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Ausgabe:

April/2010

Spalte:

449-451

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Hägermann, Dieter

Titel/Untertitel:

Das Papsttum am Vorabend des Investiturstreits. Stephan IX. (1057–1058), Benedikt X. (1058) und Nikolaus II. (1058–1061).

Verlag:

Stuttgart: Hiersemann 2008. XI, 247 S. gr.8° = Päpste und Papsttum, 36. Lw. EUR 138,00. ISBN 978-3-7772-0801-5.

Rezensent:

Martin Ohst

Nach seiner Emeritierung als Inhaber des Lehrstuhls für Mittelalterliche Geschichte wollte Dieter Hägermann, anknüpfend an eine Reihe älterer eigener Vorstudien, eine umfassende Monographie zum Reformpapsttum des 11. Jh.s ausarbeiten. Aus der Arbeit an diesem Projekt heraus wurde er am 30. März 2006 unversehens abgerufen. H.s Tochter und die Witwe seines Lehrers Werner Goez, dessen Andenken das Buch gewidmet ist, haben das hinterlassene Manu­skript druckfertig gemacht und publiziert; sie haben sich dabei sehr deutlich vom Leitgesichtspunkt der Pietät bestimmen lassen. Die Spuren dieser Entstehungsgeschichte sind im Text allenthalben präsent. Die Arbeit besteht aus einer langen Reihe von meist in sich geschlossenen kleinen Einzelstudien, die alle aus den Quellen zu erhebenden Aspekte der Wirksamkeit der zwischen 1057 und 1062 regierenden Päpste darstellen. Sie sind jedoch, wie an vielen Wiederholungen sichtbar wird, noch nicht wirklich in einen umfassenden Erzählzusammenhang verschmolzen. Und bis in einzelne Sätze und Formulierungen hinein wird deutlich, dass ein letzter durchgreifender Überarbeitungsgang nicht mehr stattgefunden hat.
Zwei Päpste stehen im Zentrum der Untersuchung: Stephan IX. war als jüngster Bruder Herzog Gottfrieds von Lothringen Angehöriger des höchsten Reichsadels und nach einer höchst bedeutsamen Karriere als reformorientierter Kirchenpolitiker zum Zeitpunkt seiner Papsterhebung Abt von Montecassino. Seine Erhebung (1057) geschah, anders als bei seinen unmittelbaren Vorgängern, ohne Mitwirkung des Königs bzw. des Reichsregiments – Heinrich III. war ja im Jahr zuvor verstorben. Eine institutionelle Beteiligung des Kardinalskollegiums ist ebenso wenig greifbar. H. zeigt, dass entsprechende Hinweise in späteren Quellenzeugnissen Retrojektionen der Verhältnisse nach dem Papstwahldekret von 1059 sind. Nur acht Monate lang währte Stephans Pontifikat. Er blieb währenddessen Abt des ältesten Benediktiner-Klosters und baute dort Desiderius, später als Victor III. ebenfalls Papst, als seinen Nachfolger auf. Der war es auch, der politische Beziehungen zu den normannischen Territorialherren Süditaliens anspann und damit das politische Großereignis der nächsten Jahre vorbereitete: die Allianz des Papsttums mit den Normannen, welche diesem dauerhaft Optionen jenseits der hergebrachten Bindung an das Reich eröffnete und ihm damit für die Folgezeit immer wieder die Möglichkeit eigenständigen politischen Handelns und Taktierens eröffnete. Sofern es die Kürze der ihm zu Gebote stehenden Zeit erlaubte, forcierte Stephan den Kampf gegen »Simonie« und »Nikolaitismus«. Von einer Reise in die Toskana nach Rom zu­rückkehrend, verstarb Stephan in Florenz. Er hatte verfügt, dass mit der Wahl eines Nachfolgers gewartet werden solle, bis Hildebrand, der spätere Gregor VII., welcher sich auf Legationsreise in Deutschland befand, in die Ewige Stadt zurückgekehrt sein würde. Die stadtrömischen Adelsfamilien, die vor dem energischen Durchgriff Heinrichs III. auf der Synode von Sutri das Papstamt als ihr Eigentum betrachtet und behandelt hatten, ließen sich davon nicht irre machen und erhoben einen der Ihren, den Kardinalbischof von Velletri, als Benedikt X. in herkömmlicher Weise zum Nachfolger Petri. Die entschiedenen Reformer an der Kurie, an deren Spitze Humbert von Silva Candida und Petrus Damiani standen, während Hildebrand eher im Hintergrund die Fäden zog, ließen sich diesen Handstreich nicht gefallen und designierten ihrerseits Erzbischof Gerhard von Florenz zum Papst. Der Akt fand wohl in Siena statt. Entscheidend wichtig ist, dass die Wähler und der Gewählte selbst die Wahl, obgleich sie nicht in Rom stattgefunden hatte, als die eigentlich entscheidende Etappe auf dem Wege ins Amt ansahen: Unbeschadet dessen, dass es ihm an der offiziellen Inthronisation sowie an jeder Fühlungnahme mit dem Reichsregiment mangelte, nahm der Gewählte seine Amtsgeschäfte im vollen Umfang auf.
Sehr erhellend weist H. auf die Gründe und Folgen dieser Verschiebungen hin. Es zeigte sich, dass die Zeit der Herrschaft des römischen Adels über das Papstamt abgelaufen war: Den Kampf gegen Benedikt X. konnte Nikolaus II. – darüber, warum Gerhard diesen Namen annahm, kann man nur haltlose Vermutungen anstellen – rasch für sich entscheiden. Die wichtigste legislatorische Maßnahme seines Pontifikates, das Papstwahldekret der Fastensynode 1059, dessen Überlieferung unsicher ist, zieht hieraus die Konsequenzen. In neuartiger Weise schreibt es dem Kollegium der Kardinäle, insbesondere den Kardinal bischöfen, das Recht der Erhebung des Papstes zu. Der geistige Vater des Dekrets war wohl Petrus Damiani (116–118). Legitimierend wird es auf Dekretalen Gelasius’ I. und Leos I. zurück­bezogen. H. bemerkt, diesem Vorgehen hafte »etwas Gewolltes und Gekünsteltes an« (118). Aber die Weise, in der hier normative Tradition im Hinblick auf je gegenwärtige Regulierungsbedürfnisse mit entschlossenem Zugriff in Dienst genommen und geformt wurde, hätte wohl positiv noch deutlicher gemacht werden können. Die Anschauung, als seien in der Kirchenreform des 11. Jh.s lediglich hergebrachte Rechtsordnungen wieder in Geltung gesetzt worden, mag von den damals Agierenden in gutem Glauben vertreten worden sein. Heute jedenfalls darf sie nicht mehr den Blick dafür trüben, dass damals eine Revolution stattfand, deren Vertreter, wie die Protagonisten vieler Revolutionen seither, das »gute, alte Recht« auf ihre Fahnen schrieben. Sehr eindrücklich arbeitet H. jedenfalls heraus, wie das Papstwahldekret bzw. der in ihm sich wirksam gestaltende neue normative Begriff des Papsttums dieses dauerhaft zum Motor der Kirchenreformbestrebungen auch nach dem Ende der Unterstützung des kirchenreformerisch gesonnenen Kaisers Heinrich III. machte. Einem der vorrangigen Kirchenreformanliegen, dem ebenfalls revolutionären Kampf gegen die Priesterehe, der seinerseits hineingehört in das Programm der Monastisierung des Weltklerus und der Regularkanoniker, waren weitere Kundgaben der Synode ge­widmet.
Das unter Nikolaus’ II. Federführung vollzogene »Reversement des alliances«, also die politische Verbindung des heiligen Stuhls mit den Normannen, gehört eng zusammen mit der institutionellen Selbstabsicherung des Papsttums im Wahldekret: Wie dieses unternimmt es den Versuch, ihm dauerhaft autonome Handlungs- und Einwirkungsmöglichkeiten zu sichern, indem es das Papsttum zu selbständigem Agieren in der Politik und in der Kirchenpolitik befähigte (145–164). Am Ende von Nikolaus’ kurzem Pontifikat kam es zu einem politischen Zerwürfnis mit dem Reichsregiment, dessen Gründe und dessen Verlauf sich jedoch in den erhaltenen Quellen nur nebulös niedergeschlagen haben (213–217).
Es ist erstaunlich, wie deutlich hier schon die Grundlinien der späteren Politik Gregors VII. ausgebildet sind. Ebenso klar tritt jedoch hervor, was dieser an persönlich-kontingenten Besonderheiten hinzubrachte, nämlich einen unvergleichlich energischen, fast schon skrupellosen politischen Durchsetzungswillen und als dessen vornehmstes Instrument eine virtuos auf den vorhandenen Klaviaturen spielende und diesen ganz neuartige Klänge entlo­ckende Rhetorik.