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Ausgabe:

April/2010

Spalte:

420-422

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Johnson, Vivian L.

Titel/Untertitel:

David in Distress. His Portrait Through the Historical Psalms.

Verlag:

London-New York: T & T Clark International (Continuum) 2009. IX, 160 S. gr.8° = Library of Hebrew Bible. Old Testament Studies, 505. Lw. £ 55,00. ISBN 978-0-567-02734-4.

Rezensent:

Beat Weber-Lehnherr

Die vorzustellende Monographie enthält keine Angaben zur Person der Vfn. Nach Recherchen im Internet unterrichtet sie am methodistischen »United Theological Seminary« in Dayton (Ohio). Die Studie konzentriert sich auf die »historical psalms«. Gemeint sind diejenigen stets »David« zugeschriebenen Psalmen, deren Überschriften Angaben über historische bzw. biographische Entstehungs- bzw. Vertextungsumstände bieten. Konkret handelt sich um die folgenden 13 Psalmen: 3; 7; 18; 34; 51; 52; 54; 56; 57; 59; 60; 63; 142. Die Vfn. bietet eine intertextuelle Lesung dieser Psalmen auf dem Hintergrund der Passagen in den Samuelbüchern, auf welche diese Präskript-Angaben verweisen (könnten). Die historischen bzw. historisierenden Präskripte werden dabei als nachträglich von einem »author of superscription« beigefügte Hinweise verstanden. Vergleichbar mit der Chronik wird das Leben Davids in späterer Zeit (»Second Temple«) durch Facetten bereichert und in neues Licht gestellt. Während jedoch der Chronist ein helles, Probleme und Leid aussparendes David-Bild zeichnet, so wird – gegenläufig dazu – aufgrund dieser Angaben in den Psalmenüberschriften Da­vid als von Feinden bedrängter und von Nöten angefochtener Beter dargestellt. In den Psalmenauslegungen und -kommentaren werden diese geschichtlichen Hinweise kaum ausgewertet. Dieser Aufgabe will sich die Vfn. stellen. Ihre hauptsächlichen Gesprächspartner sind dabei Brevard Childs, Elieser Slomovic und Yair Zakovitch, die bereits Studien zu diesen Psalm-Metatexten vorgelegt haben. Dazu kommen rabbinische Texte (Psalmen-Midrasch).
Jedem dieser Psalmen ist ein Abschnitt gewidmet. Dabei wird den in der Überschrift gelegten Spuren nachgegangen. Der jeweilige Psalm wird in Übersetzung dargeboten und ausgehend von der Kontextuierung in der Überschrift anhand von Stichwort- und Themenverbindungen mit der Erzählüberlieferung aus den Sa­muelbüchern verbunden. Die Darstellung geht dabei nicht der Abfolge der Psalmen nach, sondern behandelt diese unter thematischen Bögen wie »David und seine Familie« (Ps 3; 51; 59), »David und Saul« (Ps 54; 52), »Davids Wahnsinn (madness)« (Ps 34; 56), »David in der Wüste« (Ps 63; 57; 142), »Davids Liebe zu Gott« (Ps 18) und »Unklare Psalmtitel« (Ps 60; 7). Am Ende stehen einige Schlussfolgerungen und drei Beispiele von poetisch-narrativen Textcollagen, bei denen Psalmgebete an passender Stelle in den Erzählfortlauf der Samuelbücher eingefügt sind. Eine Bibliographie sowie ein Stellen- und Autorenregister beschließen diese Studie.
Der Vfn. gelingt es, mit dieser intertextuellen, midraschartigen Lektüre überraschende Einsichten ans Licht zu bringen. Ein Beispiel: Der in der Überschrift von Ps 34 genannte Name »Abimelech« irritiert; das Verstellen Davids lässt die Begebenheit vor »Achisch« (1Sam 21,11–16) aufscheinen. Die Vfn. vermag unter Aufnahme von Einsichten von Zakovitch zu zeigen, dass auch Bezüge vom Psalm zu den »Abimelech«-Episoden in den Vätererzählungen (Gen 20 und 26,26ff.) generiert und so mehrfache Vertextungshorizonte zum Psalm aufgespannt werden. Die synoptische bzw. wechselseitige Lesart fördert neue Aspekte zutage, sowohl was die poetisch geformten Gebete als auch was die narrativen Schilderungen betrifft. Die Betonung liegt dabei auf dem »religious character«. Die auf die »Außenseite« sichtbaren Geschehens fokussierten Schilderungen in den David-Erzählungen werden durch eine spirituelle »Innenseite« vertieft und bereichert: David ist nicht nur der sieg- und trickreiche Kämpfer und König, sondern zugleich der fromme Beter, der von seinem Gott in der Not Hilfe erbittet und sie auch erfährt.
Die Stärke dieser flüssig geschriebenen und leicht lesbaren Studie liegt in der Textvergleichsarbeit und der »Entdeckerfreude« ob den gewonnenen Einsichten. Durch das Zusammenstellen der Psalmen- und Samuel-Texte wird einem das Nachschlagen erspart und der Nachvollzug der Verbindungen erleichtert. Dass die Zu­weisung vom Psalm zu einem bestimmten Erzähltext aufgrund der knappen und manchmal obskuren Präskriptangaben nicht immer gelingt, dessen ist sich die Vfn. bewusst. So erörtert sie verschiedene Vertextungsoptionen und weist auch auf Bezüge hin, die der Psalm über die von der Überschrift angesteuerten Texte hinaus aufweist. Die Grenze der Arbeit liegt darin, dass selten auf der Me­taebene anzusiedelnde Fragestellungen grundsätzlicher Art erörtert werden. Erstaunlicherweise argumentiert die Vfn. weithin auf der literarisch-intertextuellen Ebene und bringt die sich bei dieser Thematik geradezu aufdrängende kanontheologische Di­mension wenig zur Sprache. So fehlen Überlegungen, inwiefern die Platzierung und die Reihenfolge dieser »historischen Psalmen« eine Rolle spielen. Ps 3, der erste dieser Psalmen, liest sich anders, wenn man seine Nachbarschaft zu Ps 2 bedenkt. Dieser zeigt einen »hoheitlichen Messias«, der keine Feinde zu fürchten braucht. In Ps 3 dagegen wird ein »erniedrigter« König David ansichtig, der sogar von Feinden aus dem eigenen Haus und Volk bedrängt wird. Auch der Umstand der Doppelüberlieferung 2Sam 22 = Ps 18, verbunden mit der (von der Vfn. erkannten) Besonderheit, dass dieses Lied als einziges sich nicht in den Bedrängungskontext fügt, bedürfte weiterer Überlegungen. Dass fast nur englischsprachige (oder ins Englische übersetzte) Literatur beigezogen wird, ist eine leider zunehmende Tendenz von Arbeiten US-amerikanischer Provenienz. So wird z. B. die für diese Thematik wichtige Studie von Martin Kleer (»Der liebliche Sänger der Psalmen Israels«, Bodenheim 1996) nicht zur Kenntnis genommen. Den Grenzen und Einwänden zum Trotz ist das Buch mit einigem Gewinn zu lesen und auch für praktische Anwendungen (z. B. für Predigt, Katechese und Erwachsenenbildung) dienlich.