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Ausgabe:

März/2010

Spalte:

344-345

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Bender, Kimlyn J.

Titel/Untertitel:

Karl Barth’s Christological Ecclesiology.

Verlag:

Aldershot-Burlington: Ashgate 2005. XIII, 304 S. gr.8° = Barth Stud­ies Series. Geb. £ 60,00. ISBN 978-0-7546-5086-7.

Rezensent:

Markus Höfner

Die Ekklesiologie Karl Barths ist in der uferlosen Literatur zu seiner Theologie bisher vernachlässigt worden. Schon deshalb verdient die vom Vf. vorgelegte Monographie besondere Aufmerksamkeit. In seinem Buch, das aus einer am Princeton Theological Seminary geschriebenen Dissertation hervorgegangen ist, präsentiert der Vf. Barths Theologie der Kirche als dezidiert christologische Ekklesiologie. Was zunächst selbstverständlich klingt, gewinnt Profil durch die These, dass Barths Ekklesiologie durch drei spezifische Momente seiner Christologie bestimmt wird: durch das ›chalcedonensische‹ Muster von simultaner Einheit und Differenz der göttlichen und menschlichen Natur in der Person Jesu Christi, durch die Hervorhebung der Asymmetrie dieser Verbindung im Gedanken der ontologischen Unselbständigkeit der menschlichen Natur Christi (sog. Anhypostasie/Enhypostasie-Formel) und schließ­lich durch die Denkfigur der Entsprechung zwischen menschlicher und göttlicher Natur Jesu Christi.
In einem ersten Hauptteil skizziert der Vf. die Herausbildung dieser Christologie und einer ihr entsprechenden Ekklesiologie bei Barth, indem er dessen Denkentwicklung vom Römerbrief-Kommentar bis zu den Göttinger Dogmatik-Vorlesungen nachzeichnet (17–92). Im Anschluss an die Analysen Bruce L. McCormacks hebt der Vf. dabei die Rezeption der Anhypostasie/Enhypostasie-Formel bereits in der Göttinger Dogmatik hervor. Mit ihr nämlich ge­winnt Barth aus Sicht des Vf.s die Grundlage, um sein Denken von der Zeit-Ewigkeits-Dialektik des Römerbriefkommentars auf die christologische Dialektik von menschlicher und göttlicher Natur Christi umzustellen. Und es ist diese christologische Dialektik, die dem Vf. zufolge in Barths weiterem Denken als »paradigm for understanding all divine and human relations« (65) fungiert.
Dass diese Beobachtung den entscheidenden Schlüssel zu einem angemessenen Verständnis der Ekklesiologie der Kirchlichen Dogmatik darstellt, sucht der Vf. in einem zweiten Hauptteil nachzuweisen, der den eigentlichen Schwerpunkt seiner Arbeit darstellt (95–269). In ihm konturiert der Vf. zunächst die ekklesiologischen Verweisungszusammenhänge innerhalb von Barths opus magnum und betrachtet die Erwählungslehre als entscheidende Grundlage (95–129), die Lehre von der Versöhnung als bestimmenden Kontext (130–161) der ausgeführten Ekklesiologie der Versöhnungslehre, die sodann in detaillierten, dem Aufbau des Barthschen Werkes folgenden Analysen entfaltet wird (162–193 zu KD IV/1; 194–224 zu KD IV/2; 225–269 zu KD IV/3). Die Rekonstruktion der Überlegungen Barths verbindet der Vf. in diesen Analysen seiner Leitthese entsprechend mit dem durchgängigen Hinweis auf die spezifisch chris­tologische Struktur der Barthschen Ekklesiologie: So identifiziert er in Barths Verhältnisbestimmung von sichtbarer und unsichtbarer Kirche (KD IV/1) nicht nur das chalcedonensische Mus­ter einer ungetrennten und unvermischten Verbindung, sondern auch eine der Anhypostasie/Enhypostasie-Formel entsprechende Asymmetrie zwischen dem pneumatischen Ereignis der unsichtbaren und der menschlichen Gestaltung der sichtbaren Kirche sowie den Gedanken, dass diese Gestaltung in ontologischer und ethischer Entsprechung zum Ereignis der Kirche gedacht werden muss (vgl. 168–180.192 f.). Diese systematische Zuspitzung bestimmt sodann auch die Ausführungen zu den folgenden Teilen der Barthschen Ekklesiologie (vgl. zur Frage der Kirchenordnung [KD IV/2] 205–211.221–224, zur Sendung der Kirche in die Welt [KD IV/3] 229–235. 267–269). In Auseinandersetzung mit kommunitaristisch in­spirierter Barth-Kritik diskutiert der Vf. in seinen abschließenden Ausführungen einige Problemfelder der späten Ekklesiologie Barths wie das Verhältnis von Ereignis und Institution der Kirche und die Beziehung zwischen göttlichem und menschlichem Handeln in der kirchlichen Praxis. Er gelangt dabei zu ausgewogenen Urteilen, die auch – vorsichtige – Kritik an Barth zulassen (270–287).
Durch seine sachkundigen Analysen und die Zuspitzung auf eine systematische Leitthese gelingt dem Vf. ein insgesamt ein­drucks­voller und im Detail erhellender Zugriff auf Barths (späte) Ekklesiologie, der sich als Grundlage weiterer Untersuchungen empfiehlt. Die vorliegende Studie provoziert allerdings auch zu kritischen Rückfragen. So wird man fragen müssen, ob die Fokussierung auf ›chalcedonensische‹ Muster wirklich geeignet ist, alle Intentionen der Christologie Barths zu erfassen: Impliziert Barths aktualistische Überschreitung substanzontologischer Kategorien nicht doch eine Kritik ›chalcedonensischer‹ Denkformen? Und fraglich ist auch, ob die zweifellos nachweisbaren chalcedonensischen Muster in der Tat den Schlüssel oder doch nur ein Charakteristikum der materialen ekklesiologischen Ausführungen Barths darstellen: Ist etwa die Pointe von Barths Neubestimmung des Kirche-Welt-Verhältnisses bereits erfasst, wenn man sie als eine »qualified form of the Christological logic« (267) beschreibt, oder müsste nicht doch eher die Umstellung von einer Sammlungs- auf eine Sendungsekklesiologie profiliert werden? Vor allem jedoch hätte man sich vom Vf. noch mehr kritische Distanz zu Barths eigenen Ausführungen gewünscht. Eine kritische Auseinandersetzung et­wa mit Barths Wahrnehmung der empirischen Kirche, die durch seinen Verzicht auf eine Vermittlung theologischer Kategorien mit soziologischen Beschreibungen belastet ist, und mit Barths exklusivem Rekurs auf personalistische Denkformen, der nicht unwesentlich zu den pneumatologischen Defiziten seiner Ekklesiologie beitragen dürfte, hätte dazu beitragen können, nicht nur die Probleme, sondern auch den positiven Beitrag der Barthschen Ekklesiologie für eine gegenwärtige Theologie der Kirche pointierter herauszustellen. Den Wert der grundlegenden Untersuchung des Vf.s schmälern solche Einwände allerdings nicht – sie kann nicht nur professionellen Barth-Forscherinnen und -forschern, sondern allen an Barths Theologie Interessierten zur Lektüre empfohlen werden.