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Ausgabe:

März/2010

Spalte:

354-356

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Wenzel, Knut

Titel/Untertitel:

Glaube in Vermittlung. Theologische Hermeneutik nach Paul Ricœur.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 2008. 332 S. 8°. Geb. EUR 24,95. ISBN 978-3-451-29796-0.

Rezensent:

Doris Hiller

Die Auseinandersetzung mit der Philosophie Paul Ricœurs und ihren theologischen Implikationen ist ein wesentlicher Forschungsschwerpunkt des Vf.s des hier zu besprechenden Werkes. Er hat wie andere, vor allem katholische, Theologen erkannt, in welcher Weise sich theologisches Denken, insbesondere eine theologische Hermeneutik, mit den Ansätzen des französischen Philosophen profilieren lässt.
Dennoch ist schon der Titel des Buches genau zu lesen, um nicht mit falschen Erwartungen an dessen Inhalt heranzugehen. Es geht dem Vf. um eine theologische Hermeneutik »nach« Ricœur. Dies ist zu unterscheiden von dem durch den Leser oder die Leserin vielleicht zu erwartenden Umgang »mit« Ricœur. So spannt der Vf. ein dichtes geistesgeschichtliches Netz um sprachphilosophische, literarische, hermeneutische, narrative und subjektivitätstheoretische Überlegungen, die gelegentlich unabhängig von Ricœur und von anderen Fragestellungen ausgehend behandelt werden. Im Verlauf der die Kapitel verbindenden Argumentation verdichtet sich die Entfaltung einer theologischen Anthropologie in einer von Ricœur her entworfenen Hermeneutik des Selbst. Konsequent angewendet erscheint eine theologische Hermeneutik »nach« Ri­cœur so, dass der Vf. seine Themen weniger in Auseinandersetzung mit, sondern mehr im Stile Ricœurs methodisch und sachlich bearbeitet.
Auch der im Haupttitel verwendete Begriff der »Vermittlung«, der in der Ricœur-Forschung zur Charakterisierung seiner Philosophie nicht ungebräuchlich ist, ist hier erklärungsbedürftig. Der Vf. verwendet ihn im Sinne des diskursiven Austauschs als »konzentrierte Ablenkung« (11), die zu einer nun eher nicht vermittelnden oder vermittelten, sondern eigenständigen Position führen soll.
Solche Positionen entwickelt der Vf. über elf Kapitel, die in ihren Einzelproblemen in verschiedenen Diskurshorizonten entstanden sein dürften und nun in Buchform unter dem Leitthema der »Kulturbezogenheit des Glaubens« (13) zusammengefasst sind.
Der Vf. beginnt mit einem Einblick in die philosophische Be­schäftigung mit religiöser Sprache (I.). Neben Theodor W. Adorno und Jacques Derrida kommt Ricœur zu Wort, dessen implizit religiöse Neubeschreibung der Welt als Gegenentwurf zum Dekonstruktivismus geltend gemacht wird. Die im Sprechen von Gott poetisch eröffnete Handlungsperspektive zielt auf eine »Artikulation der Würde der Welt« (43).
Ein weiteres Kapitel widmet sich den Fortentwicklungen der Hermeneutik (II.) mit Bezug auf Jean-Paul Sartre, Maurice Blanchot, Jean Starobinski, Jean Greisch und Paul Ricœur. Der Vf. selbst zielt auf ein Glaubensverstehen, das als Verhältnis zwischen Text und Selbst aufzufassen ist (72), von dem man sich nicht distanzieren kann, sondern in dem man sich verändern lässt. Insofern hier methodisch auf Ricœurs Mimesiskonzept Bezug genommen wird, schließt sich konsequent nun ein Kapitel zur theologischen Hermeneutik der Narration (III.) an. Hier konzentriert sich der Vf. wesentlich auf Ricœurs Erzählkonzeption als Reflexion von Zeit, um den narrativ-theologischen Ansätzen bei J. B. Metz und H. Weinrich produktiv zu begegnen. Hier finden sich auch weiterführende Gedanken zur Rede von Gott jenseits einer negativen Theologie.
Nach der narrativ begründeten Rede von Gott widmet sich der Vf. der Rede vom Menschen (IV.). Mit Ricœur fragt der Vf. nach der Begrenzung dieses Redens. Sie beginnt beim Verständnis von Ge­schichte und einer vermeintlich vorausgesetzten Totalität derselben. Es sind dann die begrenzten Geschichten, in denen sich der Mensch mitteilt. Diese schlagen sich in Texten nieder, deren Zu­gang zwar universal, deren Bedeutung aber ebenfalls begrenzt ist. Von hier aus schlägt der Vf. den Bogen zum Christentum als Text-Religion, denn das Merkmal der biblischen Texte liegt in ihrer Offenheit, die zur Re­zeption einlädt. Inwiefern diese Offenheit der Texte mit einer Theo­logie der Barmherzigkeit einhergeht, bleibt hier allerdings deutlich unterbelichtet. Dies zu verfolgen wäre eine Linie, die zu einer theologischen Hermeneutik nach Ricœur ausgebaut werden könnte. Der Vf. nimmt aber die anthropologische Spur wieder auf und lässt ein Kapitel zur Hermeneutik des Selbst folgen (V.). Hier handelt es sich im Wesentlichen um eine kurze Darstellung von Ricœurs Werk: Das Selbst als ein Anderer. Dieses wird im folgenden Kapitel parallelisiert mit Ricœurs Studien zum biblischen Menschenbild im Horizont der Gottebenbildlichkeit und des gerufenen Selbst, vom Vf. im Anschluss an Ricœur treffend als »dialogische Relationalität des Selbst« (150) bezeichnet. Wird hier die exzentrische Selbst-Erfahrung betont, folgt im nächsten Kapitel die Frage nach der Erfahrung des Anderen (VII.). Hier werden bemerkenswerte Überlegungen zum schlechten Gewissen angestellt, indem eine Offenheit auf den Anderen hin begründet wird, die – verbunden mit dem Aspekt der Reue – bei Gott an­kommt.
Im nächsten Kapitel nimmt der Vf. erneut die Frage nach dem Menschen auf (VIII.). Gerahmt von der Grundfrage in Ps 8 erörtert er Ricœurs Unterscheidung von Selbigkeit und Selbstheit, mit der die Wahrheit bzw. Wahrhaftigkeit des Menschseins im Horizont der Selbst-Bezeugung im Erzählen der Lebensgeschichte erschlossen wird. Erinnern, Versprechen und Vergeben sind die Handlungsperspektiven dieser Wahrhaftigkeit. Hier zielt der Vf. auf die Korrespondenz von Ethik und Christologie, die zumindest mit Bezug auf die jesuanische Dimension des personalen Selbstvollzugs angedeutet wird.
Einen weiteren Kreis um die Subjektivitätsproblematik im Horizont der Hermeneutik zieht das IX. Kapitel. Hier wird mit Ricœur, im Dialog mit der Philosophie (Gadamer, Derrida) und der Literatur (Rilke, Celan, Th. Mann), die Eröffnung neuer Deutungs- und Handlungsräume beschrieben. Der Vf. sieht darin zu Recht die grundsätzliche Funktion des Erzählens und er zieht, wie Ricœur, die biblischen Geschichten als Beleg für diesen poetischen Deutehorizont heran. In den beiden folgenden Kapiteln wird dies theologisch ausgewertet, zunächst durch eine Theologie der Vergebung (X.), die hier ihrerseits in einem interdisziplinären Dialog mit Gesellschafts- und Geisteswissenschaften steht. Hier wird vor allem Ricœurs Bestimmung des Verhältnisses von Opfer, Täter und Tat herausgearbeitet und mit dessen Konzept einer »schwierigen Vergebung« hin zu einer Anerkennung der Schöpfung geführt. Mit einem weiteren Umweg über die Literatur gelangt der Vf. zu diesem biblischen Zusammenhang von Vergebung und Anerkennung. Hier deutet der Vf. Linien in die Gotteslehre, die Christologie, Ekklesiologie und Eschatologie an. Die von diesen Linien her formulierte Zielthese des Vf.s lautet: »Anerkennungstheoretisch wird die in der Vergebung wirksame Gnade nicht rechtfertigungstheologisch erschlossen, sondern schöpfungstheologisch.« (282) Dass sich hier kontroverstheologisch diskutieren ließe, liegt auf der Hand. Der Vf. unterstreicht seine These im letzten Kapitel seines Buches mit einer an der Anerkennung ausgerichteten theologischen Anthropologie (XI.). Sie spannt sich auf in dem von Entsprechung und Asymmetrie gekennzeichneten Verhältnis von Schöpfer und Geschöpf, entsprechend der schöpfungstheologischen Be­gründung als Gegenüber der göttlichen Großherzigkeit der Schöpfung und der menschlichen Großherzigkeit der Dankbarkeit beschrieben (328). Der Vf. zeigt in zugänglicher Weise, wie im Stile Ricœurs mit argumentativen Umwegen die Spur des eigenen Denkens erschlossen werden kann. Dieses hermeneutische Fokussieren des Kerns der eigenen Position dient dem Vf. dazu, im Rahmen theo­logischer Anthropologie die Perspektive des Glaubens zu vermitteln als schöpfungstheologisch begründete theologische An­thropologie im Horizont von Vergebung und Anerkennung.
Methodisch und sachlich konsequent kommt das letzte Kapitel nicht ans Ziel, sondern macht sich auf den Weg. »Auf dem Weg zu einer anerkennungstheoretisch fundierten Theologischen Anthropologie« (327) ist die bleibende Differenz im Verhältnis von Selbst und Anderem, biblisch und christologisch gesprochen, von Gott und Mensch, immer wieder neu aufs Spiel gesetzt und ins Spiel zu bringen.