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Ausgabe:

März/2010

Spalte:

378-380

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Christiansen, Hauke

Titel/Untertitel:

Missionieren wie Paulus? Robert Allens missionstheologische Rezeption des Paulus als Kritik an der neuzeitlichen Missionsbewegung.

Verlag:

Neuendettelsau: Erlanger Verlag für Mission und Ökumene 2008. 305 S. 8° = Missionswissenschaftliche Forschungen. Neue Folge, 24. Kart. EUR 26,00. ISBN 978-3-87214-354-9.

Rezensent:

Georg Evers

Die vorliegende Studie zur Rezeption der Missionstheologie des Paulus durch Robert Allen ist eine aktualisierte Fassung einer Dissertation, die 2007 von der Humboldt-Universität Berlin angenommen wurde. Hauke Christiansen hat eine kritische Würdigung des Beitrags von Robert Allen zu dem vieldiskutierten missionstheologischen Problem des Entstehens eigenständiger christlicher Kirchen auf dem Missionsfeld vorgelegt, die neben einer sorgfältigen Darstellung der Eigenart des Ansatzes von Allen auch dessen Bedeutung für heute herausstellt.
Robert Allen (1868–1947) war anglikanischer Theologe, der als Mitglied der Society for the Propagation of the Gospel in Foreign Lands (SPG) 1895–1900 und 1902–1903 in China als Missionar ge­wirkt hat. Aufgrund seiner Erfahrungen kritisierte er nach Abschluss seiner Missionstätigkeit die vorherrschenden missionstheologischen Vorstellungen und legte auf Paulus aufbauende Überlegungen zur Eigenständigkeit neuer Ortskirchen und dem Abbau der finanziellen und personellen Abhängigkeiten der Kirchen in den Missionsländern von den westlichen Kirchen und Institutionen vor. Allens Kritik an den westlichen Missionsanstrengungen zeigte zu seinen Lebzeiten nur wenig Wirkung. Erst nach seinem Tod (1947) und in der Folge der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs wurden Allens missionstheologische Ideen ernsthaft diskutiert und in manchen Bereichen wie z. B. dem Aufbau neuer kirchlicher Organisationsstrukturen auch rezipiert. Den größten Einfluss hatte Allen auf die evangelikalen Missionskreise und hier insbesondere die Pfingstkirchen, die seine Gedanken einer biblischen Fundierung und einer spontan vom Heiligen Geist geleiteten Ausbreitungstätigkeit der Mission übernahmen. In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Allens Werk geht es vor allem um das Problem der Selbständigkeit der einheimischen Missionskirchen und des Einflusses von Paulus auf die missiologischen Vorstellungen Allens. Letztere Fragestellung steht im Mittelpunkt der Untersuchung von Ch., der in Auseinandersetzung mit den bisher zu dieser Thematik vorliegenden Arbeiten (P. Beyerhaus, H. R. Boer, W. Metzger, W. N. Burkhalter, A. Talltorp und C. I. van Heerden) herauszuarbeiten versucht, inwieweit sich die intensive Auseinandersetzung mit dem biblischen Zeugnis des Apostels Paulus auf Allens Methodologie und Theologie der Mission ausgewirkt hat.
Im ersten der drei Teile untersucht Ch. den Einfluss von Paulus auf Allen aus missionarischer und exegetischer Perspektive. Auf dem Hintergrund der Biographie Allens wird gezeigt, wie sehr Allens Theologie von der neuanglikanischen Erweckungsbewegung in seiner Heimat bestimmt gewesen ist. In seiner Tätigkeit als Leiter eines Predigerseminars in Peking stößt Allen auf die Diskrepanz seines missionarischen Ansatzes und Anspruchs mit der vor Ort sich vorfindenden missionarischen Wirklichkeit. Der Boxeraufstand im Jahr 1900 bestärkte Allens Zweifel an der in China praktizierten Missionsmethode, die westliche Kirchenmodelle ohne Rücksicht auf die lokale chinesische Kultur und Tradition zu verfrachten trachtete. Nach seiner gesundheitlich bedingten Rück­kehr nach England begann Allen, sich intensiv mit der Missionsmethode des Apostels Paulus auseinanderzusetzen, um Lösungen für seine Fragen an die gängigen Missionsaktivitäten zu finden, die er als so unzureichend in China erlebt hatte. Mit seiner Sicht von Paulus als Symbolgestalt der Heidenmission war Allen nicht allein. Es gab viele Vorläufer, deren Vorstellungen von Ch. kritisch referiert werden, um dann die Eigenart der Auseinandersetzung Allens mit Paulus in ihren verschiedenen Phasen aufzuzeigen. Im Mittelpunkt stand für Allen zunächst der Begriff der »unabhängigen einheimischen Kirche« ( native church), der zusammen mit dem Eintreten für »lokale einheimische ordinierte Amtsträger« (voluntary clergy) für ihn zu den zentralen Bezugspunkten seiner Kritik an der herkömmlichen Missionspraxis wurde. Dabei stützte sich Allen zum Teil auf die Ergebnisse der historisch-kritischen Methode in der Exegese und auf der anderen Seite auf die Erkenntnisse der historischen Wissenschaft seiner Zeit (W. M. Ramsay u. A. v. Harnack), um die Praxis des Apostels Paulus darzustellen.
Im zweiten Teil wird gezeigt, wie stark der Einfluss von Paulus auf Allen vor allem in Hinblick auf sein Konzept der Ortskirche und seine sakramental-pneumatologische Missionstheologie, mit dem zentralen Anliegen des Aufbaus unabhängiger einheimischer Kirchen, gewesen ist. Allen hat eine eigenständige von den Konzepten von H. Venn und J. L. Nevius abweichende Form der Drei-Selbst-Prinzipien ausgearbeitet, die eine unmittelbare Selbständigkeit der Missionskirchen zum Ziel hatte. Wichtig ist Allens Insistieren, dass »Selbständigkeit« einer Ortskirche nicht allein als finanzielle Unabhängigkeit gesehen werden darf, sondern theologisch als inkarnatorisch-sakramentale Verwirklichung der für eine Ortskirche wesentlichen Elemente verstanden werden muss. Die Forderung an die Missionare, sich zum frühest möglichen Zeitpunkt aus den von ihnen gegründeten Ortskirchen »zurückzuziehen«, ist ebenfalls ein wichtiger origineller Beitrag Allens zur Missionstheologie und -praxis. Interessant, wenn auch etwas eigenwillig, ist das Aufzeigen der diesem Ziel zugrunde liegenden pädagogischen – besser: andragogischen? – Konzepte in der Diskussion mit M. Montessoris Ansatz.
Im abschließenden dritten Teil zeigt Ch. in einer kritischen Würdigung die Vor- und Nachteile von Allens Ansatz einer paulinischen Missionstheologie unter der Prämisse anglo-katholischer Inkarnationstheologie auf. Dabei wird deutlich, dass Allens Verständnis der Ortskirche auf der Basis der Drei-Selbst-Prinzipien in der Praxis der urchristlichen Hausgemeinden begründet ist und damit nicht nur für die Exegese, sondern auch für das heutige Verständnis von Ortskirche von Bedeutung ist. Ch. vermerkt auf der einen Seite kritisch, dass der inkarnatorische Ansatz Allens aus Sicht der historisch-kritischen neutestamentlichen Exegese viele Schwachpunkte aufweist, andererseits aber durch die historischen Entwicklungen auf dem Missionsfeld weitgehend bestätigt und auch nachträglich rezipiert worden ist. Ch. beschließt seine Arbeit mit einem kurzen Ausblick auf die gegenwärtige Bedeutung von Allens paulinischem Missionsprogramm, ohne aber eine Analyse der gegenwärtigen missionarischen Situation vorzunehmen. Im Rahmen einer Doktorarbeit ist diese Beschränkung sicher zu verstehen. Wünschenswert wäre eine solche Weiterführung aber durchaus, weil sich hier zeigen müsste, inwieweit das von Allen auf der Basis des paulinischen Missionsverständnisses entwickelte Programm selbständiger einheimischer Ortskirchen und des Amtsverständnisses auf die heutigen Herausforderungen anzuwenden ist.
Aber auch jetzt schon hat Ch. mit seiner Studie zur bleibenden Bedeutung von Allen einen wichtigen Beitrag zur Missionstheologie geleistet. Kritisch ist anzumerken, dass Ch. alle Zitate aus den Werken von Allen und anderen englischsprachigen Autoren in der Originalsprache Englisch beibehält. Das bedeutet, dass ein guter Teil der Arbeit in Englisch geschrieben ist und für jemanden, der dieser Sprache nicht mächtig ist, unzugänglich bleibt. Zentrale Begriffe wie »voluntary clergy« und »independent native Church« etc. werden zwar auch auf Deutsch wiedergegeben, dann aber im Text weiterhin in Englisch verwendet. Für die Lesbarkeit wären deutsche Übersetzungen besser gewesen. Die englischen Originaltexte hätten als Fußnoten dann immer noch die Überprüfbarkeit der Übersetzungen und den Zugang zu den authentischen Texten ermöglicht. Ein anderes Desiderat wäre die Vereinheitlichung der chinesischen Eigen- und Ortsnamen nach einem einheitlichen Übertragungsmodus, entweder Pinyin oder Wade-Giles.