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Ausgabe:

April/2010

Spalte:

409-410

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Knoblauch, Hubert

Titel/Untertitel:

Populäre Religion. Auf dem Weg in eine spirituelle Gesellschaft.

Verlag:

Frankfurt a. M.-New York: Campus 2009. 311 S. m. Abb. 8°. Kart. EUR 24,90. ISBN 978-3-593-38883-0.

Rezensent:

Christian Polke

»Ich bin dann mal weg«, lautet der Titel eines deutschsprachigen Bestsellers der letzten Jahre, in dem ein Berufskomiker seine Erfahrungen mit dem Pilgern der Öffentlichkeit unterbreitet. Im Erfolg dieses Buches von Hape Kerkeling manifestiert sich, glaubt man den Überlegungen des Berliner Soziologen Hubert Knoblauch, einem Schüler von Thomas Luckmann, der Weg in eine spirituelle Gesellschaft. Ihrer populären Religion widmet sich K. in seinem jüngsten Großessay, der viele seiner bisherigen Forschungen bündelt und zusammenfasst.
Worum geht es? Für K. erfährt die Religion in den westlichen, postindustriellen Gesellschaften eine grundlegende Transformation, worauf der Begriff der »Spiritualität« verweist. Er wird dabei durch drei Stichworte gekennzeichnet: Abstand von (kirchlichen) Organisationen, ganzheitliche Ausprägung und Betonung auf subjektive Erfahrung (vgl. 41). Mit allen drei Komponenten be­schäftigt sich K. im Verlauf seiner Überlegungen eingehend, wobei er insbesondere auf die subjektiven Erfahrungsdimensionen mo­derner Spiritualität sein Augenmerk richtet. So sind für K. charismatische und fundamentalistische Bewegungen ebenso Ausdruck der Subjektivierung von Religion wie Esoterik und New-Age-Strömungen (vgl. das gesamte Kapitel IV, 81–119). Der Reiz, der mit der vergleichenden Zusammenschau dieser in sich sehr unterschiedlichen Formen des Religiösen in der Gegenwart einhergeht, hat allerdings seine (engen) Grenzen. Sowohl die sehr unterschiedlichen (religions-)historischen Hintergründe als auch die soziokulturellen und politischen Kontexte, die insbesondere für eine angemessene Einschätzung von evangelikalen Bewegungen oder islamischen Fundamentalismen (nicht Extremismen!) notwendig wären, bleiben gänzlich ausgespart.
Viel lieber beschäftigt sich K. mit den zahlreichen neuen Phänomenen von Spiritualität in unseren Gesellschaften. An dieser Stelle kommt der zweite Begriff, der sich im Titel des Buches wiederfindet, ins Spiel. Populäre Religion ist als Begriff »weiter als der der po­pulären Spiritualität« (195), weil sie etwa kirchliche Formen mit umfasst. Sie findet im Schnittfeld von (Alltags-)Kultur, Medien und Öffentlichkeit statt und ist »durch Entgrenzung definiert« (267). Im Gefolge dessen erfahren wir allerlei Kurioses und Spannendes, wenn K. sich zu Feng Shui und Ayurveda, Online Religion und Weltjugendtagen, Papstbegräbnissen und Wünschelrutengängen äußert. Popularisierung und Subjektivierung bilden die beiden wesentlichen Momente.
Bei alledem hat K. ein erstaunliches Gespür für die Bedeutung des Medienwandels wie der Marktmechanismen und ihrer Auswirkungen auf das religiöse Feld der Gesellschaft. Die Leistungsfähigkeit des Marktmodells für die Religionssoziologie wird kritisch gesehen. Zurückhaltend bleibt er auch gegenüber der Rede von der Medienreligion. Denn diese unterschätzt die Rolle des Kommunikationszusammenhangs, in dem die Medien stets verortet sind. Da »die hochgradig individualisierten Formen der Kommuniation im Internet ... all das, was an Religion je privat war, für alle anderen zugänglich« (270) machen, verändert sich der Status des Einzelnen. K. spricht programmatisch von der »doppelten Subjektivierung«. Das Subjekt wird einerseits zum aktiven Ansprechpartner der populären Religion, sein Inner(st)es wird Thema der Religion; andererseits muss es sich selbst subjektiv in die Kommunikation mit einbringen. Die Subjektivierung ist dabei Folge der »Verlagerung von Organisationsstrukturen auf Kommunikationsstrukturen« (274), bedingt durch die neuen Technologien. Mit der Entgrenzung der Kommunikationsforen geht die der religiösen Symbole, Formen und Themen einher. Dem Religiösen kommt Hybridcha­rakter zu, zum »Heiligen Kosmos« gehören Goa-Techno und Ufo-Glaube ebenso wie kreationistische Disney-Parks. Und weil der Religionsbegriff infolgedessen inflationär zu werden droht, sollte man ihn – wie schon erwähnt – durch den Spiritualitätsbegriff er­setzen.
Nicht ganz klar wird die Relevanz der eingangs skizzierten le­benswelt-phänomenologischen Theorie von Religion für das Konzept der populären Religion. Die Brücke scheint der Transzendenzbegriff zu sein, der sich aus Erfahrungen »in der Interaktion mit Anderen« (67) speist, die wiederum die kommunikative und emotive Dimension von Religion erklären sollen. An dieser Stelle hätte es eingehenderer Begründungen bedurft. Doch K. belässt es bei einer thetischen Skizze. Stattdessen bemüht er sich im weiteren Verlauf die These von der Invisible Religion auf die veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen abzustimmen. Dazu dient ihm mehrheitlich das von ihm angeführte empirische Material. Fazit: Von einer Privatisierung könne man ebenso wenig reden wie von einem Wandel zur »öffentlichen Religion«. Stattdessen transformieren sich Privatsphäre und Öffentlichkeit durch die Kommunikationsstrukturen dergestalt, dass man von einer (neuen?) »Sichtbarkeit des Unsichtbaren« (270) reden kann.
So wenig K. an der Aufnahme überzeugender Kritik an der Religionstheorie seines Lehrers interessiert ist, so wenig verwundert es, dass die Anfragen an sein eigenes Konzept denen von damals ähneln. Neue Institutionalisierungsprozesse, die mehr sind als soziale Netzwerke, können gar nicht hinreichend erfasst werden. Entsprechend unbefriedigend bleibt bei K. die Auseinandersetzung etwa mit dem Ansatz von Casanova (vgl. 201 ff.). Religionssoziologie, die zu wenig auf die Perspektivität ihrer eigenen Deutungstheorien reflektiert, überlässt sich entweder allzu schnell dem empirischen Material oder aber, wie in diesem Fall, liefert dieses dem eigenen Beweisziel aus. Lägen die Dinge anders, wäre der Rezensent K. gerne noch weiter auf seinem Weg in die spirituelle Gesellschaft gefolgt.