum anderen schafft der Wunsch nach Kontakt zu und Anerkennung durch Humanisten eine soziale Konkurrenzsituation, die in die spannende Frage mündet, ob und wie sich die unterschiedlichen Anforderungen der jeweiligen Gruppen vereinbaren lassen.« (77) Mit seiner Analyse insbesondere des die kommunikativen Netzwerke des spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Humanismus konstituierenden Briefwechsels sucht M., diese vermuteten Konflikte zu entschärfen bzw. Lösungsansätze zu deren Überwindung aufzuzeigen.
M. geht von der ebenso schlichten wie pragmatischen These aus, dass »Humanist ist …, wer mit anderen Humanisten im Gespräch ist und bleibt« (77). Die mehr funktional-operative Definition kann sodann inhaltlich spezifiziert werden. Freilich will M. eben gerade nicht eine frühzeitige Festlegung auf eine material-inhaltliche Definition des Humanismus, würde das doch das Ergebnis der Analyse ganz erheblich präjudizieren. Obwohl die spezifische Ausrichtung auf den Fächerkanon der studia humanitatis nicht infrage gestellt wird, orientiert sich die Untersuchung bei der »Charakterisierung des inhaltlichen Profils … nicht primär (an) d(er) Wie­dererkennung einzelner Techniken und Themenfelder, sondern (thematisiert das Problem,) welche dieser Möglichkeiten des Humanismus zum Gesprächsthema erkoren« wird (ebd.). Das trägt zu einer spezifischen Prägung des Profils, freilich unter wechselnden inhaltlichen Perspektiven, bei.
M. beginnt seine diachrone Untersuchung im zweiten Kapitel unter der Überschrift »Rahmenbedingungen humanistischer Betätigung im Kloster« zunächst mit der Bearbeitung der Konfliktsituation, die sich aus der Lernbegier der humanistisch interessierten Mönche einerseits und den Regulativen der jeweiligen Klosterordnungen ergeben. Ausgehend von der Verhältnisbestimmung von klösterlicher Observanz und Bildungsinitiativen im 14. Jh. wendet er sich dann den benediktinischen Reformkongregationen von Melk, Bursfelde, Kastl und Windesheim zu. Dabei kann er durchaus Nischen für über die klösterliche Beschränkung hinausgehende Bildungsinitiativen erkennen. Sie werden in einem zweiten Durchgang mit Blick auf die Bestimmung der curiositas als eines beicht- und bußwürdigen Vergehens und sich daraus ergebende Konflikte konkretisiert.
Das nächste Kapitel »III. Humanistisch orientierte Mönche« bietet anhand dreier vertiefender Betrachtungen eine Skizze möglicher »Humanisten im Kloster«. M. wählt für seine Betrachtung den Augsburger Benediktiner Sigismund Meisterlin (ca. 1435 – nach 1497), der seine Studien in Padua fortsetzte, und Albrecht von Bonstetten (1442/43 – ca. 1504), der als Benediktiner in Freiburg, Basel und Pavia studierte und dort im Kloster sesshaft wurde, und klassifiziert sie als »Frühhumanisten im Kloster«. Ein zweites, höchst komplexes und in der Forschung längst nicht abgeschlossenes Beispiel bietet ihm sodann der Abt Johannes Trithemius von Sponheim (1462–1516) als Beispiel des »rheinischen Klosterhumanismus«. Während die Forschung sich intensiv mit dessen historiographischem Werk auseinandersetzt, konzentriert sich M. sehr viel mehr auf die Motive des Wissenserwerbs und vermag, diese mit den reformorientierten Aktivitäten des Benediktiners in Verbindung zu bringen. Als drittes Beispiel fungiert der Ottobeurer Benediktiner Nikolaus Ellenbog (1481–1543) – mehr oder minder ein Zeitgenosse Luthers und Zwinglis –, der aus wohlhabendem und gebildetem Hause stammend das Zeitalter der Reformation im Kloster verbrachte. Sein Umgang mit dem bekannten Diktum des Apostels aus 1Kor 8,1 ist getragen von dem Bemühen, gerade keinen Gegensatz von scientia und caritas aufzubauen, sondern deren Symbiose zum Charakteristikum benediktinischer Bildung und Frömmigkeit zu erheben.
Nachdem M. auf diese Weise Prägungen des Humanismus im Kloster hat nachweisen können, wendet er sich im zweiten Durchgang in Kapitel IV. der umgekehrten Perspektive, mithin »Mön­che(n) in der Welt der Humanisten« zu. Als Beispiel dient ihm hierbei der Maulbronner Zisterzienser Konrad Leontorius (ca. 1460–1511), der trotz seiner Klausur zu einem wichtigen Mitarbeiter des Verlagshauses Amerbach wurde und in den badischen Humanis­tenkreis um Reuchlin und Wimpfeling zu zählen ist. Weiterhin analysiert M. die Briefwechsel von Konrad Celtis, Konrad Peutinger und Willibald Pirckheimer, Johannes Reuchlin, Jakob Wimpfeling und Beatus Rhenanus auf benediktinische Korrespondenzpartner. Das Kapitel schließt mit dem erudicoenobita von Heinrich Urban, einem Zisterzienser aus (1480–1538), der, für längere Zeit in Erfurt ansässig, das Modelbild eines gebildeten Mönches im Zeitalter der Reformation abzugeben scheint. Ein zusammenfassendes Resümee schließt die Arbeit ab, deren Anmerkungsapparat einerseits wichtige Belege, andererseits aber auch die unbedingt notwendigen Hinweise auf Forschungsdiskurse und anders gelagerte Interpretationen enthält. Gleichwohl bewahrt M. das notwendige Maß und überlässt die detaillierte Auseinandersetzung dem interessierten Leser. Das Literaturverzeichnis (371–405) gibt Einblick in die ungemein weitgespannte Lektüre, die der Arbeit zugrunde liegt. Erstaunlich sind die geringe Anzahl ungedruckter Quellen und die reiche Ausbeute bereits vorliegender Druckversionen, sowohl in zeitgenössischen wie auch modernen, teilweise kritischen Editionen.
Ohne die Leistung M.s in irgendeiner Weise schmälern zu wollen, sei doch auf einige grundlegende Anfragen hingewiesen: Der Untersuchungszeitraum beschränkt sich ganz wesentlich auf das 15. und beginnende 16. Jh. und erwähnt trotz mannigfaltiger Bezüge die reformatorischen Entwicklungen kaum. Mit Blick auf die provokante These von Kaspar Elm, wonach die Wittenberger Reformation aufgrund ihrer Unabdingbarkeit mannigfaltige Reformansätze des spätmittelalterlichen Kirchen- und Klosterwesens zu einem vorschnellen Ende bewegt hat, wäre es doch reizvoll zu wissen, inwieweit sich die Bildungsperspektiven des benediktinischen Mönchtums signifikant von den Lernzielen der reformatorischen Bewegung unterschieden haben bzw. ob Wechselwirkungen, und sei es im Sinne der erwähnten Thesen von Elm, nachweisbar sind.
Weiterhin bezieht sich die Untersuchung vor allem auf Vertreter des benediktinischen Mönchtums. Auch wenn die Mendikanten erwähnt werden (105 mit Anm. 117; 244 u. ö.), sind es für M. vor allem Vertreter der stabilitas loci, welche er als Repräsentanten des Klosterhumanismus gewählt hat. Diese Entscheidung ist nicht weiter diskutiert. Damit allerdings blendet M. doch eine wichtige Perspektive der weiteren Auseinandersetzung mit seinem Forschungs­beitrag aus, nämlich die gewichtige Frage nach der Bedeutung des Klo­­ster­humanismus für die reformorientierten Kräfte in der Umbruchphase vor der Reformation und der einsetzenden Kon­fessionalisierung. Dass der Humanismus in vielfältigen Ausprägungen zum Nährboden reformatorischer Überzeugungen wurde, ist inzwischen kaum mehr bestritten. Fraglich ist aber doch, inwieweit es hier spezifische, möglicherweise ordensabhängige Ausprägungen gab und inwieweit diese sich mit der größeren katholischen Reform verbunden wussten. Vor dem Hintergrund der immer wieder aufflammenden Diskussion um die Kontinuität oder Konkurrenz des reformatorischen Ansatzes in Wittenberg zu spätmittelalterlichen Reformüberlegungen scheint diese Frage doch von erheblicher Bedeutung zu sein.
Die Arbeit ist vor allem forschungsgeschichtlich ausgerichtet. Sie leistet in aller Vorläufigkeit angesichts eines noch längst nicht abgeschrittenen Forschungsfeldes einen wichtigen zusammenfassenden Beitrag zum größeren Thema des Renaissance-Humanismus. Sie ist in der Verzahnung von sozialgeschichtlichen und material-inhaltlichen Analysen des manifesten Humanismus in benediktinischen Klöstern nördlich der Alpen methodisch durchaus innovativ, allerdings wird die weitere Forschung die Tragfähigkeit dieses Ansatzes auch für andere Themen der historischen Untersuchung von Spätmittelalter und Frühneuzeit erst noch erweisen müssen. Ebenso bleibt aber festzuhalten, dass jegliche weitere Arbeit an diesem Thema an dieser Studie nicht vorübergehen kann.