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Ausgabe:

Januar/1997

Spalte:

16 f

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Hoheisel, Karl u. Hans-Joachim Klimkeit [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Heil und Heilung in den Religionen.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz 1995. X, 188 S. 8° = Sammlung Harrassowitz. Kart. DM 48,­. ISBN 3-447-03619-2.

Rezensent:

Hans-Günter Heimbrock

Beiträge zum Thema "Heil und Heilung" machen in der Theologie des 20. Jh.s angesichts der Fülle von Titeln inzwischen eine eigene Gattung aus. Bei nüchterner Betrachtung muß man sich dennoch eingestehen, wie irrelevant viele traditionelle Antworten des Christentums auf die Frage nach dem Heil zur Lösung von Problemen individueller, sozialer oder gar globaler Heilung geworden sind. Das über Jahrhunderte hin von christlichen Kirchen und Theologien reklamierte Monopol in Sachen Heilung ist bereits im 19. Jahrhundert zerfallen. Und auch gegenwärtige kirchliche Bemühungen um Entfaltung einer "heilenden Theologie" können es nicht einfach wiederherstellen. In dieser Situation ist Orientierung zum Thema "Heil und Heilung" gefragt, die über die Grenzen christlicher Theologie hinausreicht.

Solchen Dienst mag sich der Leser vom vorliegenden Titel versprechen, bei welchem die religionsgeschichtliche bzw. religionswissenschaftliche Perspektive dominiert. Die zehn Kapitel dieses Büchleins gehen zurück auf eine Bonner Ringvorlesung zum gleichen Thema. Der als Einführung fungierende religionswissenschaftliche Beitrag von Klimkeit erörtert "Heil und Heilung in Volks- und Weltreligionen" im Rückgriff auf G. Menschings Modell von Volks-, Welt- und Universalreligionen. Hau behandelt "Heil-Kunst im Islam während des Mittelalters" in medizingeschichtlicher Perspektive. Es folgen Wädows sinologische Überlegungen "Heil und Heilung in China am Beispiel früher Heilsvorstellungen". Vogel stellt seinen indologischen Beitrag unter den anspruchsvollen Titel "Die theoretischen Grundlagen der indischen Medizin². Sagaster fragt in kultur- und religionsgeschichtlicher Sicht nach "Buddha als Arzt". Es folgt als einziger theologische Beitrag das Kapitel "Heil und Heilung im Neuen Testament" von Balz. Schotts Beitrag stellt medizingeschichtliche Überlegungen an zu "Naturforschung, Magie und Religion: Historische Wurzeln der ’Romantischen Medizin’". Barbara Wolf-Braun berichtet von neueren US-amerikanischen psychologischen Forschungen zu "Suggestion und Glaubensheilung". Linke fragt kulturtheoretisch "Ist Alter eine Krankheit? Zur Inflation des Therapiebegriffs". Das Kapitel von Hoheisel "Religiöse und profane Formen nichtmedizinischen Heilens" beschließt den Band.

Um das Resultat aus meiner Sicht knapp zusammenzufassen: Nicht alle Beiträge thematisieren in gleicher und gleich ertragreicher Weise das Rahmenthema. Und nicht alle Kapitel bringen ­ über Proben zünftiger Gelehrsamkeit hinaus ­ originelle, weiterführende Resultate. Der Band zeugt gleichwohl insgesamt von einem sehr anregenden Perspektivenreichtum wie vom Interesse zu interdisziplinärer Arbeit. Dabei werden aktuelle Problemstellungen wie Fragen nach dem Verständnis von Glaubensheilungen oder Magie aufgegriffen.

Auch die angestrebte Orientierung an Heilkonzepten räumlich und zeitlich ferner Provenienz kann ­ in einer Zeit des wachsenden Synkretismus ­ über den unbestreitbaren Wert historischer Rekonstruktionen hinaus zugleich als Beitrag zur Gegenwartsanalyse gelesen werden. Allerdings regiert in manchen Beiträgen ein enges, an Fakten orientiertes Verständnis von Religionsgeschichte, so daß dem Leser die Aufgabe bleibt, das erhobene Material in religionswissenschaftliche und ethnologische Theoriebildung einzuordnen. Das gilt insbesondere für die ­ zuweilen schmerzlich vermißte ­ Reflexion auf die elementare Problematik des jeweils zugrundegelegten Wirklichkeitsverständnisses.

Für die gegenwartsorientierte theologische Debatte in Ethik wie Pastoralpsychologie scheinen mir diejenigen Beiträge besonders ertragreich, die jenseits des naturwissenschaftlich-medizinischen Paradigmas ­ in kulturspezifisch konkreter Weise begreifbar machen, daß Krankheit und Heilung nicht nur nach Ursache und Wirkung als steuerbar gedacht wird, sondern als Phänomene in den Blick kommen, welche Prozesse individueller und kollektiver Sinngebung beinhalten und von kulturellen Interpretationen abhängig sind. In dem Maße, wie schier alles als heilungsbedürftig deklariert wird und die heilversprechenden Wege ebenso ins Inflationäre angewachsen sind, verschwimmen gleichzeitig die Konturen zwischen Krankheit und Gesundheit, erliegt die gegenwärtige Kultur ihrer fortschreitenden Therapeutisierung.

Der Nutzen des Bandes für kirchliche Theologie ihrerseits wird u. a. darin liegen, Lernprozesse zu initiieren, bei welchen solchen kulturell wachsenden Sinngebungsprozessen von Heilung mit außerkirchlichen, jedoch dezidiert religiösem Ansprüchen mehr Aufmerksamkeit zu schenken ist. Mit der Einschränkung angestammter kirchlicher Heilungsinstanzen ist die religiöse Grundierung und Einfärbung kultureller Heilungsbedürfnisse keineswegs verschwunden.