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Ausgabe:

April/2010

Spalte:

407-409

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Grötzinger, Karl E. [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Religionen und Weltanschauungen. Werte, Normen, Fragen in Judentum, Christentum, Islam, Hinduismus/Buddhismus, Esoterik und Atheismus. Hrsg. in Zusammenarbeit m. Ch. Lange. 6 Bde.

Verlag:

Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag 2009. Bd. 1: Judentum. Von K. E. Grözinger. 152 S. 8°. ISBN 978-3-8305-1594-4. Bd. 2: Christentum. Von S. Talabardon. 163 S. 8°. ISBN 978-3-8305-1595-1. Bd. 3: Islam. Von H.-M. Haußig. 172 S. 8°. ISBN 978-3-8305-1596-8. Bd. 4: Hinduismus/ Bud­dhismus. Von Ch. Willers. 158 S. 8°. ISBN 978-3-8305-1597-5. Bd. 5: Esoterik. Von S. Rademacher. 182 S. 8°. ISBN 978-3-8305-159-2. Bd. 6: Atheismus. Von M.-L. Raters. 176 S. 8°. ISBN 978-3-8305-1599-9. Kart. EUR 98,00 (Gesamtpreis).

Rezensent:

Peter Antes

Die Reihe will zum Dialog mit Religionen und Weltanschauungen einladen und dafür notwendiges Wissen bereitstellen. Deshalb haben alle sechs Bände denselben Aufbau: ein historischer und struktureller Überblick, Einzelfragen zum menschlichen Leben in dieser Welt und die darauf angebotenen Antworten sowie Kommentare zum Lebensvollzug. Dank dieser klaren Gliederung ist der Vergleich sehr gut möglich und die Reihe sowohl für eine interessierte Leserschaft als auch für die didaktische Umsetzung in Schule und Erwachsenenbildung eine lohnende Lektüre. Die Texte sind jeweils sehr gut ausgewählt und höchst kompetent interpretiert. Man kann sich deshalb in dieser Kürze und Kompetenz wohl kaum besser als hier über die vorgestellten Religionen und Weltanschauungen informieren.
Der historische Überblick zum Judentum führt in die vielgestaltige Geschichte dieser Religion ein: das altorientalische Israel, das Judentum nach Tempelzerstörung und Babylonischem Exil, das rabbinische Judentum, das philosophische Judentum im Mittelalter, das esoterisch-mystische Judentum, das Judentum der Aufklärung und der Gegenwart, gefolgt von den Lehren (physische Welt, transzendente Welt, Menschenwelt, Offenbarung, Riten/Fei­ern/Zeremonien), von Musik und Gesang, von der Mystik und der menschlichen Gemeinschaft, bevor die Texte und Kommentare zu den einzelnen Aussagen folgen.
Beim Christentum wird zunächst das Urchristentum, dann die Entwicklung vom 2.–4. Jh., von der Staatskirche in Rom zum mit­telalterlichen Corpus Christianum und danach bis zur französischen Revolution und schließlich die Moderne vorgestellt. Der folgende Teil geht auf die christliche Deutung von Mensch und Welt, auf die Soteriologie, die Trinitätslehre und die Ekklesiologie (einschließlich der Kirchenspaltungen), das Ethos und den Kultus ein, bevor die Texte und Kommentare folgen.
Die Einführung in den Islam behandelt das Leben Muhammads, die Entwicklung nach seinem Tod, theologische Auseinan­derse­tzungen, den Sufismus, den schiitischen Islam sowie Modernismus und Fundamentalismus. Danach folgen thematische Schwerpunkte: Koran und Sunna des Propheten, Gotteslehre, der Mensch, Wesen zwischen Gott und Mensch sowie das Religionsgesetz und rituelle Praktiken sowie die Texte und Kommentare.
Hinduismus und Buddhismus werden in einem einzigen Band vorgestellt. Zuerst wird der Hinduismus unter Überschriften wie Annäherungen an das Absolute (Vedische Religion und ihr Pantheon, Konzepte von Wirklichkeit, die großen Göttergestalten des klassischen Hinduismus [Shiva, Durga/Kali, Vishnu, Krishna]), die Vielfalt der Lebenswelt (die vier großen Lebensziele, die Lebensstadien, die Frauen), die soziale Ordnung – die Kasten, Karma und der Kreislauf des Lebens, Befreiung durch Erkenntnis: Wege, Reform-Hinduismus beschrieben. Dann folgen der indische Urbuddhismus (d. i. der historische Buddha, die Botschaft des Buddha, der frühe Bud­dhismus, buddhistische Konstitutiva und Schulenbildung), der Theravada-Buddhismus, der Mahayana-Buddhismus und der tibetische Buddhismus. Den Abschluss bilden ein kurzes Literaturverzeichnis sowie Texte und Kommentare zu beiden Religionen.
Der Band über die Esoterik geht über den üblichen Kanon von Einführungen in die Religionen hinaus, weil es sich dabei nicht um eine deutlich fassbare Religion, sondern eher um diffuse religiöse Vorstellungen handelt. »Esoterik« ist als Substantiv zum ersten Mal 1828 in Frankreich nachweisbar. Der historische Überblick beginnt daher erst mit dem 18./19. Jh. Als eine Art Gegenbewegung zur Aufklärung ist die Esoterik eine Auseinandersetzung mit der Moderne, danach wird mit Blick auf Anbieter und Kunden der esoterische Markt vorgestellt und schließlich kommen die Inhalte anhand von Epochen (Romantik, Spiritismus, Okkultismus und New Age) zur Darstellung. Bei alledem gilt: »› Die Esoterik‹ kann also nicht wie ›die Kirche‹ handeln, etwas behaupten oder verbieten; das können nur einzelne Aktivisten oder Gruppen. Nur durch eine gemeinsame Öffentlichkeit, die ›esoterische Szene‹ oder Esoterik-Kultur (die jedoch keine genauen Grenzen hat), besteht eine Art von Zusam­mengehörigkeit.« (15) Dementsprechend ist auch die Auswahl der Texte und Kommentare.
Die größte Überraschung in dieser Reihe ist sicherlich der Band über den Atheismus. Dabei handelt es sich um »keine geschlossene Weltanschauung. Es gibt auch keinen gemeinsamen Kanon von Texten, auf den sich alle Atheisten berufen würden. Es gibt keine speziellen Versammlungsorte und keine speziellen Riten, die nur die Atheisten aufsuchen oder praktizieren. Das Etikett ›Atheist‹ ist ausschließlich ein negierendes Etikett: Es besagt, dass jemand nicht Anhänger einer Religionsgemeinschaft ist, und dass er nicht an einen oder mehrere Götter glaubt.« (17) Ob man daraus jedoch den Schluss ziehen kann, es habe »jede Kultur ihren eigenen, spezifischen Atheismus herausgebildet als Kontrapunkt zu der Religion, die in der Kultur jeweils das konstituierende und einigende Mo­ment des Kulturbildungsprozesses bildete« (18), scheint mir eher fragwürdig zu sein. Sicher ist dagegen, dass es in unserer Kultur in zunehmendem Maße seit der Aufklärung Atheisten gab und dies in zweierlei Form, wie es in diesem Band zu Recht festgestellt wird: als voraussetzungsloser und als religionskritischer Atheismus. »Ein ›voraussetzungsloser Atheist‹ ist jemand, der seine intellektuellen Bemühungen ausschließlich auf Fragen beschränkt, die sich aus der Erfahrung und ohne den Rückgriff auf Instanzen wie ›Gott‹, ›Geist‹ oder ›Seele‹ erklären lassen. Sein Ziel ist die Entwicklung eines möglichst widerspruchsfreien und möglichst umfassenden Weltbildes, das ohne Unsichtbares und Unmessbares aller Art auskommt.« (20) Meist wird dabei auf die Naturwissenschaften als Leit­bild verwiesen. »Wie der voraussetzungslose Atheismus, so leugnet auch der religionskritische Atheismus die Existenz eines oder mehrerer Götter. Anders als dieser arbeitet sich der religionskritische Atheismus jedoch an einer ganz bestimmten Religion oder am Phänomen der Religiosität ab. Er entsteht in einem Um­feld, in dem es gemeinhin üblich oder sogar durch Zwang geboten ist, Anhänger einer Religion zu sein. Er verfolgt das Anliegen, die konkrete Religion oder das Phänomen der Religiosität als irrational und unvernünftig auszuweisen. Deshalb hat der religionskritische Atheismus in aller Regel den Charakter von Protest und Auflehnung. Zudem verbindet sich der religionskritische Atheismus häufig mit einer politischen Opposition gegen eine herrschende Macht oder ein herrschendes System.« (24 f.) Anhand dieser Zweiteilung des Atheismus lassen sich gut Textbeispiele bringen, um diese Formen zu belegen und durch Kommentare zu überzeugen. Was damit gänzlich wegfällt, ist jene große Zahl von Menschen in unserem Lande, denen letzte Fragen nach Leben und Tod, nach Gott und der Welt kein Anliegen mehr sind. Sie sind weltanschaulich gesprochen einfach gar nichts – weder atheistisch noch agnostisch oder häretisch, um auf die Begriffsunterscheidung von S. 17 anzuspielen. Mit ihnen scheint kein Dialog mehr möglich.
Für den Dialog mit Religionen und Weltanschauungen bietet die hier vorgestellte Reihe eine äußerst solide und höchst kompetente Basis. Man kann nur hoffen und wünschen, dass sie möglichst viele erreicht, die Sachkompetenz suchen und gegen Vorurteile kämpfen.