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Ausgabe:

April/2010

Spalte:

447-448

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Witte, Bernd

Titel/Untertitel:

Die Sünden der Priester und Mönche. Koptische Eschatologie des 8. Jahrhunderts nach Kodex M 602 pp. 104–154 der Pierpont Morgan Library der sogenannten Apokalypse des Pseudo-Athanasius. Teil 2: Kommentar.

Verlag:

Laer: Oros 2009. 391 S. 8° = Arbeiten zum spätantiken und koptischen Ägypten, 13. Kart. EUR 60,00. ISBN 978-3-89375-218-8.

Rezensent:

Ch. M

Bernd Witte legt in zwei Bänden (der erste, der die Textausgabe, eine allgemeine Einleitung und in der Tradition des Berliner Ar­beitskreises für Koptisch-Gnostische Schriften sehr ausführliche Register enthält, erschien im Jahre 2002) die Frucht einer in den 90er Jahren aufgenommenen Beschäftigung mit einer spätantiken koptischen Predigt vor, die ein bemerkenswertes Dokument der Reaktion koptischer Christen auf den Islam darstellt.
In der »Clavis Patrum Graecorum« ist der Text als pseudathanasianische Predigt In Michaelem archangelum (CPG 2, 2195) und als Ineditum rubriziert; inzwischen liegt eine weitere Textausgabe im gleichen Verlag vor: Ein wildes Volk ist es ... Predigt (Ps.-Athanasius), koptisch-arabisch-deutsche Textausgabe mit Anmerkungen von Detlev Groddek, Theodor Lindken, Heinz Schaefer. Mit einem Beitrag von Hans Hinrich Biesterfeld, Corpus Islamo-Christianum. Series Coptica 1, Altenberge: Oros Verlag 2004; die Autoren bieten einen aufgrund des Arabischen ergänzten koptischen Text, den W. auszugsweise mitteilt: Bd. 2, 279–293. Es handelt sich um eine in sahidischem Koptisch abgefasste (Oster-?)Homilie, die dem Bischof Athanasius untergeschoben wurde und neben der Handschrift in der New Yorker Pierpont Morgan Library auch in zwei weiteren koptischen Fragmenten sowie einer deutlich umfangreicheren arabischen Überlieferung belegt ist. Nach W. wurde der in der Sekundärliteratur gelegentlich erwähnte Bezug des Textes auf den Erzengel Michael zu Beginn und am Schluss später hinzugefügt (Bd. 1, 63–67, und Bd. 2, 266–269). Die Überschrift, die den Text als Predigt über Lev 21,9 und Ex 19,22 vorstellt und in einer bestimmten historischen Situation des Athanasius loziert, ist gleichfalls sekundär (Bd. 2, 33–46). W. schlägt als Titel vor: »Ps.-Athanasius, Die Sünden der Priester und Mönche«.
Dem Kommentator gelingt es in seinem ebenso umfangreichen wie umfassenden Kommentar, den Text mithilfe neuerer Untersuchungen zur Geschichte der koptischen Christen im 1. Jh. vorzüglich durchsichtig zu machen und umgekehrt neue Blicke auf diese vor allem für die christliche Mittel- und Unterschicht schwierige Zeit zu werfen. Der aus miaphysitischen monastischen Kreisen stammende Autor (vgl. 8,15 [Bd. 1, 176; W.]) bedient sich – wie übrigens auch syrische und griechischsprachige Theologen der Zeit – der Apokalyptik und malt ein ideales Bild der Kirche zur Zeit des Athanasius, von dem die Predigt verfasst sein will: »Deshalb will auch ich, euer Vater Athanasius, heute meine Stimme erheben« (1,3 [Bd. 1, 112]). Der Sittenverfall der Priester und Mönche, die eigentlich zu besonderer Heiligkeit verpflichtet wären, wird als Grund der gegenwärtigen Pressionen beschrieben; nach W. gibt es »in vielen Details nahezu frappierende Übereinstimmungen mit dem Denken der alten Ägypter« (Bd. 2, 274). Manchmal wirken die Nachweise solcher Übereinstimmungen etwas konstruiert: Das negative Sündenbekenntnis, »welches ein Verstorbener vor dem Gericht des Osiris abzulegen hatte«, muss nicht herangezogen werden, wenn der Prediger fordert, die Priester sollten »jede Bosheit und jede Verleumdung und jeden Neid und jeden Haß und jeden Streit und jede Habsucht … und die Maßlosigkeit beim Hang zum Essen und Trinken« (3,10 [Bd. 1, 126]) ablegen. Die Polemik ist grob: »Du trägst das heilige Gewand des Mönchtums, deine Gedanken selbst aber sind schwarz wie ein Sack durch deine Leidenschaften und deine abscheuliche Begierde« (7,8 [Bd. 1, 158]). Trotzdem finden sich allerlei höchst interessante Detailbeobachtungen, beispielsweise darüber, dass die koptischen Christen nur zur Eucharistie in die Kirche kommen und »Vorübergehende« fragen, wie weit der Gottesdienst schon gekommen ist (10,7 [Bd. 1, 192]). Theologische Auseinandersetzung mit dem Islam findet dagegen nicht statt; es werden lediglich Wirkungen der politischen, gesellschaftlichen und religiösen Umwälzungen mit biblischer Metaphorik beschrieben sowie die massenhaften christlichen Konversionen und ihre Folge: leere Kirchen (9,7 [Bd. 1, 182]). Nicht alle Züge des Textes will W. auf die Gegenwart seiner Abfassungszeit deuten: Die Warnung vor einer Tisch- und Sakramentsgemeinschaft mit den Arianern, die man nicht einmal grüßen soll (2,2 [Bd. 1, 117), sei bloße Erinnerung an die vergangenen Auseinandersetzungen des 4. Jh.s (77) – wirklich? Schließlich gibt es massive innerchristliche Auseinandersetzungen, die von manchen Historikern für einen der Gründe gehalten werden, warum so viele Christen zum Islam konvertierten.
Ein Monitum bleibt freilich zu diesem schönen (Doppel-)Werk: Der reiche Kommentar ist leider nicht sehr übersichtlich angelegt; es läuft durch den Band der einheitliche Kolumnentitel »Kommentar – Erläuterungen zum Text« durch, statt die Kapitel und Unterkapitel schon auf dem Seitenkopf anzuzeigen.