Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2010

Spalte:

349-351

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Klinnert, Lars [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Zufall Mensch? Das Bild des Menschen im Spannungsfeld von Evolution und Schöpfung.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2007. 252 S. gr.8°. Geb. EUR 49,90. ISBN 978-3-534-20265-2.

Rezensent:

Dietrich Korsch

Der Terminus »Menschenbild« hat im Zuge der Debatten um die Auswirkung einer evolutionären Sicht der Anthropologie auf das humane Selbstverständnis eine neue Konjunktur bekommen, zu der auch der zu besprechende Band beiträgt. Allerdings ist der Begriff dann auch wieder so unscharf und begriffsgeschichtlich bislang so wenig reflektiert, dass sich in seinem Umfeld eine Reihe von Themen und Aspekten versammelt, die zum Menschenbild selbst nur wenig oder höchst indirekt beitragen. Insbesondere Sammelbände neigen zu einer größeren thematischen Bandbreite– ein Phänomen, das auch an diesem Buch nicht vorübergegangen ist. Dabei bemüht sich der Herausgeber Lars Klinnert, Mitarbeiter am Institut für Kirche und Gesellschaft der Evangelischen Kirche von Westfalen, mit seiner Ordnung der Texte durchaus um eine sachliche Bündelung. Nach seiner Einführung gliedern sich die 13 Beiträge in drei Gruppen. Zunächst wird nach dem Selbstverständnis des Menschen zwischen Evolution und Schöpfung gefragt (I.), dann wird die in ihrer Deutung bekanntlich umstrittene Alternative zwischen beiden Titelbegriffen in grundsätzlicher Hinsicht wie auch unter dem Vorzeichen des Kreationismus einerseits, des soziobiologischen Naturalismus andererseits behandelt (II.), worauf schließlich (III.), quasi als ein Resümee, die Frage nach der Sonderstellung des Menschen erörtert wird. Jeder dieser Teile zeichnet sich dadurch aus, dass er (zwei oder drei) kontroverse Positionen zu Wort kommen lässt. Sie werden von Autoren aus verschiedenen Wissenschaftsgebieten (Naturwissenschaften, Philosophie, evangelische und katholische Theologie, Wissenschaftsgeschichte) vertreten; dabei kommen durchaus auch Hardcore-Argumentationen aus dem strikt naturalistischen bzw. kreationistischen Lager zu Wort; die philosophisch oder theologisch konzilianteren Positionen treten dann dazwischen. In dieser übersichtlichen Positionalität kann der Band als gelungen und repräsentativ bewertet werden.
Schaut man freilich auf die Beiträge im Einzelnen, so ist diese repräsentative Anlage – fast zwangsläufig, möchte man meinen – mit einer nur begrenzten Originalität verbunden. Alles, was sich hier dokumentiert findet, ist Referat schon anderswo geäußerter Auffassungen. Das ist, angesichts der inzwischen wenig mehr überraschenden Frontverläufe, auch kaum anders möglich. Im­merhin zwingt die leserfreundliche Kürze der Darstellung zu einer exemplarischen Übersichtlichkeit.
Das Aufschlagrecht in den einzelnen Kapiteln kommt jeweils dem naturalistischen Standpunkt zu, der von ausgeprägten Meinungskämpfern vertreten wird, etwa Thomas Junker, Martin Mahner und Franz M. Wuketits. Dass der kreationistische Ball allein von Reinhard Junker gespielt wird, lässt sich aufgrund der Dürftigkeit der Argumentation verschmerzen, zumal andere Beiträge durchaus über die auch in diesem Lager vertretenen Unterschiede informieren (Christian Kummer, Dittmar Graf). Gerade in der zu holzschnittartiger Stilisierung zwingenden Kürze der Texte kommt die Kurzschlüssigkeit dieser vermeintlich elementaren Alternative ans Licht: die unbedarfte Ausdehnung zutreffender, wenngleich keineswegs schon abschließend verstandener evolutionärer Grundeinsichten auf das eigene Selbstverständnis auf der einen Seite, die unbekümmerte Assoziation biblischer Textarrangements mit einem Quasi-Evolutionismus andererseits. Dabei liegt der gemeinsame Mangel beider Seiten so offen wie sonst kaum einmal zwischen zwei Buchdeckeln zu beobachten: die Unfähigkeit, verschiedene Perspektiven aufeinander zu beziehen, die in ihrem Eigenrecht jeweils Geltung beanspruchen können.
Dass den Kreationisten aus religiöser Überzeugung lapidare Kategorienfehler unterlaufen, mag man noch als Mangel an theologischer Aufklärung und philosophischer Bildung registrieren. Dass aber durchaus renommierte Naturalisten immer noch nicht auf das reflektieren, was sie eigentlich tun, und diese Reflexion auch ernst nehmen, beginnt vermutlich nicht nur den Rezensenten zu langweilen. Der kreationistische Beitrag von Reinhard Junker besticht durch seine Unmittelbarkeit der Bibelzitate, die nicht einmal durch eine ordentliche Inspirationstheorie abgesichert zu werden nötig hat; unterhalb der Vorstellungsgehalte eines voraufklärerischen religiösen Bewusstseins setzt dann ebenso unvermittelt der fromme Naturalismus einer »Grundtypenbiologie« ein. Die naturalistischen Spitzenbeiträge von Thomas Junker, Martin Mahner und Franz M. Wuketits versuchen auf platteste Weise, das humane Selbstverständnis hinsichtlich des eigenen Organismus, der erkenntnistheoretischen Grundstellung und der Verbindlichkeit der Ethik zu manipulieren – eine genaue Analyse würde Abgründe von Argumentationsfehlern aufdecken, an denen hier kommentarlos vorübergegangen sei.
Interessant sind darum – jenseits des Dokumentarischen – allein die Beiträge, die sich um eine Koexistenz der Perspektiven bemühen. Sie lassen sich ihrerseits zwei Modellen zuordnen. Zu dem einen zählen die Beiträge von Lars Klinnert, Christian Link, Christian Kummer und Bernhard Verbeek. Sie repräsentieren die gewissermaßen ontologische Fraktion, indem sie sich darum bemühen, für die beiden Beschreibungsmodelle von Wirklichkeit, das natürlich-evolutionäre und das geistig-religiöse, ein Band in objektivem Sinne zu finden – auf Basis der Annahme, dass der religiöse Glaube doch selbst auch einen Anspruch auf »Wirklichkeit« (Gottes) erheben müsse. Die Varianten, mit denen dieser Anspruch zur Geltung gebracht werden soll, unterscheiden sich freilich schon in diesem Spektrum. Der Weg des evangelischen Theologen Christian Link führt (im Anschluss an Viktor von Weizsäcker) über eine Depotenzierung des Subjekts und eine Assimilation mit dem Objekt – eine dezidiert anticartesianische Position, die damit dem Subjekt-Objekt-Problem beikommen möchte. Der Jesuit Christian Kummer, der eine sehr plausible Kritik der Unklarheiten Kardinal Schönborns hinsichtlich der theologischen Interpretation der Evolutionstheorie vornimmt, verlegt sich für sein Kohärenzmodell stattdessen auf eine Metaphysik der Natur, die religiöse Deutungskategorien für die offenen Perspektiven der evolutionären Naturdeutung anbietet, welche dann auch theologisch anschlussfähig sein sollen. Der gesellschaftskritisch orientierte Biologe Bernhard Verbeek dagegen möchte zwar den Eigenwert des Geistigen als solchen kennzeichnen, kommt aber auf seiner doch eher naturalistischen Grundhaltung allein auf eine evolutionäre Tauglichkeit der Religion heraus. Das andere Modell findet sich in einem strengen Sinne nur von dem Philosophen Christian Illies vertreten, der auf sinntheoretischer Basis transzendental argumentiert: Kein Bemühen um Schlüssigkeit (»Vernunft«) kommt darum herum, die Möglichkeit von Sinn zu unterstellen, an dem auch alle wissenschaftliche Sinnbildung teilhat – womit diese Dimension von Sinn so real ist wie alle Aussagen, die in diesem Horizont getroffen werden. Kein menschliches Handeln kommt darum herum, Handlungen zu selektieren, das heißt zu bewerten – und über die Gründe der Wahl auch Auskunft geben zu können (wie immer diese Gründe dann ausfallen mögen: Auch der Naturalist gibt ja »Gründe« an, warum das eine und nicht das andere getan wird). Dass dieser Gedanke von den theologischen Gesprächspartnern so gar nicht aufgenommen wird, das muss freilich überraschen. Denn eine kom­munikationspragmatisch-wissenschaftstheoretische Argumentation ist noch am ehesten in der Lage, die unschlüssige Alternative von Evolution und Schöpfung aufzulösen.
Das ist dann auch der verblüffendste Eindruck, den dieser Band hinterlässt: dass seitens der Theologie angesichts der behaupteten Prominenz jenes Gegensatzes eigentlich gar nicht an einer Schöpfungslehre gearbeitet wird, die sich ihrer Grundstellungen in der modernen Theologie wie im modernen Bewusstsein wirklich versichert. Der von Illies als Philosoph eingeschlagene Weg des Rekurses auf die transzendentale Realität unseres Selbst- und Weltumganges hätte nämlich durchaus auch auf das im Gottesverhältnis begründete Weltverhältnis Anwendung finden können. Der im religiösen Bewusstsein oder im Glauben verankerte Realitätsbezug, die unbedingte Wirklichkeit Gottes, lässt sich in der Fluchtlinie dieses Gedankens als die Bedingung der Realitätsauffassung überhaupt dartun – womit dann auch die Voraussetzung für eine wirklich freie naturwissenschaftliche Forschung gegeben ist und womit auf alle religiöse Projektion von Teleologie in die Evolution grundbegrifflich verzichtet werden kann. Solange eine solche Schöpfungstheologie nicht in gehöriger Breite ausgearbeitet ist, wird der Eindruck zwiespältigen Ungenügens, den auch dieser Band vermittelt, vorerst bleiben – und das Menschenbild-Thema auf Präzisierung warten müssen.