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Ausgabe:

April/2010

Spalte:

445-447

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Volp, Ulrich

Titel/Untertitel:

Die Würde des Menschen. Ein Beitrag zur Anthropologie in der Alten Kirche.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2006. XII, 466 S. gr.8° = Supplements to Vigiliae Christianae, 81. Geb. EUR 152,00. ISBN 978-90-04-15448-3.

Rezensent:

Ekkehard Mühlenberg

Der Haupttitel signalisiert die Aktualität der Untersuchung. Der Vf. will die jüdisch-christlichen Elemente in der neuzeitlichen »Menschenwürdebegrifflichkeit« dokumentieren. Cicero habe sprachlich aus einem altrömischen Wert (dignitas) die Würde für den Menschen hergestellt; das sei ihm unter dem Einfluss der stoischen Ethik gelungen (50.54). Diesem Resultat des zweiten Kapitels (»Der Mensch in der paganen Philosophie der Antike«, 22–61) folgt als Resultat des vierten Kapitels (»Der Mensch in der altkirchlichen Literatur«, 104–240), dass die Christen aufgrund der in Gen 1,26 f. vorgegebenen Ebenbildlichkeit des Menschen (durch die kappadokischen Theologen vorbereitet) mit Augustin abschließend die begriffliche Präzisierung für die »von Gott geschaffene Menschenwürde« (239 f.) gefunden haben. In einem fünften Kapitel (»Die Würde des Menschen in der christlichen Praxis: Der Umgang mit Schwangerschaftsabbruch und Behinderung«, 263–323) werden ethische Konkretionen von Anthropologie vorgeführt. Ein sechstes Kapitel (»Der Mensch in christlichem Kult und christlicher Frömmigkeit«, 324–352) exemplifiziert Bereiche wie Gebetspraxis und Bestattungsriten, in denen auf die Würde des Menschen in der Anthropologie rückgeschlossen werden könne. Eine weitgreifende Bibliographie (375–427) und detaillierte Register (428–466) schließen den Band ab.
Das vierte Kapitel ist der größere materiale Beitrag der Untersuchungen und ist in die Form eines Überblicks gekleidet. Die Methode des Überblicks ist einfach; entsprechend sind auch die Kategorien zur Unterteilung einfach. Als Methode werden drei Fragen eingeführt (14–20): »1. Die (philosophische) Frage nach dem Menschen an sich, in seiner Zusammensetzung und Herkunft; 2. die (biblische) Frage nach der Grundlage für die Sicht vom Menschen in der göttlichen Offenbarung; und 3., als Konsequenz aus diesen beiden, die Frage nach der Stellung des Menschen innerhalb des Kosmos, nach dem Unterschied zwischen Mensch und Tier und nach dem besonderen Rang des Menschen oder seiner Würde« (104 f.). Unter diesem Frageschema werden die christlichen Autoren von den Apologeten bis Augustin (23 sind es insgesamt) vorgestellt, in vier Phasen chronologisch untergliedert (»Mensch und Gnosis« – »Mensch und Logos« – »Mensch und Gottes Schöpfung« – »Der Weg der theologischen Anthropologie im lateinischen Westen«). Die benutzten Kategorien sind hauptsächlich »dichotome Anthropologie« und »anthropologischer Dualismus« für den Bereich der paganen Philosophie (vgl. Zweites Kapitel), »anthropologischer Mo­nismus« für den Bereich der Bibel (vgl. »Drittes Kapitel: Der Mensch in der biblischen und jüdisch-christlichen Tradition bis zum 2. Jh.«, 62–81; Philon von Alexandrien ist dort zugefügt).
Es hat sich eine umfangreiche Materialübersicht ergeben. Viele ausführliche Zitate bringt der Vf. in Übersetzung (mit Ursprache in den Anmerkungen), aber viele unverständlich, da sie oft weder kommentiert noch genügend eingeleitet werden. Die genannten Kategorien werden als vielfältig kombinierbar angesehen (vgl. 14–20.104–108.353–361). Plakativ benutzt (biblische und platonische Anthropologie, platonisches und stoisches Menschenbild, gnostische und antignostische Kosmologie, biblisch begründete Kulturkritik und heilsgeschichtlich verstandener Kulturoptimismus, griechisches und römisches Denken; vgl. 353) erweisen sie sich in konkreter Anwendung als banal bzw. die Sache verfehlend. Dichotome Anthropologie, die nach Ab- oder Gleichwertung des Körpers befragt wird, ist z. B. für Platon nichtssagend, wenn nicht Platons Elementarversion über das Philosophieren des Sokrates in Apologia 30 (nicht Körperkult und nicht Wohlstand, sondern die Seele solle des Menschen erste Sorge sein) erinnert wird. Bei Cicero ist zu dignitas mehr an die Sphäre des Rechts als an die Verbindung zur Ethik (vgl. 53) zu erinnern (z. B. inv. II 53,160; rep. I 32,49).
Den Untersuchungen eignet Unbestimmtheit. Das zeigt sich an dem Eingeständnis, dass die Frage nach Menschenwürde keine antike Frage gewesen sei, es jedoch in Texten mit anderen Problemen anthropologische Aussagen gebe (104). Unbestimmt bleibt also, ob Anthropologie mit der Frage nach der »Menschenwürde« gleichzusetzen sei. Unbestimmt verdeckt sind öfters die Probleme, die in den Texten für ihren Beitrag zur Anthropologie gelöst werden sollten; es fehlt z. B. eine Perspektive wie H. Langerbeck, Die Anthropologie der alexandrinischen Gnosis (in: Aufsätze zur Gnosis, Göttingen 1967). Unbestimmt ist, was die Ebenbildlichkeit des Menschen konkret sein soll (z. B. bei Gregor von Nyssa; 180), so dass auch die oft genannte Homoiosis-Ethik zu einer leeren Hülse zu werden droht. Unbestimmte Formulierungen erschüttern bisweilen, als träfe man auf Schlaglöcher (vgl. »Die wichtigste anthropologische Grundlage ist die Frage nach …«, 14; »Hierarchisierung der Anthropologie«, 134; »der Leib ist … von sich aus nicht zur Tugend fähig«, 222). Unbestimmt bleibt, wie aus der griechischen (und lateinischen) Bibel die von der paganen Philosophie abweichende Anthropologie wahrgenommen werden konnte. Der Exkurs über den gerechten Krieg (240–262) ist eine spekulative Insinuierung.
Der Versuch, durch eine aktuelle Frage, die die Antike selbst nicht gestellt habe, zur Anthropologie der Alten Kirche beizutragen, leuchtet mir nicht ein. Ich will wissen, welche Fragen die altchristlichen Theologen zu ihren anthropologischen Erörterungen veranlasst haben und welche uns geläufigen Fragen sie nicht stellten. Wie anders soll ich mich auf die Fremdartigkeit ihrer Einsichten einlassen können? Und wie anders soll ich mir begreiflich machen, dass der Mensch durch seine Relation zu Gott bestimmt wurde? An diesem Punkt hilft mir der »Beitrag zur Anthropologie in der Alten Kirche« nur wenig.
Die Korrekturbetreuung zeigt Mängel (fast durchgehend ein Falschzeichen für griechischen Apostroph; im Register kein Abstand zwischen Stellennotat und Seitenangabe; fehlende Unterteilungen bei den laufenden Kolumnentiteln).