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Ausgabe:

April/2010

Spalte:

432-433

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Richey, Lance Byron

Titel/Untertitel:

Roman Imperial Ideology and the Gospel of John.

Verlag:

Washington: The Catholic Biblical Association of America 2007. XXII, 228 S. gr.8° = The Catholic Biblical Quarterly Monograph Series, 43. Kart. US$ 13,00. ISBN 0-915170-43-4.

Rezensent:

Heike Omerzu

Bei dem anzuzeigenden Werk handelt es sich um die überarbeitete Fassung einer Dissertation an der Marquette University aus dem Jahr 2004. Ausgangspunkt der Studie ist die Beobachtung des Vf.s, dass die Untersuchung des Verhältnisses des Johannesevangeliums zum Imperium Romanum ein Desiderat der Forschung darstellt. Demgegenüber formuliert der Vf. seine eigene These wie folgt: »[T]he final redactor(s) of the Gospel wanted to distinguish clearly the nature of Christ’s divinity and power from the religious and political authority of the emperor« (XX).
Um diese Auffassung zu begründen, entfaltet er in Kapitel 1 zunächst die Geschichte der Entwicklung des Johannesevangeliums bzw. der dahinterstehenden Gemeinde (1–26). Dies geschieht jedoch nicht aufgrund eigener Analysen, sondern hauptsächlich in enger Anlehnung an die einschlägigen Arbeiten von R. E. Brown und J. L. Martyn. Demnach seien die Vorstufen des Joh zwar in judenchristlichen Kreisen in Palästina anzusiedeln, doch spätestens zum Zeitpunkt der Endredaktion (unter der Herrschaft Domitians) – an der der Vf. vor allem interessiert ist – sei die nun maßgeblich heidenchristlich geprägte Gemeinde in Kleinasien zu lokalisieren und sehe sich auch nach dem Ausschluss aus der Synagoge (der seinerseits bereits freilich eine nicht unstrittige Hypothese darstellt!) fortwährenden jüdischen Anfeindungen ausgesetzt.
In Kapitel 2 schließt sich – wiederum in Form eines Referats der Forschung – eine Darstellung der »Augustan Ideology« an, gefolgt von der These, jüdische Autoritäten hätten sich zunutze gemacht, dass die Christen nach dem Synagogenausschluss nicht mehr vom Kaiserkult befreit waren und sich daher zunehmenden römischen Repressionen ausgesetzt sahen (27–65). Insgesamt sei christliche Identität somit weder ideologisch noch politisch mit der imperialen »Weltanschauung« (65) zu vereinbaren. Hier stellt sich nun einer­seits die Frage, warum dies in besonderem Maße für die johanneische Gemeinde gilt (so z. B. 67 f.142 f.), über deren historischen Kontext ja ohnehin nur gemutmaßt werden kann, und andererseits, ob sich daraus zwingend eine bewusste anti-römische Haltung des Joh ableiten lässt oder nicht vielmehr eine petitio principii vorliegt. Methodisch problematisch ist hier vor allem, dass der Vf. zu Recht aufzeigt, dass der vermeintliche Konflikt zwischen der Autorität Jesu und der des Kaisers sprachlich kommunizierbar sein muss: »Since there was no well developed christological language already available, the only remaining option was to conceptualize and portray Jesus in the language of power familiar to Christians, namely that of the emperor.« (65) Das zeigt aber gerade an, dass die Verhältnisbestimmung zwischen »christlicher« und »römischer« Vorstellungswelt methodisch viel differenzierter vorgenommen werden müsste, als dies im vorliegenden Werk geschieht.
Das gilt nicht zuletzt auch für das folgende Kapitel (66–103), in dem drei Begriffe, die sowohl in der Kaiserideologie als auch im Joh begegnen, untersucht werden (ἐξουσία, ὁ σωτὴρ τοῦ κόσμου, ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ). Auch hier findet wieder kaum selbständige Arbeit an den Quellen statt, sondern es wird hauptsächlich (zumeist ältere) Literatur zum Thema referiert. Erst zu Beginn von Kapitel 4 wird der eigene exegetische Zugang knapp entfaltet (vgl. 107–113: A Note on Method), wobei es weniger um eine Methodik geht als vielmehr um die hermeneutischen Grundentscheidungen, das Joh nicht literarkritisch zu untersuchen (obwohl freilich die Einordnung in Kapitel 1 indirekt auf entsprechenden Überlegungen beruht; vgl. auch 133 zum sekundären »Einschub« Joh 1,6–8), sondern die Endgestalt des Textes zu analysieren und dessen sozio-historischen Kontext zu bestimmen. Letzteres bedeutet für den Vf. im Wesentlichen, »to see how well this reading of John as an anti Roman polemic works« (113).
Dies wird in Kapitel 4 anhand des Prologs und in Kapitel 5 (153–184) anhand der Passionserzählung entfaltet. »[T]he Prologue can be seen to challenge the cosmological, prophetic, political, and doxological elements of the Augustan Ideology by contrasting the unique and superior character of Jesus’ person and activity with features associated with the emperor. These challenges, taken in toto, constitute nothing less than a ›counter-ideology‹« (116). Die römischen Vorstellungen werden dabei unkritisch als metaphorisch und schmeichlerisch abgetan: »[T]he Augustan Ideology … never employs the language with the same theological depth and majesty in reference to the emperor as John’s Prologue« (123).
Insgesamt fallen die Exegesen recht oberflächlich aus, was umso mehr für die Untersuchung der Passionserzählung gilt, deren Hauptstoßrichtung dem Vf. nach nicht anti-jüdisch, sondern anti-römisch zu verstehen ist. Im Einzelnen kommen Joh 18,36; 19,12; 19,15 in den Blick. »Taken together, these passages serve as a climax to the polemic against the Augustan Ideology, which develops in (sic!) Forth Gospel from the Prologue onwards.« (157) Die Schlussfolgerung (185–189) stellt das Thema in einen weiteren theologischen Rahmen und wirft darüber hinaus vor allem viele Fragen auf, die zuvor wurden. Dieser Abschluss ist symptomatisch für das Gesamtwerk: Es steckt zwar ein Problemfeld ab, doch steht eine umfassende und methodisch fundierte Studie des römischen Kontextes des Joh weiterhin aus. Diese müsste neben gründlicherer Arbeit an den Primärquellen (einschließlich archäologischen und epigraphischen Materials!) u. a. das kritische Gespräch mit anderen »anti-imperialen« Interpretationen des Neuen Testaments suchen (z. B. R. A. Horsley; W. Carter u. a.) und die Frage in den weiteren sozialgeschichtlichen Kontext des Verhältnisses von frühem Christentum und Imperium Romanum stellen.