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Ausgabe:

Januar/1997

Spalte:

18

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Isayeva, Natalia

Titel/Untertitel:

From Early Vedanta to Kashmir Shaivism. Gaudapada, Bhartrhari and Abhinavagupta.

Verlag:

Albany, NY: State University of New York Press 1995. X, 197 S. 8° = Suny Series in Religious Studies. $ 16.95. ISBN 0-7914-2450-2.

Rezensent:

Friedrich Huber

Die Vfn. behandelt zwei Autoren des Vedanta vor Sankara, und zwar Gaudapada, der vermutlich der Lehrer des Lehrers Sankaras war, und den Grammatiker und Philosophen Bhartrhari. Beide wirkten etwa um 500 n. Chr., wobei die Vfn. von der üblich gewordenen Frühdatierung Sankaras ausgeht.

Die schon in der Einleitung formulierte These der Vfn. ist es, daß Gaudapada und Bhartrhari nicht so sehr als Vorläufer des von Sankara vertretenen Advaita Vedanta zu verstehen sind, als vielmehr als Vorläufer des theistischen, nicht-dualistischen kaschmirischen Sivaismus, wie ihn etwa Abhinavagupta (um 1000 n. Chr.) vertreten hat (2 und 5). Diese These sucht die Vfn. in Teil I für Gaudapada, in Teil II für Bhartrhari zu erhärten. Teil III zieht dann die Linien zum kaschmirischen Sivaismus aus und versucht auch einige andere religionsgeschichtliche Parallelen aufzuzeigen. Die Sanskrit-Texte sind in Umschrift und Übersetzung zitiert, so daß eine Überprüfung der vorgenommenen Interpretation möglich ist. Gelegentlich haben sich bei der Übersetzung Versehen eingeschlichen (z. B. 25: prajnah mit "The ’shining’ one" übersetzt).

In ihrer Interpretation der Mandukya-Karikas des Gaudapada hebt die Vfn. hervor, daß Gaudapada die vierte und höchste Bewußtseinsstufe, die auf der ontologischen Ebene dem atman oder brahman entspricht, als in sich lebendig und pulsierend verstanden hat. Das Wort spanda oder spanditam (das Pulsieren, Zittern u. ä.) spielt dabei eine bedeutende Rolle. So interessant diese Interpretation ist, so ist sie doch nicht über jeden Zweifel erhaben: Ist es wahrscheinlich, daß im Bezug auf das brahman von abhinives´a (affection, adherence) gesprochen wird (vgl. 62)? An entscheidenden Stellen wird mit Suggestivfragen argumentiert (52 und 53).

Im Zentrum der Arbeit von der Vfn. steht die Darstellung der Philosophie von Bhartrhari, wobei sie sich an dessen Werk Vakya-padiya hält. In einfühlender Interpretation arbeitet die Vfn. heraus, daß bei Bhartrhari das Höhere Brahman als Wort verstanden wird, was schon im ersten Vers des Werkes ausdrücklich gesagt wird. Dieses wird aber ­ anders als bei S´ankara ­ als "full of its own inner activity, full of potencies or ’seeds’ (bi-ja) of becoming" (103) verstanden. Es enthält die ganze Welt in sich wie das Ei des Pfaues schon das herrliche Federkleid des Pfaues in sich enthält und aus sich hervorgehen läßt (103 f.). Überraschend und ohne ausdrücklichen Anhalt im Text ist freilich der Versuch von der Vfn., im worthaften Brahman Bhartrharis die Züge eines persönlichen Gottes zu entdecken (vgl. 125ff.).

Eine Aufnahme der frühen Vedanta-Philosophie, wie sie von Gaudapada, und Bhartrhari vertreten wird, findet die Vfn. vor allem im kaschmirischen Sivaismus und hier wieder vor allem bei Abhinavagupta. Die Parallelen liegen im Verständnis der Höchsten Wirklichkeit und in der Ästhetik Abhinavaguptas. Nicht ganz deutlich wird freilich, inwiefern die Vorstellung von dhvani (angedeutete Bedeutung), die bei Abhinavagupta betont ist, im frühen Vedanta vorbereitet ist.

Interessant ist der Vergleich der Philosophie der frühen Vedanta-Philosophen mit der Theologie der Hesychasten und einer Strömung der russischen Philosophie im 19. Jh. Der Mut zum Vergleich von Vorstellungen, die in zeitlich und räumlich weit voneinander entfernten Kontexten beheimatet sind, verleiht dem Buch von der Vfn. einen besonderen Reiz. Eine eingehendere Erörterung der Problematik solchen Vergleichens hätte manchmal vermutlich noch zu einem differenzierten Bild geführt. Auf jeden Fall handelt es sich bei der vorliegenden Arbeit um eine sehr anregende Abhandlung.

Daß aus Kants "reinen Verstandesbegriffen" auf S.37 "reine Formen der Überstand" geworden sind, sollte bei einer eventuellen Neuauflage korrigiert werden.