Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2010

Spalte:

367-370

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Kunzler, Michael

Titel/Untertitel:

Liturge sein. Entwurf einer Ars celebrandi.

Verlag:

Paderborn: Bonifatius 2007. XII, 747 S. gr.8°. Geb. EUR 44,90. ISBN 978-3-89710-377-1.

Rezensent:

Karl-Heinrich Bieritz

In der Nachfolge seines 1995 erschienenen Lehrbuchs Die Liturgie der Kirche (AMATECA 10, Paderborn) legt der Vf. nunmehr eine umfangreiche, Papst Benedikt XVI. gewidmete Publikation vor, der man am besten gerecht wird, wenn man sie als Pastoralliturgik würdigt: Sie wendet sich ausdrücklich an Leser im priesterlichen Hirtenamt und verfolgt im Blick auf diese Klientel durchaus auch seelsorgerliche und mystagogische Ziele.
Der renommierte Paderborner Liturgiewissenschaftler – mitrophorer Protopresbyter und Exarchierat der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche, zu­gleich Konsultor der römischen Gottesdienstkongregation und päpstlicher Ehrenkaplan – bürgt einerseits für eine intime Kenntnis ostkirchlicher Liturgie und Frömmigkeit, andererseits für einigermaßen gute Kontakte nach Rom. Angesichts der Krise der römischen Liturgie, wie sie symptomatisch in der Restitution der nachtridentinischen liturgischen Bücher durch Benedikt XVI. ( Motu proprio Summorum Pontificum, 2007) und der damit verbundenen Relativierung der Ergebnisse der nachkonziliaren Liturgiereform zum Ausdruck kommt, scheint dies nicht ganz ohne Belang.
Zum Inhalt: Der Klärung der Situation wie der liturgietheologischen Grundlegung dienen die einleitenden Kapitel (1–207), wobei sich ein erster Teil (1–112) ausführlich mit dem Priesteramt (hier u. a. auch mit den liturgischen Laiendiensten) befasst. Der Vf. wendet sich sodann der »Außenseite« der Liturgie zu, »ohne die keine Kommunikation möglich ist« (209–333: Gesten und Gebärden, Sprache, Gesang und Musik, Stille, liturgische Gewandung und andere materielle »Ausdruckszeichen«, liturgischer Raum). Zwei umfängliche, materialreiche Kapitel zur Eucharistie (335–559) und zur Stundenliturgie (601–660) schließen das Buch ab. Die anderen Sa­kramente und Handlungen wie auch das Kirchenjahr bleiben aus Raumgründen unberücksichtigt (19). Quellen- und Literaturverzeichnis sowie etliche Register komplettieren den Band (663–747). Eine umfassende Darstellung wie Würdigung des monumentalen Werks ist hier kaum möglich. Wir greifen im Folgenden einige Passagen heraus, die für eine ökumenische Liturgiehermeneutik von besonderem Interesse sein dürften.
Zur Situation: Folgt man dem Vf., so droht »die Gefahr einer Globalisierung liturgischen Feierns«, ja, einer »›Globalisierung‹ der Liturgie« (188). Als Beispiel verweist er auf »die Gottesdienstformen einer ›electronic church‹ nach amerikanischem Muster«, »deren aufwändige Dramaturgie sich in nichts von der ganz gewöhnlichen Fernsehunterhaltungsshow unterscheidet«: »›Globalisierung‹ bedeutet hier, dass manche Elemente dieser Fernsehgottesdienste derart die Erwartung des heutigen Showkonsumenten treffen, dass sie unmerklich auch in unsere ›ganz normalen‹ Gottesdienste eindringen« (189 f.). Am Horizont der Liturgiegeschichte erscheint ihm so das Gespenst einer »globalisierten Einheitsliturgie«, die sich dadurch auszeichnet, dass sie »aus allen möglichen liturgischen Traditionen auswählend die Teile heraussucht, die gerade en vogue und dem Zeitgeschmack am ehesten entsprechen, oder die der beabsichtigten ›Aussage‹ des zu diesem und jenem Zweck gestalteten Gottesdienstes am meisten hilfreich sind« (191). Dem korrespondiert vielfach eine »religionspädagogische Verfälschung«, ja, »religionspädagogische Bedrohung der Liturgie« (116. 170), die den Gottesdienst auf eine »Informations- und Motivationsveranstaltung« reduziert (119).
In diesen Trend ordnet er nun auch – einigermaßen überraschend – allerhand katholisierende Tendenzen in den evangelischen Kirchen ein: »Auch protestantische Pfarrer«, so schreibt er, »stehen in evangelischen Gottesdiensten zunehmend ›hinter‹ dem Altar mit dem Gesicht zur Gemeinde hin, tragen katholische Gewänder und Insignien (oder kombinieren zumindest gerne die Stola mit dem Talar) und greifen zu ›vorreformatorischen‹ liturgischen Formen.« Und er gibt der Befürchtung Ausdruck, dass durch solche »Übernahme katholischer Formen bei den Protestanten diese ihres katholischen Inhalts gleichsam beraubt werden und ›neu gefüllt‹ eine ganz andere Symbolik erhalten, als das bislang in der katholischen Tradition der Fall war« (190).
Kein Zweifel: Mit all dem steht die konfessionelle Identität der katholischen Liturgie und damit die Identität der Kirche überhaupt auf dem Spiel. Der Vf. antwortet auf solche Herausforderung mit einem »zwar anthropologisch gewendeten, dennoch aber zutiefst auf Gott und sein Heilswirken bezogenen Kultbegriff« (124): Christlicher Gottesdienst ist – und da wird ihm ein evangelischer Theologe nicht so schnell widersprechen wollen – wesentlich »Begegnung zwischen Gott und Mensch«. Da aber »Gott und Mensch nie anders miteinander kommunizieren als über die Vermittlung der zwischen ihnen liegenden materiellen Schöpfung«, nimmt solche Begegnung im Gottesdienst »materiellen Charakter« an, »vermittelt sich in konkreten Dingen und Vollzügen«. Zugleich müssen diese materiellen Konkretionen des Heiligen aber unterschieden sein und unterschieden bleiben »von allen anderen Le­bensvollzügen« – und dies nicht um Gottes, sondern um der Menschen willen: Ausgesonderte, unterscheidbare »kultische Verhaltensformen« sollen »den Menschen davor bewahren, das Heilige und Außergewöhnliche zu banalisieren und in die Alltäglichkeit eines Lebens einzunivellieren, das nicht auf Gott hin ausgerichtet ist, sondern sich selbst den Sinn des Daseins geben und eine hausgemachte Herrlichkeit verleihen will« (123 f.).
Besonders im dritten Kapitel des Buches, das die »Außenseite« der Liturgie thematisiert, versucht sich der Vf. an der Durchführung dieses Programms: Anthropologische Daten – Leib, Sprache, Gesang usw. – werden theologisch interpretiert, die gottesdienstliche Inanspruchnahme des jeweiligen »Lebensvollzugs« wird so in ihrer Besonderheit erschlossen. Ein solches Verfahren vermag in der Tat die Eigenart gottesdienstlicher Kommunikation, bezogen auch auf unterschiedliche kulturelle Kontexte, herauszuarbeiten. Ob es jedoch wirklich in der Lage ist, »die Frage nach der Kausalität der äußeren Vollzüge für die Erlangung des Heils« zufriedenstellend zu beantworten (116), steht dahin, zumal wenn gelegentlich der Eindruck entsteht, solche Vollzüge vermöchten den für das Gottesverhältnis grundlegenden personalen Bezug in irgendeiner Weise zu umgehen, zu unterlaufen oder zu überbieten. Dankbar nimmt man deshalb zur Kenntnis, dass der Vf. an anderer Stelle den personalen, darin den Menschen »schonenden« Charakter der Gottesbegegnung auf sehr einfühlsame, theologisch tiefgründige Weise zu umschreiben weiß (197–202).
Im Blick auf die durch das II. Vatikanum (das er als »Pastoralkonzil« einstuft, 24) initiierte Liturgiereform bezieht der Vf. eine Position, von der er wohl – ob zu Recht oder zu Unrecht, sei dahingestellt – annimmt, dass sie der des jetzigen Papstes entspricht. So übernimmt er z. B. dessen Kritik an der celebratio versus populum und plädiert für die »gemeinsame Ausrichtung aller Feiernden auf den Herrn«, möglichst in Gestalt der Gebetsostung (173.189.325–332). Kritik übt er auch an einer »ideologisch einzuschätzende[n] Vereinseitigung« des Prinzips der tätigen Teilnahme (actuosa participatio) und akzentuiert – wie der Papst – den »inneren Mitvollzug« gegenüber allem »äußeren Mittun« (5.9.42.166–170). Nicht ohne Polemik setzt er sich mit seinen ›progressiveren‹ Fachkollegen auseinander; so wirft er z. B. Angelus A. Häußling – weil dieser Liturgiereform »als eine bleibende, niemals mehr abgeschlossene Aufgabe« ansieht – »liturgischen Trotzkismus« vor (191). Er fordert dazu auf, »Vorwürfe an die Liturgieerneuerung« ernstzunehmen, wie sie u. a. von Martin Mosebach vorgebracht werden, weist aber zugleich die Vorstellung zu­rück, die ›alte‹ Liturgie sei per se ›würdiger‹ als alle nachkonziliaren Neuerungen (2.13.24.163 f.).
»Es ist nicht die ›alte Messe‹ an sich, die die ›bessere‹ wäre«, schreibt er, »es sind die in der Umsetzung der Liturgieerneuerung eingeschlichenen Fehler und Einflüsse eines dem Glauben und der Liturgie feindlichen Zeitgeistes, der vielerorts die gottesdienstliche Praxis alles andere als attraktiv macht, mehr noch, der die Atmosphäre des Heiligen leider viel zu oft vermissen lässt« (163). Auf Wohlgefallen in traditionalistischen Kreisen stößt eine solche Feststellung natürlich nicht (vgl. z. B. http://www.summorum-pontificum.de/meinung/ kunzler.shtml).
Uneingeschränkt lesenswert, ja, faszinierend ist das Buch dort, wo ostkirchliche Traditionen – und damit eine ganz eigene spirituelle Sprach- und Bilderwelt – aufgenommen werden. Hier vermittelt der Vf. dem abendländischen Leser in der Tat eine Vielzahl von »Aha-Erlebnissen« (10). Das gilt für seine ikonographisch-trinitarische Ämterlehre (72) ebenso wie für den Versuch, »Liturgie im Paradigma der Verklärung« (204) zu verorten. Sinn und Ziel des christlichen Gottesdienstes, so heißt es da, fallen zusammen mit Sinn und Ziel der Selbstmitteilung Gottes überhaupt, und die richtet sich auf »die Teilhabe des Menschen an der Lebensfülle Gottes«. Sie achtet und bewahrt den Menschen »als geschöpfliches und personales Individuum« und bewirkt »Verwandlung, ohne die in einem langen Leben gewonnene persönliche Identität zu zerstören«. Daraus erwächst dem Menschen die Chance, »sich und durch sich die ganze Welt in diese Einladung zur Kommunikation mit dem lebendigen Gott und damit in den Prozess der Vergöttlichung einzubringen« (203.204.205). Darüber lässt sich reden und streiten – und das jenseits konfessioneller Verlustängste und Profilierungszwänge. Dem Vf. gebührt Dank, dass er – allen liturgischen Globalisierungserfahrungen zum Trotz – diesen Weg zu einer wahrhaft ökumenischen Gottesdiensttheologie offengehalten hat.