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Ausgabe:

April/2010

Spalte:

444-445

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Mühlenkamp, Christine

Titel/Untertitel:

»Nicht wie die Heiden«. Studien zur Grenze zwischen christlicher Gemeinde und paganer Gesellschaft in vorkonstantinischer Zeit.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2008. VIII, 232 S. gr.8° = Jahrbuch für Antike und Christentum. Ergänzungsbände. Kleine Reihe, 3. Geb. EUR 38,00. ISBN 978-3-402-10911-3.

Rezensent:

Henrik Hildebrandt

In der neuen »Kleinen Reihe« des Jahrbuchs für Antike und Christentum erscheint nach der Arbeit von Andreas Weckwerth nun eine weitere Dissertation, diesmal aus Münster. Christine Mühlenkamp untersucht vorkonstantinische Konzepte von christlicher Identität in der nichtchristlichen Umwelt. Ausgehend von der grundlegenden Beobachtung, dass christliche Gemeinden nicht aus den Gesellschaften der Antike auswanderten, sondern in Kohabitation mit den Heiden existierten, wird der Versuch unternommen, die Grenze zu bestimmen, die den »Binnenraum« des Christlichen von der alltäglichen Lebenswelt des römischen Reiches trennte. Diese Frage nach der gesellschaftlichen »Selbstverortung« der Christen ist keine antike, wie M. zu Beginn deutlich macht. Die Untersuchung zielt daher auf die »Rekonstruktion eines angenommenen Ganzen«, beansprucht mithin nicht, historische Situationsbeschreibung zu sein. Eine weitere Selbstbeschränkung liegt in der Konzentration auf die »konkrete christliche Lebensgestaltung«. Theologiegeschichtliche Fragestellungen wie die nach Sündenverständnis oder Bußwesen sind ausgeblendet – dementsprechend wird bei der Quellenbasis z. B. Tertullians Schrift de paenitentia nicht herangezogen. Dabei könnte doch ein Blick auf die Sanktionen bei Grenzverletzungen das Bild von der Grenze schärfen. Stattdessen geht es um die Divergenz von Ideal und Realität der christlichen Existenz in der heidnischen Antike. Von dieser Beschränkung der Aufgabenstellung her ist die Arbeit tatsächlich ohne direkte Vorgänger.
Nach einem knappen Forschungsüberblick und einer Vorstellung der zugrunde gelegten einschlägigen frühchristlichen Quellen erhält die Untersuchung ihre Grundlegung durch eine kurze Betrachtung biblischer Abgrenzungsparadigmen gegenüber der paganen Welt. In Anlehnung an Michael Wolter unterscheidet M. zwischen inklusivem und exklusivem Ethos der Christen, wobei sich wenig Spezifisches findet: Zum einen grenzen sich Christen durch Überbietung ethischer Standards ab, zum anderen übernehmen sie mit den noachitischen Geboten zentrale Weisungen des Judentums. Folgerichtig werden die Größen »Götzendienst« und »Unzucht« als Kerntabus des Christlichen bestimmt. Als identitätsstiftend wird mit Paulus der Glaube identifiziert und damit Begriff und Gebiet des Ethos verlassen. Im christlichen Binnenraum – also in der Gemeinde – schafft der Gottesdienst Identität. Wie sich christliche Identität jenseits dieses Binnenraumes ausdrückt, wird dagegen in der Arbeit nicht recht greifbar. Den Zusammenhang von Verfolgung und Martyrium jedenfalls blendet M. als »Ausnahmesituation« ausdrücklich aus. Ist das aber sachgemäß? Gerade in Karthago zur Zeit des Verfassers von ad martyras ist dieser Zustand keine Ausnahme. Der Ort der Gemeinde sowohl aus Binnen- wie aus Außenperspektive ist durch das öffentliche Ereignis Martyrium geprägt. Ohne diesen Zusammenhang bleibt nur »Isolation« als äußeres Merkmal der Christen übrig.
Der Hauptteil der Arbeit legt seinen Schwerpunkt auf die Untersuchung Tertullians und der karthagischen Gemeinde. Anhand der Felder Wirtschaft, öffentliches Leben, Privatleben und Welt der Frauen unternimmt M. drei kundige und informative Durchgänge durch das in erster Linie aus fünf sog. »Gemeindeschriften« Tertullians bestehende Quellenmaterial. Zunächst wird der Ist-Zustand rekonstruiert, danach die Idealvorstellung des (vormontanistischen) Tertullian dargestellt. Schließlich entwirft M. die Position der Gegner Tertullians und vergleicht. Das Ergebnis ist klar und wenig überraschend: Grundlegend und unstrittig sind in Karthago die beiden Säulen des christlichen Ethos, Idolatrie- und Unzuchtverbot, in der Taufe durch die Absage an den Teufel verbunden. In der Frage der Auslegung und Definition dieser Verbote dagegen ringen die eher rigoristischen, liberaleren und Mittelpositionen miteinander. Dieses Bild bestätigt der Durchgang durch weitere Quellen des 1. bis 2. Jh.s: Die Position des Alexandriners Clemens, kontrastiert durch einen Seitenblick auf den »Hirten des Hermas«, Kirchenordnungen wie die Didache, Synodalkanones, die pseudo-cyprianische Schrift gegen das Würfelspiel und sogar heidnische Argumentationen des Celsus und der Schrift Von den Schauspielen sowie – chronologisch überraschend am Ende – »Notizen bei Irenäus«.
Der Befund dieser anregenden Quellenschau zeigt, dass die räumliche Grenzmetapher »an ihre Grenzen« stößt, weshalb M. schließlich von einem »Grenzraum« mit unscharfen Rändern spricht. Das Verhältnis von disciplina der Gemeinde und necessitates des Lebens wird immer wieder neu ausgehandelt. Der wachsende Abstand zwischen lebbarer Wirklichkeit und faszinierendem Anspruch ist bei Tertullian an seiner Hochschätzung der Bekenner und Märtyrer erkennbar. Doch der späte Tertullian findet keinen Platz im Rahmen dieser vielseitigen Arbeit. Zwar betrachtet M. die Unterscheidung eines vormontanistischen und eines montanistischen Tertullian für ihre Untersuchung – zu Recht – als nicht entscheidend. Doch die Nichtberücksichtigung auch der Schrift de pudicitia erscheint dann umso erstaunlicher.